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Kanzler auch des Stadtbilds
Ein bisschen ist Bundeskanzler Friedrich Merz schon auch selbst schuld. Als er vor bald zwei Wochen von einem Journalisten gefragt wurde, wie er das mit dem Stadtbild meinte, sagte er: »Fragen Sie Ihre Töchter.«
Einer vagen Vorrede (Läuft mit der Migration, Zahlen gehen runter, aber wir haben da dieses Stadtbild!) wurde eine ebenfalls vage, leicht insinuierende Handlungsempfehlung nachgereicht.
Friedrich Merz: Auch Kanzler eines Einwanderungslandes
Foto: Dursun Aydemir / Anadolu Agency / IMAGOJetzt melden sich ein paar dieser Töchter in einem Brief an den Bundeskanzler zu Wort, einige mit Stadtbild-Hintergrund. In dem Brief, über den unser Hauptstadtbüro exklusiv berichtet, heißt es: »Wir möchten gerne über Sicherheit für Töchter, also Frauen sprechen. Wir möchten es allerdings ernsthaft tun, und nicht als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative gerechtfertigt werden sollen. Betroffene von Sexismus und Betroffene von Rassismus dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.« In zehn Forderungen formulieren sie, wie die Sicherheit von Frauen in Deutschland verbessert werden könnte. Zu den Erstunterzeichnerinnen gehören die Politikerin Ricarda Lang, die Autorin Alice Hasters, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Soulsängerin Joy Denalane.
Die Debatte ist also noch nicht vorbei. Politik besteht und beginnt im Aussprechen dessen, was ist, heißt es, der Realitäten also. Als besondere Serviceleistung hat diese Lage am Morgen für alle Debatten-Teilnehmer einige Realitäten zusammengetragen, für die nächste Runde:
Merz ist Bundeskanzler, als solcher sollte er möglichst selten hinterherkleckern müssen, was er eigentlich gemeint hat. Er müsste mehr antizipieren, dass sich ein paar Leute vor den Kopf gestoßen, ausgegrenzt, mitgemeint fühlen könnten, die er gar nicht gemeint hat (hier dazu mehr) – womit wir bei der zweiten wichtigen Realität wären:
Gut jede vierte Person in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte – Merz ist auch ihr Bundeskanzler. Für einige liegt er vielleicht goldrichtig mit seinem härteren Migrationskurs. Für andere ist ein Bundeskanzler Merz eine Realität, die sie immer noch sacken lassen müssen, die älteren unter uns erinnern sich noch an die nölige Leitkultur-Debatte von vor 25 Jahren, oder aus der jüngeren Vergangenheit: an die kleinen Paschas. Da war er aber noch nicht Kanzler. Aber: Get over it. Beide Seiten müssen jetzt ganz stark sein und die Herausforderung umarmen. Oder gleich die Menschen (gedanklich reicht vorerst!).
Selbstverständlich werden Frauen in Deutschland auch von Männern mit Migrationshintergrund belästigt. Merz habe, so formulierte es Grünenchef Felix Banaszak, eine »breit getragene Wahrnehmung« angesprochen, »mit der sich progressive Kräfte beschäftigen müssen«. Eine andere Realität ist: Es gibt vielleicht in Deutschland derzeit wenige gesellschaftlich leidvollere Zustände, als junger unbescholtener Mann mit Migrationshintergrund zu sein.
Die ganze Geschichte hier: 50 Frauen aus Kunst, Wissenschaft und Politik schreiben Brandbrief an Merz
Ekrem İmamoğlu – jetzt auch Spion
Als Beobachtende der politischen Entwicklungen in der Türkei und dem Rückbau der Demokratie in dem Land ist man Kummer gewohnt, aber es gibt immer noch Ereignisse, die einen erstaunen. Ereignisse wie dieses: Gegen den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, der seit Mitte März dieses Jahres in Haft sitzt, wurde am Montagmorgen ein weiterer Haftbefehl erlassen. Doppelt hält besser.
İmamoğlu-Anhänger beim Protest: Doppelter Haftbefehl hält besser
Foto: Yasin Akgul / AFPWurde ihm bislang unter anderem Korruption vorgeworfen (bislang ohne Anklageschrift), geht es jetzt um den Vorwurf der Spionage: Der Oppositionspolitiker und wichtigste politische Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdoğan (hier mehr dazu) soll Verbindungen zu einem Mann gepflegt haben, der gestanden haben soll, für den britischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Dieser Mann soll ihm unter anderem zum Wahlsieg 2019 in Istanbul verholfen haben.
