Eistonne und Pizza: Die Uhr tickte schon bedrohlich. Drei Minuten noch ohne Treffer, und die deutsche U21 hätte 30 Minuten doppelte Überzahl gegen Italien torlos verschwendet. Statt direkt ins Halbfinale wäre es ins Elfmeterschießen gegangen, von dort vielleicht nach Hause. Dann aber tat Merlin Röhl das, was man im Fußballersprech gern »sich ein Herz fassen« nennt: Gut 16 Meter vor dem Tor schloss der Freiburger ab, enorm hart, enorm platziert, eiskalt ins kurze Eck, 3:2 (117. Minute). Dem DFB-Team fiel ein Stein vom Herzen, selbst die Ersatzspieler stürmten jubelnd auf den Platz. »Ich bin mausetot und einfach überglücklich«, sagte Mittelfeld-Abräumer Eric Martel nach dem Spiel, Nebenmann Rocco Reitz freute sich auf »Eistonne und Pizza«. Am Mittwochabend folgt das Halbfinale gegen Frankreich, das sich gegen Dänemark durchsetzen konnte.
Von wegen Scheinriese: Schon nach dem Gruppenspiel gegen Tschechien hatte es Nick Woltemade gelangt. »Langsam wird mir mein Kopfballspiel zu schwach gemacht«, beschwerte sich Woltemade. Dessen 1,98 Meter brechen mit der Erwartungshaltung an einen Sturmtank: Woltemade ist ein technisch versierter Dribbler, das weiß inzwischen halb Europa. Nach vielen Sonderschichten am Kopfballpendel ist er nun aber auch: ein feiner Kopfballspieler. Dem Tor gegen die Tschechen ließ der Mann vom VfB Stuttgart gegen Italien das nächste Tor aus der Luft folgen, den wichtigen 1:1-Ausgleich (68.). Die Vorlage für Nelson Weipers 2:1: Per Kopf (87.). Mit nun fünf Toren und drei Vorlagen bleibt Woltemade der überragende Spieler der U21-Europameisterschaft – und steht stellvertretend für einen Trend beim DFB: Auch Weiper und Röhl (je 1,92 Meter) haben für technisch starke Offensivleute Gardemaß, machten selbst robusten Gegenspielern das Leben immer wieder schwer.

Galionsfigur des deutschen Nachwuchsfußballs: Nick Woltemade
Foto: Christian Hofer / Getty ImagesDas Ergebnis: 3:2 (0:0, 2:2) setzt die deutsche U21-Nationalmannschaft sich im EM-Viertelfinale im slowakischen Dunajská Streda gegen hartnäckige Italiener durch. Dafür brauchte es die Verlängerung – und das, obwohl es nach 90 Minuten 2:1 und elf gegen neun zugunsten der Deutschen hieß.
Zwei Teams in einem: In der Vergangenheit blickte man beim DFB schon einmal anerkennend nach England oder Frankreich. Dorthin, wo die Talentförderung nicht nur ein paar Ausnahmekönner hervorbrachte, sondern sich auf jeder Position auch eine zweite und dritte Reihe von höchster Qualität fand. Der aktuelle U21-Jahrgang scheint den Spieß umzudrehen: Die Engländer besiegten beim 2:1 zum Abschluss der Gruppenphase eine deutsche Elf, die Bundestrainer Antonio di Salvo auf jeder einzelnen Position verändert hatte. Kräfte für die K.-o.-Phase wurden also gespart, gegen Italien stand die etatmäßige erste Mannschaft wieder auf dem Platz.
Von Sardinien nach Hannover: Im Vorfeld der Partie erhielt diesmal Woltemades Sturmpartner das Gros der Aufmerksamkeit: Nicolò Tresoldi, 20 Jahre alt, wurde in Cagliari auf der italienischen Insel Sardinien geboren. Entsprechend motiviert trat der Sohn von Ex-Profi Emanuele Tresoldi vor dem Viertelfinale auf. »Ich habe richtig Bock«, so Tresoldi, der kommende Saison für den FC Brügge auflaufen wird. »Die sollen herkommen.« Dafür, dass Tresoldi sich für Deutschland entschied, darf sich der DFB übrigens bei Deutsch-Italiener di Salvo und dessen Überzeugungsarbeit bedanken – und beim Flughafen Hannover: Weil Mama Tresoldi hier vor zwölf Jahren einen Job als Flugbegleiterin angeboten bekam, zog die Familie aus Italien nach Niedersachsen.

Gesundes Selbstbewusstsein: DFB-Knipser Nicolò Tresoldi gegen die alte Heimat
Foto: Petr David Josek / APEin unbewegliches Objekt: Forsch ging die deutsche Mannschaft in die Partie, Tresoldi (4.) und Woltemade (13.) stapften früh los, um mit mutigen Solos die italienische Dreierkette zu knacken. Gut genug vorbereitet war gegen herausragend organisierte Azzurrini aber keiner der deutschen Angriffe. So verpufften die Anfangsoffensive, nach 20 Minuten gestaltete Italien die Partie bereits völlig offen. Und wurde gefährlich: Nachdem Noah Atubolu eine abgefälschte Flanke nur nach vorn abwehren konnte, traf Wilfried Gnonto das Außennetz (31.). Matteo Pratis Versuch blockte Bright Arrey-Mbi ab (34.). Im Gegenstoß zwang Paul Nebel Italiens Torhüter Sebastiano Desplanches zur Fußabwehr, allzu berühmt war die erste Hälfte der Deutschen dann aber trotzdem nicht.
Born in the USA: Neben der U21-EM beherrscht derzeit die Klub-WM die Schlagzeilen in der Fußballwelt. Oft mit dem Tenor: Dieses Turnier in den USA spricht die einheimische Bevölkerung auch ein Jahr vor der Fußball-Weltmeisterschaft noch nicht so richtig an. Vielleicht sollte sich der US-Verband noch einmal um Luca Koleosho bemühen: Der Mann aus dem US-Bundesstaat Connecticut spielt für Italien die EM, stand schon einmal im Kader Kanadas, könnte auch für Nigeria auflaufen. Festgespielt hat sich Koleosho allerdings noch für keine Nation. Gegen Deutschland war der Außenstürmer stets gefährlich, nach Ballverlust von Brajan Gruda vollendete Koleosho den Konter zum zwischenzeitlichen 1:0 für die Italiener (58.).

Luca Koleosho und Wilfried Gnonto bejubeln den ersten italienischen Treffer des Abends
Foto: Petr David Josek / APEs war einmal ein Deutschland-Schreck: Ein wenig stagnierte zuletzt die Karriere von Koleoshos Sturmpartner Wilfried Gnonto. Der Dribbler mit dem tiefen Körperschwerpunkt war schon einmal fest bei der A-Nationalmannschaft, drei Jahre ist das her, zwei Nations-League-Spiele gegen Deutschland inklusive. Ein Tor und eine Vorlage gelangen Gnonto damals, diesmal lautete seine Bilanz: Gelb-Rot (80.). Als auch noch Mattia Zanotti auf dieselbe Weise vom Platz flog (90.), schien es dem deutschen Nachwuchs möglich, die Angelegenheit in der regulären Spielzeit zu regeln – bis Giuseppe Ambrosino das DFB-Team mit einem direkten Freistoß in den Winkel zum Nachsitzen verdammte (90.+6). Die doppelte Unterzahl überstanden dann aber nicht einmal die tapferen Italiener.