Ukraine: Russland verschleppt das Gespräch mit Selenskij

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Die Aussichten auf ein baldiges Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenskij schwinden. Der Kreml zögerte eine eindeutige Zusage zunächst hinaus und widersprach schließlich dem Zeitplan, den Bundeskanzler Friedrich Merz zuvor ins Spiel gebracht hatte. Der Kanzler hatte betont, es sollte zu einer Zusammenkunft innerhalb von zwei Wochen kommen. Ein baldiges Gipfeltreffen sei unrealistisch, erklärte jedoch der russische Außenminister Sergej Lawrow am Wochenende. „Putin ist bereit, sich mit Selenskij zu treffen, wenn eine Tagesordnung für den Gipfel vorbereitet ist. Und diese Tagesordnung ist überhaupt noch nicht fertig“, sagte er dem US-Sender NBC.

Russland spielt damit einmal mehr auf Zeit. Vor einem solchen Treffen müssten gewisse Punkte geklärt sein, sagte Lawrow. Gemeint waren etwa die russischen Forderungen nach Gebietsabtretungen und ein ukrainischer Verzicht auf eine Mitgliedschaft in der Nato. Lawrow machte die Ukraine verantwortlich für den stockenden Prozess. Der ukrainische Präsident hatte sich allerdings mehrfach zu einem Waffenstillstand bereit erklärt und in Aussicht gestellt, über vorübergehende Gebietsabtretungen zu sprechen, den umkämpften Donbass davon aber ausgenommen.

Bedrohlich Aussichten am Unabhängigkeitstag der Ukraine

Russland hingegen rückt von seinen Maximalforderungen im Krieg gegen die Ukraine nicht ab. Moskau will die Ukraine unter Anderem zwingen, ihre Armee drastisch zu verkleinern und Territorien aufzugeben. Russland hält knapp 20 Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt und beansprucht auch Gebiete im Osten des Landes, die es gar nicht kontrolliert.

Präsident Selenskij reagierte auf die bedrohlichen Aussichten am 34. Unabhängigkeitstag der Ukraine, indem er seinen Landleuten am Sonntag Mut zusprach. Dreieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn prophezeite er allen Widrigkeiten zum Trotz eine bessere Zukunft für sein von Russland überfallenes Land. „Wir werden eine Ukraine schaffen, die genügend Kraft und Potenz hat, um in Sicherheit und Frieden zu leben“, versprach Selenskij in seiner Ansprache, die über Telegram verbreitet wurde.

Auch militärisch setzte die Ukraine am Wochenende Zeichen, um zu zeigen, dass sie die Gegenwehr nicht aufgibt. Die ukrainische Armee griff offenbar mit Drohnen russisches Gebiet an. Nahe einem Atomkraftwerk im grenznahen, westrussischen Kursk schoss Russland eine Kampfdrohne ab. Ein Transformator für die Stromversorgung des Kraftwerks wurde offenbar beschädigt und das Kernkraftwerk in Teilen heruntergefahren.

Allerdings sind Kiews Mittel der Gegenwehr begrenzt, was auch damit zu tun hat, dass die USA die Ukraine offenbar schon seit Monaten daran hindern, militärische Ziele weit im russischen Hinterland mit amerikanischen Raketen anzugreifen. Die Erlaubnis, sogenannte Atacms einzusetzen, sei blockiert. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth habe im Rahmen eines Prüfverfahrens das letzte Wort für solche Angriffe, meldete das Wall Street Journal am Wochenende. Auch der britische Storm-Shadow-Marschflugkörper, der mit US-Daten arbeitet, soll davon betroffen sein.

Der Ukraine, die auf dem Gefechtsfeld unter großer Bedrängnis ist, nimmt das die Möglichkeit, militärische Ziele in Russland anzugreifen, die für die Fortsetzung des Kriegs bedeutsam sind. Mindestens einmal soll der Ukraine dem Bericht zufolge die Erlaubnis verweigert worden sein, Atacms einzusetzen.

Der frühere US-Präsident Joe Biden hatte deren Einsatz im November, kurz vor Ende seiner Amtszeit, genehmigt und damit einem lange von der Ukraine geäußerten Wunsch entsprochen. Sein Nachfolger Donald Trump hatte diese Entscheidung seinerzeit als „dumm“ bezeichnet. Doch sind seine Äußerungen widersprüchlich. Nun kritisierte Trump am 21. August seinen Vorgänger Biden dafür, Kiew nicht erlaubt zu haben zurückzuschlagen. Die Ukraine müsse sich zur Wehr setzen, sagte er, was nicht passt zum Vorgehen seines Verteidigungsministers Hegseth.

Statt auf einem schnellen Treffen zu bestehen, um Russland unter Zugzwang zu setzen, hat Trump es nun vorgezogen, Moskau eine weitere Zwei-Wochen-Frist einzuräumen. In dieser Zeit soll Putin seine Bereitschaft zeigen, den Krieg zu beenden. Geschehe dies nicht, werde er, Trump, eine „sehr wichtige Entscheidung“ fällen, schrieb er. Er drohte mit massiven Sanktionen und massiven Zöllen, oder aber seine Regierung werde sich aus den Verhandlungen um einen Frieden herausnehmen und „sagen, es ist euer Kampf“.

Unklar bleibt weiterhin, wie in einem Friedensprozess Sicherheitsgarantien für die Ukraine ausgestaltet werden. Kiew drängt auf eine Absicherung mittels internationaler Truppen in der Ukraine. Trump lehnt US-Bodentruppen ab und spricht von Unterstützung aus der Luft. Nun soll die Ukraine nach einem Telefonat mit US-Außenminister Marco Rubio offenbar ihre wichtigsten Anforderungen ausformulieren.

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