Von den neun Atommächten arbeiten laut den Forschern des Sipri fast alle an der Modernisierung ihrer Nuklearwaffen. Es gebe weitaus mehr Risiken als in der Vergangenheit.
16. Juni 2025, 2:36 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, epd, sue
Die seit Jahrzehnten rückläufige Zahl der Atomwaffen in der Welt könnte nach Einschätzung von Friedensforschern bald erstmals wieder steigen. Die weltweiten Atomwaffenarsenale würden modernisiert, bestehende Waffen nachgerüstet und neuere Versionen hinzugefügt, schreibt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem Jahresbericht. Ein gefährliches neues nukleares Wettrüsten zeichne sich ab.
"Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende", sagte Sipri-Experte Hans Kristensen. "Stattdessen beobachten wir einen klaren Trend hin zu wachsenden Atomwaffenarsenalen, verschärfter nuklearer Rhetorik und der Aufkündigung von Rüstungskontrollabkommen", fügte er hinzu. Fast alle neun Atommächte arbeiten laut dem Institut an der Modernisierung und Aufrüstung ihrer Arsenale. Zugleich würden die Mechanismen zur Waffenkontrolle deutlich geschwächt.
Atomwaffen "keine Garantie für Sicherheit"
Die Forschenden warnten eindringlich vor den Risiken eines neuen nuklearen Wettrüstens. Es sei mit weitaus mehr Risiken und Unsicherheiten verbunden als in der Vergangenheit, sagte Sipri-Direktor Dan Smith. Sipri-Forscher Matt Korda sagte, es sei wichtig, daran zu erinnern, dass Atomwaffen keine Garantie für Sicherheit seien. Das habe die Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan im Frühjahr deutlich gezeigt. "Atomwaffen können Konflikte nicht verhindern", sagte Korda.
Ferner führen technologische Entwicklungen etwa in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), Cyber-Fähigkeiten, Weltraumressourcen, Raketenabwehr oder Quantenphysik laut Sipri zu einer radikalen Neudefinition der nuklearen Fähigkeiten, der Abschreckung und der Verteidigung, heißt es im Bericht. So würden KI und andere Technologien die Entscheidungsfindung in Krisensituationen beschleunigen. Zudem steige das Risiko, dass ein nuklearer Konflikt aufgrund von Fehlkommunikation, Missverständnissen oder technischen Unfällen ausbrechen könnte.
Der weltweite Bestand der Atomwaffen ist seit den Spitzenzeiten des Kalten Krieges vor rund vier Jahrzehnten deutlich und kontinuierlich gesunken. Dies ist jedoch hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Russland und die USA ausrangierte Sprengköpfe nach und nach demontieren. Bei der Zahl der einsatzfähigen Atomwaffen beobachtet Sipri dagegen schon seit Längerem einen Anstieg.
2.100 Atomsprengköpfe weltweit in hoher Einsatzbereitschaft
Die neun derzeitigen Atomwaffenstaaten Russland, USA, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel verfügten nach Sipri-Schätzungen im Januar 2025 über 12.241 Atomsprengköpfe. Rund 9.614 davon befanden sich den Angaben zufolge für den potenziellen Einsatz in militärischen Lagerbeständen. Schätzungsweise 3.912 der Sprengköpfe wurden demnach bereits auf Raketen oder auf aktiven Stützpunkten platziert, rund 2.100 davon werden in hoher Einsatzbereitschaft gehalten.
Sipri wies darauf hin, dass es demnächst keine vertraglich festgelegten Rüstungskontrollen zwischen Russland und den USA mehr geben werde. Die letzte verbliebene Abmachung, das New-Start-Abkommen, sei noch bis Anfang 2026 in Kraft. Es gebe keine Anzeichen für Verhandlungen über eine Erneuerung oder einen Ersatzvertrag.
Sipri steht für Stockholm International Peace Research Institute. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des unabhängigen Instituts widmen sich der Erforschung von gewaltsamen Konflikten, Sicherheit und Frieden. Forschungsschwerpunkt ist die quantitative Datenerhebung zu globalem Waffenhandel, staatlichen Rüstungsausgaben und Abrüstung.