Sicherheitspolitik: Trump degradiert Selenskij zum Zaungast beim Nato-Gipfel

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Eine Einladung beim König ist ja vielleicht nicht der schlechteste Trostpreis. Zum Staatsbankett mit Seiner Majestät König Willem-Alexander und Ihrer Majestät Königin Máxima auf Schloss Huis ten Bosch darf schließlich nicht jeder. Man kann das schon als „exklusiv“ bezeichnen.

Das ändert allerdings nichts daran, dass es für den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij eben doch nur ein Trostpreis war, an dem festlichen Eröffnungsabendessen teilnehmen zu dürfen, mit dem am Dienstagabend das Nato-Gipfeltreffen in Den Haag begann. Die niederländische Regierung wollte mit dem Dinner wohl vor allem den amerikanischen Präsidenten Donald Trump beeindrucken, der gekrönte Häupter und Paläste mag. Aber der Empfang beim Monarchenpaar war auch eine gute Gelegenheit, den Ukrainer zu würdigen und in einen Saal mit den 32 Staats- und Regierungschefs der Nato zu setzen.

Wichtige Treffen finden mit Selenskij außerhalb des offiziellen Programms statt

Während des Rests des Gipfeltreffens, der nur noch aus einer zweieinhalbstündigen Arbeitssitzung am Mittwochmittag besteht, wird Selenskij hingegen eher wie ein unerwünschter Zaungast behandelt. Für Dienstag ist ein Treffen des Ukrainers mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa vorgesehen. Auf der Internetseite der Allianz wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „das kein offizieller Teil des Programms“ des Nato-Gipfels ist.

Zudem wird der sogenannte Nato-Ukraine-Rat, der 2023 eingerichtet wurde und in dem die Ukraine gleichberechtigt mit den Nato-Staaten an einem Tisch sitzt, in Den Haag nur auf der Ebene der Außenminister tagen, nicht auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Zwar mag es am Rand des königlichen Dinners zu Begegnungen und Gesprächen zwischen Selenskij und einzelnen Kolleginnen oder Kollegen aus den Nato-Staaten kommen. Aber es wird für den ukrainischen Präsidenten keine förmliche Gelegenheit geben, mit allen 32 Staats- und Regierungschefs über die Lage in seinem Land und die Hilfe, die sie ihm geben wollen, zu sprechen.

Der Grund für diese Missachtung hat einen Namen: Donald Trump. Das Weiße Haus hat, so erzählen es Diplomaten, bei der Zusammenstellung des Programms sehr darauf geachtet, dass Selenskij keine allzu große Rolle bekommt. Denn zum einen ist der wichtigste Gast natürlich der Mann aus Amerika, der den Europäern eine beispiellose Erhöhung der Verteidigungsausgaben abgerungen hat. Für diesen Sieg will sich Trump in Den Haag feiern.

Der US-Präsident sieht im ukrainischen Präsidenten ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden

Zum anderen gilt das Verhältnis zwischen Trump und Selenskij seit jenem denkwürdigen Streit im Oval Office Ende Februar als zerrüttet. Trump sieht den ukrainischen Präsidenten als Hindernis auf dem Weg zum Frieden in der Ukraine – fast mehr noch, so könnte man zuweilen meinen, als den russischen Machthaber Wladimir Putin. Allen gelegentlichen Drohungen in Richtung Moskau zum Trotz hat Trump bisher keine Anstalten gemacht, Russland zum Beispiel durch härtere Sanktionen zu Zugeständnissen zu zwingen. Trump lamentiert über die russischen Angriffe auf die Ukraine, zeigt aber wenig Interesse, etwas dagegen zu tun.

Diese Haltung spiegelt sich auch deutlich in dem Abschlussdokument wider, das bei dem Gipfel in Den Haag verabschiedet werden soll. Die Nato entscheidet im Konsens, das heißt, jedes Wort muss von allen 32 Mitgliedsländern abgenickt werden. Das gibt jeder Regierung ein Vetorecht bei allen Formulierungen. Und der knapp einseitigen Gipfelerklärung ist deutlich anzumerken, wie sehr die USA bei den Passagen auf der Bremse gestanden haben, in den es um den Krieg im Osten Europas geht. Mehr als vage festzuhalten, dass „Russland schlecht“ sei und „die Ukraine gut“, sei mit der Trump-Regierung nicht zu machen gewesen, sagt ein Diplomat.

Die Ukraine, deren Abwehrkampf gegen Russland beim Nato-Gipfel in Washington vor einem Jahr noch als „heroisch“ gefeiert und der umfassende Hilfe versprochen wurde, wird in dem Dokument nur ein einziges Mal erwähnt. Sie kommt eher nebenbei in der Passage vor, in der es um die Berechnung der Verteidigungsausgaben geht. In einem Halbsatz sagen die Nato-Staaten dort dem Land weitere Unterstützung zu. Ein Verweis auf die künftige Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato fehlt völlig – Trump ist strikt dagegen.

Der Rückschritt für die Ukraine ist ein Fortschritt für Russland

Europäische Nato-Diplomaten, die gern stärkere Passagen zur Ukraine in dem Dokument gesehen hätten, trösten sich und Kiew mit einem allenfalls halb überzeugenden Argument: Da das Den Haager Dokument ja keine neuen Festlegungen enthalte, gälten die Zusagen von früheren Gipfeln wie dem in Washington einfach weiter, wonach die Ukraine auf einem „unumkehrbaren Weg“ in die Allianz sei.

Förmlich mag das stimmen: Einstimmig getroffene Aussagen gelten, bis sie einstimmig revidiert werden, was in Den Haag nicht passiert. Realpolitisch gesehen ist der magere Den Haager Text aber ein Schlag für Selenskij. Die Aussicht, sein Land in absehbarer Zeit in die Nato führen zu können, dürfte sich erledigt haben.

Der Rückschritt für die Ukraine ist ein Fortschritt für Russland: Beim Gipfel 2024 in Washington, als Joe Biden noch US-Präsident war, wurde Russland als „die bedeutendste und direkteste Bedrohung“ für die Sicherheit aller Nato-Staaten bezeichnet – zweimal Superlativ. Putin habe durch seinen Überfall auf das Nachbarland „Frieden und Stabilität in Euro-Atlantik-Raum“ zertrümmert und die „globale Sicherheit schwer beschädigt“, stellten die Nato-Regierungen damals fest.

Das Den Haager Abschlussdokument, an dem Trumps Leute mitgeschrieben haben, ist weit zurückhaltender. Russland firmiert darin nur noch „eine Bedrohung“ unter etlichen anderen. Immerhin: Die europäischen Regierungen konnten durchsetzen, dass Russland wie in Washington wieder als Gefahr für „die euro-atlantische Sicherheit“ definiert wird. Das heißt: Putins Krieg bedroht nicht nur Europa, sondern – zumindest auf dem Papier – auch Amerika.

Wie ernst Trump das wirklich meint, ob er die USA tatsächlich von Russland bedroht sieht, ist allerdings längst nicht so klar, wie es klingt. Beim jüngsten G-7-Gipfel in Kanada plädierte er ja bereits dafür, Russland wieder als Mitglied in die Staatengruppe aufzunehmen. Beim Nato-Gipfel in Den Haag ist Selenskijs Verbannung an den, wenn man es so sagen will, diplomatischen Katzentisch ein Symbol für Trumps Sichtweise – selbst wenn dieser Tisch in einem Königsschloss steht.

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