Schöpfer des Cape Town Jazz: dem Pianisten Abdullah Ibrahim zum Neunzigsten

vor 1 Tag 4

Abdullah Ibrahim hat nie viel geredet. Musste er auch nicht. Seine Musik war beredt genug. Wie jene von Mikis Theodorakis, die man verbieten wollte. Aber gerade auf dem Index entwickelt Musik offenbar ihre effektivsten Antikörper gegen staatliche Willkür und Gewalt. Allein das Vor-sich-hin-Pfeifen der Lieder von Theodorakis galt in den dunklen Zeiten der Militärjunta in Griechenland als Zeichen politischen Widerstands. Wer in den bittersten Jahren der Apartheid in Südafrika Abdullah Ibrahims „Mannenberg“ auflegte, musste auf ähnliche Weise damit rechnen, von der regierenden Nationalen Partei der Obstruktion bezichtigt zu werden.

„Mannenberg“ ist eine Jazznummer zum Tanzen, mit ihrem beständig wiederholten Sieben-Töne-Motiv leicht zu memorieren. Unbeschwert ließe sich das melodische Mantra und der wiegende Rhythmus nennen, wenn da nicht der Songtitel wäre, der auf die abgelegene Township Manenberg für „Coloured People“ verweist, die man aus dem für Weiße reservierten zentralen District Six von Kapstadt sukzessive vertrieben hat. Abdullah Ibrahim schrieb das Stück 1974, es wurde schnell zur Hymne des Schwarzen Afrikas, weit über die südliche Region des Kontinents hinaus. Das Album mit dem Titelsong war 1974 und 1975 die bestverkaufte Schallplatte Südafrikas und verschaffte Abdullah Ibrahim den Ruf des Schöpfers eines weltweit Aufmerksamkeit erregenden neuen Genres: Cape Town Jazz.

Konversion zum Islam

Dabei hatte sich der in Kapstadt geborene, früh mit Kirchenmusik vertraute Ibrahim schon zehn Jahre zuvor einen Namen als pianistisches Talent gemacht, das die unterschiedlichsten Stile und Klänge aus dem ethnischen Melting-Pot Südafrikas zusammenführen konnte: klassische Musik, Volksmusik verschiedenster Schattierungen, Jazztöne, afrikanische Perkussion, Hymnen der African Methodist Episcopal Church, für die Ibrahims Mutter den Gottesdienst musikalisch begleitete. Das Rüstzeug für seine Karriere erwarb er sich in zahlreichen Dance-Bands von Kapstadt und Johannesburg, damals noch unter dem Namen Adolph Johannes „Dollar“ Brand, den er erst 1968 in Amerika, nach der Konversion zum Islam, ablegte.

Mit dem Trompeter Hugh Masekela, dem Saxofonisten Kippie Moeketsi und dem Schlagzeuger Makaya Ntshoko gründete er 1959 die Jazz Epistles, eine der ersten Bands in Südafrika, die einen an Thelonious Monk und Charlie Parker orientierten Modern Jazz spielte, zugleich aber auch immer deutlicher die Restriktionen des Apartheid-Regimes zu spüren bekam. Anfang der Sechzigerjahre emigrierte Ibrahim mit seiner Frau, der Sängerin Sathima Bea Benjamin, zunächst in die Schweiz, wo im Café Africana von Zürich Duke Ellington sein Mentor wurde, schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort fand er Anschluss an die Jazzszene von New York mit Don Cherry, John Coltrane und Archie Shepp, kehrte aber immer wieder nach Südafrika zurück, auch um sich bei seinen Auftritten gegen die Apartheidpolitik zu stellen. 1994 gehörte er zu denen, die Nelson Mandelas Amtseinführung musikalisch umrahmten.

Mit seinen oft wie pausenlose musikalische Meditationen zelebrierten Konzerten ist Abdullah Ibrahim in den gut sechzig Jahren seiner Karriere zu einem der originellsten Jazzpianisten geworden. Seit zehn Jahren lebt er im Chiemgau, wo er heute seinen Neunzigsten feiern kann, nicht ohne sich, vital wie eh und je, auf einige Solokonzerte vorzubereiten, die er traditionell um seinen Geburtstag gelegt hat: im Gasthof Hirzinger in Söllhuben! Keine Chance übrigens. Alle Konzerte sind längst ausverkauft.

Gesamten Artikel lesen