Verschwörung der Pazzi: In der Ostermesse fiel der Mörder über ihn her

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Der 26. April 1478 ist ein Ostersonntag. Im Dom Santa Maria del Fiore in Florenz wird vor Tausenden Gläubigen die Messe zelebriert. Gerade hat der Priester am Altar die Hostie zum Zeichen der Kommunion erhoben, als mehrere Bewaffnete nach vorn zu den Chorschranken stürzen, wo die beiden faktischen Herrscher der Stadtrepublik stehen, der neunundzwanzigjährige Lorenzo de’ Medici und sein vier Jahre jüngerer Bruder Giuliano. Giuliano erhält einen Messerstich in die Brust und stürzt tödlich getroffen zu Boden, während Lorenzo, der seinen schweren Mantel als Schild benutzt, mit einer Halswunde in die Sakristei entkommt, deren Türen sich hinter ihm schließen.

Kurz darauf läuft die zweite Phase des Staatsstreichs an: der Versuch der Verschwörer, die zur alteingesessenen Familie der Pazzi gehören, die Macht in Florenz zu übernehmen. Ihre Helfershelfer besetzen Teile des Palazzo della Signoria, in dem die Stadtregierung sitzt, während das Familienoberhaupt Jacopo mit seinen Anhängern auf die Piazza vor dem Rathaus reitet und mit dem Ruf „Popolo e libertà!“, „Volk und Freiheit!“, die Menge auffordert, die Herrschaft der Medici zu stürzen.

 Giuliano de’ Medici (1453 bis 1478) fiel unter den Dolchhieben der VerschwörerDas Opfer: Giuliano de’ Medici (1453 bis 1478) fiel unter den Dolchhieben der VerschwörerChristoph Schmidt/SMB

Aber Jacopo de’ Pazzi hat die Stimmung in der Bevölkerung falsch eingeschätzt. Mit Steinwürfen wird sein Trupp in die Flucht geschlagen, während der gerettete Lorenzo de’ Medici zum Rachefeldzug gegen die Attentäter und ihre Anstifter aufruft. In den folgenden drei Tagen sterben die führenden Köpfe der Verschwörung, darunter der Erzbischof von Pisa, den Henkertod. Jacopo und sein Neffe Francesco de’ Pazzi, einer der Mörder Giulianos, werden an den Fenstern des Signoria-Palasts aufgehängt. Ein zweijähriger Krieg mit Papst Sixtus IV., der als Förderer der Pazzi von Rom aus die Fäden des Anschlags gezogen hat, schließt sich an. Die Kampfhandlungen enden erst, als Lorenzo persönlich nach Neapel reist, wo es ihm mit Charme und Geschenken gelingt, König Ferrante I., den mächtigsten Verbündeten des Papstes, auf seine Seite zu ziehen.

Kann man ein derart komplexes Geschehen allein mit Münzen, Medaillons und ein paar Büsten und Gemälden abbilden? Das Berliner Münzkabinett versucht es, und es hat gute Gründe dafür. Schließlich besitzt es in gleich zwei Versionen die wichtigste künstlerische Schil­de­rung der Ereignisse, eine Bronzemedaille, die der Bildhauer Bertoldo di Giovanni noch im Jahr des Attentats auf Geheiß von Lorenzo de’ Medici schuf. Beide Fassungen, von de­nen eine aus dem Besitz des Gründungsdirektors Julius Friedländer, die andere aus der Sammlung des großen Mäzens James Simon stammt, sind in Berlin zu sehen.

