Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich für direkte Gespräche mit den radikal-islamischen Taliban ausgesprochen, um Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan zu erleichtern. „Nach wie vor braucht es Dritte, um Gespräche mit Afghanistan zu führen“, sagte er dem Magazin, „Focus“. „Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen.“
Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 galt die Sicherheitslage im Land als angespannt, Deutschland setzte Abschiebungen nach Afghanistan daher aus – mit einer Ausnahme: Durch Vermittlung von Katar wurden im August vergangenen Jahres 28 Straftäter nach Kabul ausgeflogen.
Menschenrechte werden missachtet
Dobrindts Vorstoß sorgt nun für teils harsche Kritik: „Die Bundesregierung würde sich mit diesem Vorgehen ein Glaubwürdigkeitsproblem schaffen“, sagt der Afghanistan-Experte Conrad Schetter vom Bonn International Centre for Conflict Studies dem Tagesspiegel. In den vergangenen beiden Jahren habe sich die dortige Sicherheitslage zwar etwas verbessert, so Schetter. „Dennoch plagen Hungersnöte das Land, die Taliban regieren mit harter Hand und missachten Menschenrechte.“
Bundesinnenminister Dobrindt eskaliert weiter.
Feliz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin und Migrationsexpertin der Grünen im Bundestag
Kritisch äußert sich auch Feliz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin und Migrationsexpertin der Grünen im Bundestag: „Bundesinnenminister Dobrindt eskaliert weiter“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Verhandlungen mit den radikal-islamischen Taliban wären eine Anerkennung des Terrorregimes und eine menschenrechtliche Bankrotterklärung.“
Für sie sei es „nicht vorstellbar“, so Polat, „wie durch diplomatische Beziehungen gewährleistet werden kann, dass den Abgeschobenen keine Folter oder unmenschliche Behandlung droht.“
SPD gibt sich zurückhaltend
Clara Bünger, innen- und fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hält die Forderung des Innenministers hingegen für „brandgefährlich und im klaren Widerspruch zu allem, wofür Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stehen“, wie sie dem Tagesspiegel sagt. „Wer so handelt, stellt sich bewusst gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien“, so Bünger weiter.
„Dobrindt ignoriert nicht nur die Lebensrealitäten der Menschen vor Ort, sondern legitimiert damit auch die Regierungsposition der Taliban, unter deren Regime angebliche Gegner:innen verfolgt und Frauen völlig entrechtet werden.“
Zurückhaltender gibt sich Dobrindts Koalitionspartner von der SPD: „Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass Rückführungen nach Afghanistan zunächst bei Straftätern und Gefährdern grundsätzlich möglich sein sollen“, betont die SPD-Rechtsexpertin Sonja Eichwede gegenüber dem Tagesspiegel. Doch auch sie betont: „Unter keinen Umständen dürfen Gespräche aber den Umgang mit dem Taliban-Regime normalisieren.“
Die Sozialdemokratin wirbt für den bei Dobrindt unbeliebten Weg über Vermittler: „In der Vergangenheit waren Gespräche über Dritte erfolgreich und es ist gelungen, Flüge zu organisieren“, so Eichwede. „Hieran sehr sensibel anzuknüpfen und Kanäle auszubauen ist richtig.“