Deutsche Meisterschaft im Schach Als hätte er eine Klasse übersprungen
Er hat schon Magnus Carlsen besiegt und ist Vizeweltmeister im Schnellschach geworden: Vincent Keymer ist Deutschlands bester Schachspieler. Nun hat er erstmals die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Ist bald die WM dran?
22.05.2025, 18.19 Uhr

Vincent Keymer
Foto: Marcus Brandt / dpaVincent Keymer ist schon seit Jahren der beste deutsche Schachspieler, Deutscher Meister aber war er noch nie. Nun hat der 20-Jährige sich auch diesen Titel gesichert.
In München spielte Keymer in der achten Runde der Deutschen Meisterschaft remis gegen Rasmus Svane. Dadurch steht Keymer eine Runde vor Schluss uneinholbar an der Spitze des zehnköpfigen Feldes. Keymer gewann bislang sechs Partien, zweimal spielte er unentschieden, am Freitag könnte er das Turnier ungeschlagen beenden.
Eine solch dominante Leistung hat es bei den nationalen Titelkämpfen selten gegeben. »Er rollt über die deutschen Meisterschaften wie ein Zug«, hatte Bundestrainer Jan Gustafsson bereits am vergangenen Dienstag gesagt. Keymer selbst sah sich dem Titelgewinn schon am Mittwoch nach seinem Sieg gegen Europameister Matthias Blübaum nah. »Ich kann die letzten Partien befreit spielen«, sagte Keymer: »Der Titel würde mir sehr viel bedeuten.«
Master, aber nicht Meister
In den vergangenen Jahren wirkte es, als hätte Keymer eine Klasse übersprungen: Er spielte Weltklasseturniere, ohne Deutscher Meister zu sein. Das liegt vorwiegend daran, dass der nationale Titel zuletzt keinen großen Stellenwert hatte. Keymer benötigte ihn schlicht nicht, um als bester deutscher Spieler zu gelten, sein Vorsprung in der Weltrangliste vor der heimischen Konkurrenz war ein deutliches Zeichen.
2022 hatte Keymer außerdem das German Masters dominant gewonnen, ein Turnier der besten Schachspieler in Deutschland, das de facto stärker besetzt war als die Deutsche Meisterschaft. Aber Keymer war eben Masters-Sieger, nicht Deutscher Meister. Ein Kuriosum der deutschen Schachorganisation.
Die Entscheidung, nun doch bei der Meisterschaft anzutreten, traf Keymer mit Blick auf die Schach-WM: Bei der Deutschen Meisterschaft sammelt er Punkte für den sogenannten WM-Zyklus des Weltverbands Fide. Der Spieler, der international am meisten Fide-Circuit-Punkte sammelt, bekommt einen Platz im Kandidatenturnier 2026. Dort wiederum spielt die Schachelite darum, Weltmeister Dommaraju Gukesh herausfordern zu dürfen. Für das Kandidatenturnier könnte Keymer sich auch beim Grand Swiss-Turnier im September in Usbekistan oder beim Schach-Weltpokal in Indien im November qualifizieren, bei beiden Turnieren will Keymer an den Start gehen.
Keymer: WM wäre ein »Traum«
Keymer bezeichnete die Qualifikation für die WM kürzlich als Traum. »Ich versuche, dranzubleiben und einen Schritt nach dem anderen zu machen.« Sein Sponsor Jan Henric Buettner hatte sich Anfang 2024 noch offensiver geäußert. »Ziel ist, dass Vincent Weltmeister wird«, sagte der Multimillionär damals dem SPIEGEL . Ein bisschen WM-Erfahrung hat Keymer auch schon gesammelt: Während des Titelkampfs im vergangenen Jahr arbeitete er als Sekundant für den neuen Weltmeister Gukesh.
Vincent Keymer gilt seit Jahren als das größte deutsche Schachtalent seit Emanuel Lasker, dem bis heute einzigen deutschen Schachweltmeister. Dieser hielt den Titel von 1894 bis 1921. Zu Keymers größten Erfolgen gehören bislang der zweite Platz bei der Schnellschach-WM 2022 sowie der Gewinn des Freestyle-Chess-Turniers in Weissenhaus im vergangenen Februar. Dort besiegte Keymer unter anderem Superstar Magnus Carlsen in der Variante Schach960.
Sponsor Buettner schwärmte damals schon von einem »Boris-Becker-Moment« für Keymer – ein viel zu hoch gegriffener Vergleich. Aber Weissenhaus zeigte: Keymer kann die Besten der Welt schlagen und hat das Zeug, sich für die WM zu qualifizieren.
Die Deutsche Meisterschaft könnte nun ein Meilenstein auf diesem Weg sein.