TV-Kritik: Maischberger: Der Zement der Wähler ist noch flüssig

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Der Bundeskanzler bittet die Bevölkerung um die „notwendige Ausdauer“. Man habe ja gerade erst angefangen, sagte er leicht indigniert bei seiner Haushaltsrede im Deutschen Bundestag; die ewig kritischen Beobachter sollten doch bitte bedenken: Gut Ding will Weile haben. Nach dem „Herbst der Reformen“ werde ein Winter, ein Frühling, ein Sommer und auch noch einmal ein Herbst kommen.

Bei Sandra Maischberger fühlen sich die eingeladenen Journalisten von dieser Quattro-Stagioni-Rhetorik offenbar so provoziert, dass sie sich in bissiger Skepsis überbieten. Petra Gerster, die Grande Dame des ZDF, hat bei Merz eine „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ vermisst und fühlt sich von der verspäteten Deutschen Bahn in ihrer nationalen Melancholie bestätigt. Hans-Ulrich Jörges erinnert wehmütig an Gerhard Schröders Elan und erwartet von „lazy Fritz“ nichts: „Ich setze auf gar nichts mehr, es wird nichts passieren.“ Und auch Kristina Dunz weiß jetzt schon, dass Merz sich nicht trauen wird, etwas Großes zu tun. Was er fordere, sei „zu banal und zu klein“. Meine Güte: Das klingt ja wirklich nicht nach guter Laune. Das klingt eher nach Deutschland-Dämmerung und professioneller Politikverdrossenheit.

Schickt die Sonne eine Rechnung?

Ein bisschen mehr Leichtigkeit bei der Politikvermittlung, das wäre doch was. So wie in den New Yorker „Sex and the City“-Videos von Annalena Baerbock. Oder – für die Liebhaber des etwas schwereren Faches – in den fetischhaften Wurstvideos von Markus Söder. Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, die im Bundestag gerade dem Kanzler angestrengt aufmüpfig angedeutet hat, dass er es nicht kann, kommt aus dem Rheinland und findet ein bisschen mehr lustige Leichtigkeit an sich gut. Aber nur, solange sie ihren ästhetischen Ansprüchen genügt.

Nicht besonders ansprechend findet sie zum Beispiel, was Gitta Connemann, Parlamentarische Staatssekretärin im CDU-geführten Wirtschaftsministerium, zum Thema Versorgungssicherheit sagt. Mit ihr liefert sich Dröge einen ziemlich harschen Schlagabtausch über die Frage, ob Sonne und Wind eine Rechnung schicken oder nicht. Also, ob der noch konsequentere Ausbau der erneuerbaren Energien die Strompreise senken oder erhöhen würde. Dröge ist sich sicher: Wer die Energiewende gefährdet, der ist verantwortlich für höhere Energiepreise. Während Connemann fordert: „Weg mit den Subventionierungen.“
Mit Leichtigkeit allein geht’s nicht

Mit Leichtigkeit allein gehts nicht

Die beiden Frauen streiten dann ausführlich über abwesende Männer: ob Robert Habeck die neue Gaskraftwerksstrategie der Bundesregierung gut oder schlecht gefunden, ob Friedrich Merz zu viele Versprechen gebrochen hätte und warum Markus Söder der eigentliche Verantwortliche für die hohen Strompreise in Deutschland sei (natürlich, weil er den Ausbau der Windenergie verhindert hat).

Dass der Strom in Deutschland zu den teuersten in Europa gehört und dieses Land bald ein handfestes Problem mit seiner Versorgungssicherheit bekommen könnte, darauf hat nicht die CDU-Mittelstandsbeauftragte, sondern die Bundesnetzagentur in einem gerade erschienenen Bericht hingewiesen. Allein mit Leichtigkeit kommen wir also doch nicht weiter.

