Wenn selbst ein ausgewiesener Humorist wie Oliver Kalkofe in einen staatstragenden Modus verfällt beim „Oktoberfest der Medienbranche zwischen Riesenrad, Roncalli-Circus und Dauerbaustelle – schöner kann man die aktuelle Medienlandschaft auch kaum zusammenfassen“ – dann ist Gefahr im Verzug. Die drei Tage der 39. Münchner Medientage zeigten eine Branche am Scheideweg. Wo früher der Blick in die Zukunft der schönen neuen Medienwelt propagiert wurde, grassiert nun Existenzangst.
Parallelen zu Weimar
Niemand darf sich sicher sein, dass die Disruption via KI nicht auch morgen ihn trifft. Gleich am Eröffnungstag zog Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Parallelen zum Ende der Weimarer Republik. „Die Nazis haben die Demokratie der Weimarer Republik auch deshalb so radikal ausgehebelt, weil sie sich der neuesten Technologien und Möglichkeiten bedient haben. Da saßen Sozialdemokraten, die Politiker vom Zentrum und alle anderen ordentlichen Parteien noch in ihren Sesseln und hatten am Ende gar keine Chance. Und wenn Social Media einst versprach, dass alle Freunde werden dann weiß man jetzt, dass alles, was möglich ist, brutal genutzt wird.“
Wie zum Beweis präsentierte Professor Klaus Goldhammer in einer späteren Veranstaltung die Ergebnisse des „Online Video Monitor 2025“ der durch eine Beratungs- und Forschungsgruppe der Bayerischen Landesmedienanstalt BLM erstellt wurde. Fazit: Vor der letzten Bundestagswahl hat nur die AfD alle Kanäle inklusive Tiktok genutzt – andere Parteien konzentrierten sich auf Facebook und Instagram. Bei der Zahl der Subscriber stachen das BSW und die AfD heraus. Eine qualitative Inhaltsanalyse ergab, dass vorwiegend emotionalisierende Inhalte von beleidigender Tonalität hohe Reichweiten erzielten. Informative, sachlich reflektierte Themen hingegen würden von den Algorithmen deutlich seltener ausgespielt. BLM-Präsident Thorsten Schmiege brachte als Hilfsmittel dagegen eine „Regulierung“ ins Spiel. Die Regulatorik der „alten Rundfunkwelt“, in der Zeit für Wahlwerbespots unter den Parteien ausgewogen verteilt wurden, solle man auf Social Media übertragen.
Elon Musk und die AfD
Schmiege brach eine Lanze für den vorher ob seiner Meinungsmacht gescholtenen Tesla-Boss Musk: „Ich glaube nicht, dass Elon Musk mit seinen Portalen die AfD in Deutschland stärken will.“ Bei Markus Söder erntete er damit Skepsis. Der forderte eine technische Aufrüstung frei nach dem Motto: „Wenn man selber langsamer ist, zu fordern, dass der andere nicht so schnell läuft, halte ich für falsch. Man muss eben selbst schnell laufen lernen.“ Und über die „Ächtung der Institution AfD“ hinaus glaubt Söder, dass die „Stigmatisierung allein nicht funktionieren wird. Das Ziel der AfD ist, die Union zu ersetzen. Außer in Deutschland gibt es ja fast nirgends mehr eine konservative stabile Kraft. Ich möchte am Ende nicht daneben stehen, wie Radikale die Macht übernehmen. Deswegen werde ich alles tun, zu kämpfen. Und manchmal wird es nicht so mit der klassischen Etikette gehen. Wir werden uns schon mehr anstrengen müssen, diese Gruppen zu bekämpfen. Ich bin jedenfalls bereit, diesen Kampf aufzunehmen.“