Nur wenige Stunden später begrüßte Erdoğan den Regierungschef just des Landes, mit dessen Geheimdienst der inhaftierte Istanbuler Oberbürgermeister indirekt in Verbindung gestanden haben soll. Ob die Vorwürfe gegen İmamoğlu Thema zwischen dem türkischen Staatschef und Keir Starmer waren, ist nicht bekannt. Einer der Hauptpunkte des Treffens war die Unterzeichnung einer Erklärung zum Export von Eurofighter-Kampfjets – die Türken wollen 20 der in Großbritannien zusammengebauten Typhoon-Kampfflugzeuge kaufen (mehr dazu hier).
Hier zeichnet sich das gegenwärtige Dilemma der Europäer mit der Türkei ab: Deutschland ist an dem Eurofighter-Konsortium beteiligt und hatte den Export lange blockiert. Der Grund: die Menschenrechtslage in der Türkei. Die hat sich zwar seither nicht grundlegend verändert, dennoch gab es im Juli 2025 grünes Licht von der Bundesregierung – zu wichtig ist die Türkei mittlerweile für das Abschreckungspotenzial der Nato.
Mehr Hintergründe hier: Inhaftierter Erdoğan-Rivale İmamoğlu erhält nächsten Haftbefehl
Putins Prestigeprojekt
Bereits am Montag berichteten wir an dieser Stelle von dem neuen, atomar angetriebenen und bestückbaren Marschflugkörper »Burewestnik«, der in einem natürlich extrem erfolgreichen Test, so verkündete es der russische Machthaber Wladimir Putin selbst, 15 Stunden geflogen sei – eine Waffe von »unbegrenzter Reichweite«.
Kremlchef Putin: Wozu diese Waffe?
Foto: Russian Presidential Press Office / EPAMein Kollege Marc Haase hat sich Putins neue Wunderwaffe mal etwas genauer angeschaut und Militärexperten befragt – die einhellige Meinung: Die »Burewestnik« ist keine Wunderwaffe und auch kein Gamechanger; eher eine »nutzlose und unnötige Waffe«, die bei einem verunglückten Test 2019 mehrere Menschen das Leben gekostet haben soll. Für seine Abschreckung braucht Russland die Waffe nicht, strategische Vorteile sind eher theoretisch. Wozu also diese Waffe?
Die These vom Experten Florian Hinz von der Denkfabrik International Institute for Strategic Studies in Berlin lautet: Geltungsdrang. Unter Putin würden, wie in der Sowjetzeit üblich, Waffen entwickelt, deren Aufgabe es sei, »ihren Erbauern innerhalb des Systems Macht und Prestige« zu versprechen. Wahrscheinlich müsste man einen weiteren Zweck ergänzen: Angst im Westen zu schüren. Das lässt sich der Kreml offenbar gern etwas kosten.
Die ganze Geschichte hier: Wladimir Putins »Sturmvogel« lässt Experten kalt
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Verlierer des Tages…
...sind die Louvre-Diebe.
Polizist vor der Glaspyramide am Louvre: Massig DNA-Spuren hinterlassen
Foto: Abdul Saboor / REUTERSNach der Tat war man geradezu beeindruckt von dem kaltblütigen und dreisten Vorgehen der Bande, die sich mit Warnwesten und Hebebühne am helllichten Tag Zugang zum Museum verschaffte und unersetzliches nationales Geschmeide stahl. Doch dann verloren die Unbekannten beim Türmen nicht nur die Krone von Kaiserin Eugénie – sie hinterließen auch massig Fingerabdrücke und weitere DNA-Spuren, an einem Helm, an Werkzeug, Handschuhen. Die führten zur Festnahme von bislang zwei Verdächtigen. Den perfekten Jahrhundertcoup gibt es offensichtlich doch nur auf Netflix.
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US-Überschallbomber fliegen parallel zur Küste Venezuelas: Die USA demonstrieren erneut ihre militärische Macht: Zwei Flugzeuge vom Typ B1-B näherten sich dem Luftraum Venezuelas. Und auch auf dem Wasser geht die Waffenschau weiter.
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Sus Pons / Westend61 / IMAGO

vor 11 Stunden
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