 Vorderseite der Gedenkmedaille auf das Attentat im Dom von Bertoldo di Giovanni, 1478Die Tat in Bronze: Vorderseite der Gedenkmedaille auf das Attentat im Dom von Bertoldo di Giovanni, 1478Reinhard Saczewski

Sie zeigen die Ermordung des jüngeren und die Errettung des älteren Medici als zwei Akte desselben Dramas: Während auf der Vorderseite Lorenzo seinen Mantel schützend gegen die Hiebe der Verschwörer hebt, über die Chorschranken springt und auf dem Weg zur Sakristei einen weiteren Angriff abwehrt, bricht der wehrlose Giuliano auf der Rückseite nach der ersten Attacke zusammen und wird von Francesco de’ Pazzi mit Dutzenden Dolchstichen regelrecht abgeschlachtet. Die Inschriften unter den Medici-Köpfen im oberen Bildfeld fassen die szenische Botschaft zusammen: „Salus publica“, öffentliches Wohl, steht unter dem einen, „Luctus publicus“, öffentliche Trauer, unter dem anderen.

Die Blüte der Medaillenkunst war eine Folge der Geldwirtschaft, die in Italien seit dem frühen zwölften Jahrhundert florierte und vor allem Florenz, Venedig und Rom zu Zentren der Münzprägung werden ließ. Auch davon erzählt die Ausstellung mit Gold- und Silbermünzen aus vier Jahrhunderten, deren Bildprogramm den Wandel der Stadtrepublik von einer unabhängigen Kommune zur Hauptstadt eines Großherzogtums illustrieren. Daneben gibt es zahlreiche Medaillen, auf denen die Akteure des Blutbads von 1478 und ihr Umkreis erscheinen: die Medici-Familie und ihre gelehrten Schützlinge Angelo Poliziano – der einen Augenzeugenbericht über die Mordtat verfasste –, Pico della Mirandola und Marsilio Ficino, der päpstliche Feldherr Federico di Montefeltro – der sich mit einer Eingreiftruppe bereithielt, um die Pazzi zu unterstützen – sowie der osmanische Sultan Mehmet II., der den geflohenen Attentäter Bernardo Bandini Baroncelli in Konstantinopel verhaften und an Florenz ausliefern ließ, wo er am Palazzo del Podestà, dem heutigen Bargello, aufgehängt wurde. Leonardo da Vinci hat den toten Auftragsmörder auf einer berühmten Zeichnung porträtiert. Leider liegt sie in Bayonne und nicht in Berlin.

 Federico da Montefeltro (1422 bis 1482) auf einer Porträtmedaille von 1474Der Feldherr des Papstes: Federico da Montefeltro (1422 bis 1482) auf einer Porträtmedaille von 1474Reinhard Saczewski

Manche Kunstschauen könnte man sich auch in kleinerem Format vorstellen. Hier ist es umgekehrt: Man wünschte sich, das Münzkabinett hätte die Mittel und den Raum für eine größere thematische Ausstellung gehabt. Dann hätte man neben Botticellis Porträt Giuliano de’ Medicis aus der Gemäldegalerie, dessen frühere Fassungen in Washington und Bergamo hängen, auch das Bildnis von Giulianos Geliebter Simonetta Vespucci zeigen können, die dem Maler als Vorbild für die Liebesgöttin auf der „Geburt der Venus“ diente, und neben den Büsten Lorenzos und seines klerikalen Gegners Raffaele Riario, eines Nepoten des Papstes, auch zahlreiche Zeugnisse jener Kunstblüte, die nach dem Anschlag noch einmal gewaltig zunahm und dem Medici-Herrscher den Beinamen „der Prächtige“ eintrug.

Denn darin liegt die weltgeschichtliche Bedeutung der Pazzi-Verschwörung: Weil sie scheiterte, blieb Florenz eine Hochburg der Renaissance, statt in den Sog des Kirchenstaats zu geraten, und die Medici stiegen binnen weniger Jahrzehnte zu Päpsten und Großherzögen auf. Wer dagegen aus der Geschichte verschwand, waren die Pazzi. Kein Porträt, kein Wappen, keine Münze erinnert in der Ausstellung an sie. Die Kunst geht mit den Siegern. Das wusste man längst, aber in Berlin kann man es wieder einmal sehen.

Die Pazzi-Verschwörung. Macht, Gewalt und Kunst im Florenz der Renaissance. Bodemuseum, bis 20. September 2026. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

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