Seine Parteifreundin Gerda Hasselfeldt flehte in ihrer Funktion als Vorsitzende des ZDF-Fernsehrats auf einem weiteren Symposion die Zuhörer an: „Wir brauchen einen engen Schulterschluss von Politik und Medien“, sagte sie, „man kann über die Bevölkerungsvielfalt streiten, aber immer in dem Bewusstsein, dass dieses Juwel vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten bleibt mit einem positiven Impact. Das geht nicht umsonst. Ich kann nicht einen hohen Standard ansetzen für faktenbasierten Journalismus linear und digital, dazu neue Nutzerkontakte vorschreiben, dann aber sagen: Aber kosten darf das nichts!“
Die Nerven liegen blank
Wie blank die Nerven inzwischen liegen, zeigte die Reaktion Hasselfeldts auf den Beitrag einer SZ-Journalistin, die den Schulterschluss zwischen Politik und Medien rundweg ablehnte und das Wort „Zwangsgebühren“ für legitim hielt. Es sei nun einmal ein Zwang, diese Abgaben zu zahlen. „Dann müssen Sie aber auch von Zwangssteuern sprechen“, giftete Hasselfeldt zurück, die ansonsten auch das Lied der ARD sang. Es verdiene „Anerkennung“ wie „die 16 Sender da auf einen Nenner gekommen“ seien. Die Herausforderung sei, „auf die Menschen in den Regionen zuzugehen. Das wird von der ARD in ihren Landesanstalten gemacht aber auch bei uns, beim ZDF, auch wenn man das bei einem zentralen Sender ja nicht so vermutet.“
Der „Bild“-Chefreporter Paul Ronzheimer, dem bescheinigt wurde, dass er mit seinem Podcast den Ausspielungsweg via „Bild“ nicht mehr nötig habe, gab am letzten Tag dazu eine Handlungsanleitung. „Wenn ich mit den Leuten rede, darf ich sie nicht verarschen.“ Das war wiederum ein Stichwort für Claus Grewenig vom Privatsenderverband Vaunet und RTL, der die Umsetzung des Reformstaatsvertrags eine „Mogelpackung“ nannte, sei es, was die Deckelung der Ausgaben für Sportrechte angeht („200 bis 300 Millionen pro Jahr wäre immer noch viel gewesen - da hat man eine große Chance vertan“), als auch die Reduktion der Radiosender von 69 auf 53 eher als Luftnummer abtat. „Es gibt so viele Ausnahmeregeln und Kooperationen“. Aber auch er mochte das duale System nicht in Frage stellen: „Wir wollen das Thema Legitimität lieber nicht aufmachen.“ Die Intendantin von Radio Bremen, Yvette Gerner, verteidigte dagegen das Tempo bei der Umsetzung des der Staaatsvertrags: „Wir legen Programme zusammen, um mehr Geld für die digitalen Programme umzushiften. Es geht darum wie wir den Auftrag erfüllen. Es ist extrem arbeitsaufwändig, mit den Public-Value-Angeboten Vertrauen zu schaffen in das Funktionieren einer Gesellschaft.“
Dass dabei KI hilfreich sein könnte, meinte Marie Kilg, Chief AI Officer bei der Deutschen Welle: „KI kann einem bei jedem dieser Schritte – Research, Produktion, Distribution und Interaktion mit den Usern – helfen. Die Arbeit mit Wissen, mit Informationen war noch nie so einfach wie heute.“ Ihre US-Kollegin Karen Hao ist da skeptisch. Sie fürchtet die Erosion des Schutzes von geistigem Eigentum und verwies auf die immensen Umweltbelastungen durch hohen Energiebedarf und Wasserverbrauch der KI-Server.
Man kann aber auch auf Oliver Kalkofe hören: „Wir sollten als Medien Menschen auch wieder ernst nehmen und ihnen die Möglichkeit zum eigenen Denken anbieten, indem wir nicht alles vereinfachen, verkürzen und auf Schlagzeilen reduzieren. Nicht auf jeden Erregungszug aufzuspringen und die Pfeife zu tröten und den Shitstorm lieber selbst zu hinterfragen, statt ihn mit dem Ventilator großflächig zu verteilen nach dem Motto: Dumm klickt gut!“

vor 13 Stunden
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