Zum zweiten Mal seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump haben die USA ihre Waffenhilfe für die Ukraine stark eingeschränkt. In Washington wurden in den vergangenen Tagen Medienberichte bestätigt, wonach das Pentagon die Auslieferung einer ganzen Reihe von militärisch außerordentlich wichtigen Munitionstypen vorerst gestoppt hat – ohne zuvor die ukrainische Regierung oder die europäischen Verbündeten nennenswert zu informieren oder gar in die Entscheidung einzubeziehen. Man sei von dem Lieferstopp „eiskalt erwischt“ worden, heißt es in Brüssel.
Den Berichten zufolge hat das US-Verteidigungsministerium im Juni verhindert, dass die ukrainische Armee bereits zugesagte Raketen und Geschosse erhält, die aus Beständen der amerikanischen Armee stammen oder von Washington bezahlt wurden. Bei der Munition, deren Lieferung noch von US-Präsident Joe Biden bewilligt und die zum Teil bereits nach Polen transportiert worden war, handelt es sich unter anderem um Geschosse für Patriot-Luftabwehrbatterien, um Luft-Boden-Raketen, die von ukrainischen F-16-Kampfjets verschossen werden können, sowie um Boden-Boden-Raketen. Ebenfalls betroffen sind offenbar tragbare Stinger-Luftabwehrraketen sowie Tausende Artilleriegranaten.
Schon im März hatten die USA Lieferungen ausgesetzt
Für die ukrainische Armee sind diese Munitionstypen extrem wichtig. Die betroffenen Boden-Boden-Raketen zum Beispiel – im abkürzungslastigen Militärjargon als GMLRS bekannt – werden über ein hochmodernes, mobiles Artilleriesystem namens Himars verschossen. Sie können sehr präzise und wirksam Ziele hinter der Front in Russland treffen, Munitionsdepots etwa oder Truppenstützpunkte. Mindestens so wichtig sind die Patriot-Geschosse, da sich nur mit ihnen die Überschallraketen zuverlässig abfangen lassen, die Russland auf ukrainische Städte abfeuert. Da Russland in den vergangenen Wochen sowohl seinen Luftkrieg gegen die Ukraine erheblich verstärkt hat als auch die Angriffe am Boden, trifft der Lieferstopp die bedrängte Ukraine doppelt hart.
Im März hatten die USA ihre Militärhilfe für die Ukraine bereits ein erstes Mal ausgesetzt, einschließlich der Weitergabe von Aufklärungs- und Geheimdienstinformationen, die für die Ukraine überlebenswichtig sind. Damals war das eine Vergeltungsmaßnahme: Zuvor hatte Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Weißen Haus öffentlich beschimpft, weil dieser angeblich Amerika gegenüber nicht dankbar genug sei und sich gegen Friedensverhandlungen mit Russland sperre. Nach einigen Tagen hob Trump die Blockade wieder auf.
Nach offizieller amerikanischer Darstellung gibt es dieses Mal keinen politischen oder persönlichen Hintergrund für den Lieferstopp. Auch ist nichts davon bekannt, dass die USA die Ukraine vom Zugang zu Aufklärungsinformationen abgeschnitten hätten. Stattdessen heißt es, US-Verteidigungsminister Pete Hegseth habe vor einigen Wochen angeordnet, die Munitionsbestände der Armee zu überprüfen. Er wolle sicherstellen, dass die US-Streitkräfte für ihre eigenen Einsätze ausreichend Munition hätten, so wie es Trumps „America first“-Doktrin vorschreibe. So wie bei allen Nato-Staaten, die der Ukraine helfen, sind auch in den USA die Bestände in den Munitionsarsenalen wegen der umfangreichen Lieferungen an das überfallene Land dezimiert. Während der von Hegseth befohlenen Überprüfung sollen dem Vernehmen nach die Lieferungen an die Ukraine ausgesetzt bleiben.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte wagte in einem Interview mit dem amerikanischen Sender Fox News vorsichtige Kritik an der Entscheidung. Er verstehe „total“, dass das Pentagon aus Eigeninteresse auf seine Munitionsbestände achten müsse, sagte er. „Aber wenn es um die kurzfristige Lage in der Ukraine geht, kommt das Land nicht ohne die gesamte Unterstützung aus, die es bei der Versorgung mit Munition und bei der Luftverteidigung bekommen kann“, so Rutte. Das heißt: Wenn Amerika nicht weiter liefert, hat Kiew ein enormes militärisches Problem.
In Ruttes Äußerungen kam auch eine gewisse Enttäuschung zum Ausdruck: Erst vorige Woche hatte er mitgeholfen, dass beim Nato-Gipfeltreffen in Den Haag ein Gespräch zwischen Trump und Selenskij zustande gekommen war. Dieses Treffen, so hieß es später, sei sehr gut verlaufen. Trump deutete bei einer Pressekonferenz sogar an, er könne der Ukraine erlauben, weitere Patriot-Geschosse in den USA zu kaufen. Der nun bekannt gewordene Lieferstopp, der keine Neubestellungen trifft, sondern längst zugesagtes und bezahltes Material, ist daher ein drastischer Rückschritt.
Man könne, heißt es in Brüssel, nur die Zähne zusammenbeißen
Europäische Außen- und Sicherheitspolitiker hoffen derzeit noch, dass die Aussetzung der Lieferungen wie im März nur vorübergehend ist. Denn ersetzen können die Europäer Munition wie die Patriot-Abfanggeschosse und GLMRS-Raketen nicht. Man könne, meint ein Beobachter in Brüssel, nur die Zähne zusammenbeißen und warten, ob Washington die Lieferungen wieder aufnehme.
Allerdings: Schon die Tatsache, dass die USA wie nebenbei und ohne größere Konsultationen die Belieferung der Ukraine mit existenziell wichtigen Munitionsarten stoppen, ist ein verheerendes Signal. Hinzu kommt: Sofern sich nicht das Weiße Haus oder Trump persönlich mit einer Weisung einschalten, liegt die Entscheidung über die künftigen Lieferungen nun beim Pentagon, und dort maßgeblich bei einem Mann mit dem Namen Elbridge Colby, genannt „Bridge“. Der Verteidigungsstaatssekretär für Politik soll die treibende Kraft hinter dem Lieferstopp gewesen sein. Und er hat großen Einfluss darauf, welche Schlüsse aus der Überprüfung der Munitionsbestände hinsichtlich der Waffenhilfe für die Ukraine gezogen werden.
Für die Ukraine und die Europäer ist das keine gute Nachricht: Colby, der bereits in Trumps erster Amtszeit im Pentagon diente, ist als ausgewiesener Gegner der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine bekannt. Amerika, so sein Mantra, müsse für einen möglichen Krieg mit China gewappnet sein, um die Ukraine müssten sich die Europäer allein kümmern. Das, so sagen Diplomaten in Brüssel, sei jedoch schlicht unmöglich.