Streit um Bürgergeld-Plan der Regierung: 1000 Euro Prämie fürs Arbeitengehen?

vor 1 Tag 1

Ja, findet Christian Latz

Manchmal ist es in aufgeladenen Debatten wie der Anschubprämie besser, man lässt die reinen Zahlen sprechen: Tausend Euro sollen Langzeitarbeitslose bekommen, wenn sie eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufnehmen und mindestens ein Jahr im neuen Job bleiben. Beziehen sie zuvor wieder Bürgergeld, zahlt der Staat nichts. Behalten sie den Arbeitsplatz mindestens zwölf Monate, erhalten sie zwar die tausend Euro, das Sozialsystem spart in der Zeit jedoch mehr als 25.000 Euro.

Es wäre ein gutes Geschäft für den Staat. Erst recht, weil danach die berechtigte Hoffnung besteht, eine Person, die lange Zeit arbeitslos war, womöglich langfristig wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zu verlieren hat der Staat wenig. Niemand wird freiwillig langzeitarbeitslos, nur um anschließend die Prämie zu erhalten.

Gewisse Mitnahme-Effekte wird es geben. Manche, die nach einiger Zeit als Bürgergeldbezieher aus eigenem Antrieb einen neuen Job beginnen, werden das Handgeld gerne zusätzlich nehmen. Aber dies wird die ökonomischen Vorteile für den Staat und somit auch für alle, die diesen Staat durch ihre Steuern finanzieren, nicht aufwiegen. Auch deshalb sprechen sich viele Ökonomen und Arbeitsmarktexperten für die Idee aus.

Der Staat hat wenig zu verlieren.

Christian Latz

Daneben steht die moralische Frage. Wer täglich hart arbeiten geht, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, dürfte die Anschubprämie für Langzeitarbeitslose leicht als Hohn empfinden. Eine Belohnung für jene, die sich bislang um Arbeit gedrückt haben – denn offensichtlich, so der Eindruck, können sie ja arbeiten.

Es ist ein negatives Gefühl, ein Groll, der so entsteht. Gegen diese Emotionen lässt sich mit rationalen Argumenten nur schwer ankommen.

Die Aufgabe einer Regierung ist es jedoch, sich bei ihren Entscheidungen nicht von solchen Gefühlen und Stimmungen leiten zu lassen. Auf Kritik aus der Bevölkerung muss sie eingehen, eine emotional geführte Debatte in der Bevölkerung im Zweifel aber auch aushalten, wenn sie bessere Argumente hat.

Was nicht heißt, dass die Ampel allein mit der Prämie von der Aufgabe befreit wäre, die großen Probleme im Sozialsystem ernsthaft anzugehen. Es gibt für Leistungsempfänger aktuell Fehlanreize und teils fehlenden Druck, die verhindern, dass manche mehr arbeiten oder einen Job anfangen.

Am Ende werden auch die 1000 Euro weder den Fachkräftemangel in Deutschland noch die zu hohe Arbeitslosigkeit und die grundsätzlichen Probleme im Sozialsystem lösen. Dafür braucht es tiefgreifende Reformen.

Das heißt jedoch nicht, dass die Bundesregierung die Maßnahme nicht zumindest testen sollte. Der Staat hat wenig zu verlieren.


Nein, findet Ariane Bemmer

Positive Verstärkung ist ein guter Tipp für Erziehungsfragen. Loben statt Tadeln, weil es schöner ist, Nettes zu hören als angemeckert zu werden. Das wirkt bei Hunden und bei Kindern. Aber das ist doch kein Konzept für Menschen, die keiner Arbeit nachgehen und daran nichts ändern wollen, weil sie mit dem Bürgergeld, sonstigen Sozialleistungen plus möglicherweise ein bisschen Jobben nebenbei gut genug leben.

An genau die aber richtet sich die Idee einer Prämie von 1000 Euro, die ab 2025 gezahlt werden soll, wenn ein Bürgergeldempfänger, eine Bürgergeldempfängerin sich bereitfindet, ein ganzes Jahr am Stück zu arbeiten. Oder an wen sonst? Wohl kaum an diejenigen, die erwiesenermaßen psychisch oder physisch nicht in der Lage sind, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die können ja nicht.

Bleiben diejenigen, die nicht wollen. Die will man mit den 1000 Euro locken. Aber das heißt doch am Ende nichts weniger, als dass ihre unsoziale Einstellung dem Gemeinwesen gegenüber noch belohnt wird. Will man das wirklich?

Und die Gegenrechnung, dass die 1000 Euro schnell wieder drin sind, wenn jemand Sozialversicherungsbeiträge einzahlt, statt Bürgergeld zu bekommen, zieht doch insofern nicht, als man auch anders Druck ausüben könnte.

Die Prämie dagegen treibt vor allem jene auf die Palme, die nicht nur ein Jahr, sondern womöglich mehrere Jahre, gar Jahrzehnte lang arbeiten gehen, von montags bis freitags, Woche um Woche, sommers wie winters. Unglaublich, gell?, möchte man rufen im Lichte der neuen Kabinettspläne, die je nach Zustimmung mal „Anschubfinanzierung“, mal „Arsch-hoch-Prämie“ genannt werden.

Wer der Namenvariante zwei zuneigt, erinnert sich vielleicht an sogenannte „Anwesenheitsprämien“, mit denen manche Firmen ihre Mitarbeiter belohnen, wenn die sich nicht so oft krankmelden. Auch so ein Umstand, bei dem sich die regelmäßig Werktätigen die Augen reiben. Wie bitte?

Es sieht so aus, als suche Deutschland sein Heil in Prämien für Selbstverständlichkeiten. Spötter freuen sich schon auf Belohnungen fürs Nicht-über-rote-Ampel-Fahren oder Nicht-Stehlen im Supermarkt. Aber nur lustig ist das alles nicht.

Das Anschubfinanzierungsvorhaben sendet das verheerende Signal in die Welt der verhaltensunauffälligen Beschäftigten, dass sie womöglich etwas falsch machen. Denn es sind ihre Löhne und Gehälter, von denen wachsende Teile abgezogen werden, um jenen Annehmlichkeiten zu verschaffen, die sich weniger sozial und pflichtbewusst verhalten.

Und ganz am Rande: 1000 Euro sind ein Betrag, mit dem die Politik gern herumwirft, ohne ihn näher zu begründen. Vielleicht hält man ihn für nicht so hoch. Dann hat man aber vergessen, dass das durchschnittliche Nettoeinkommen aller Beschäftigten in diesem Land bei 2400 Euro pro Monat liegt. Da machen 1000 Euro, die andere geschenkt bekommen, durchaus Eindruck.

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