Besorgter Blick auf blaue Balken

Für die nötige Schwere sorgt an diesem Abend wie so oft der besorgte Blick auf die blauen Balken. Die AfD habe ihre Wählerschaft in NRW einzementiert, so wird in der Sendung eine Kommunalpolitikerin der AfD zitiert. Aber das alte Schlachtorakel Jörges beruhigt: „Der Zement ist noch flüssig.“ Na, dann gibt es ja vielleicht doch noch ein Herauskommen aus dem steinernen Sog. Bekanntlich entledigt sich ja die italienische Mafia ihrer Gegner, indem sie sie einzementiert oder einmauert – ob das wirklich schon der passende Vergleich für die bundesrepublikanischen Verhältnisse ist?

DSGVO Platzhalter

Zumindest hat der Politik- noch keinen Stimmungswechsel im Land zur Folge gehabt. Das liegt auch daran, so meint das Journalisten-Triumvirat, dass nicht klar sei, wohin das viele Geld des Sondervermögens genau fließe. Wo sind denn all die Brücken, wird gerufen, und wo ist die Website, auf der man den Fortschritt der Bauvorhaben und Reformankündigungen mitverfolgen kann?

Kein schlechter Vorschlag: den kräftig steuerzahlenden Bürger einmal dadurch Respekt zu zollen, dass man ihm zeigt, was mit seinem Geld gemacht wird. Und vor allem, wie lange es noch dauert, bis es zum Einsatz kommt.

Schneller als jeder Brückenpfeiler wächst in Deutschland jedenfalls die Angst vor dem Untergang der Demokratie. Peter Neumann, Londoner Extremismusexperte, der inzwischen vor allem als politerklärende Allzweckwaffe auftritt, hat ein Buch mit dem traurigen Titel „Das Sterben der Demokratie“ geschrieben und darin offenbar festgestellt, die Menschen in allen westlichen Demokratien seien sehr unzufrieden mit der Politik. Die Löhne stagnierten, die Migration geschehe zu schnell und in zu großem Ausmaß, die Politik der etablierten Parteien werde als nicht handlungsfähig gewertet.

Lieferismus-Denken

Genau dort aber, so Neumann, könne ein Gegengift ansetzen: wenn der Staat wieder handelt und umsetzt. Am besten drei Themen wählen, so sein Rat – „sagen wir: Migration, Bürgergeld und Deutsche Bahn“ – und da an konkreten Verbesserungen arbeiten. Einem konventionellen „Lieferismus“-Denken folgend, das meist in dem schlappen Satz kulminiert, der Staat müsse die Probleme seiner Bürger lösen (wie eine Sanitärfirma, die einen verstopften Abfluss repariert), tritt Neumann hier als professionell liberales CDU-Mitglied auf. Als jemand, der von „Debatten“ spricht, aber vor allem Schlagworte wiederholt: „Polarisierung der Gesellschaft“, „Rechtsruck“, „Aushöhlung von Institutionen“. Alles schon zigmal gehört und verstanden – aber zu einer überzeugenden Argumentation gegenüber einem AfDler gereicht hat es trotzdem nie.

Nur einmal blitzt bei Neumann noch das Ethos des Wissenschaftlers hervor, als er nämlich davor warnt, den historisch klar konnotierten Faschismus-Begriff reflexhaft auf die neue Rechte zu übertragen. Es handele sich viel eher um eine schleichende Aushöhlung der Demokratie, um die langsame Ausweitung der Grenzen des Sagbaren. Was in Amerika geschehe, sei „die Vorhut einer rechtspopulistischen Revolution“, prophezeit Neumann; deshalb sei auch die AfD unlängst zu Gast im Weißen Haus gewesen.

Vollzieht sich in Deutschland also gerade doch eine Stimmungswende? Rückt die Gesellschaft unbemerkt von Politik und Medien immer weiter nach rechts? Und wenn ja, lautet dann nicht die entscheidende Frage: Fühlen sich die Deutschen im Winter vielleicht sogar noch rechter als im Sommer? Und was wird aus den Reformen, wenn der Herbst einfach nicht kommt? Für das kommende Wochenende jedenfalls sind noch mal 30 Grad angesagt. Zeit für ein bisschen Leichtigkeit.

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