Ruth Achlama zum Achtzigsten: Eine Liebesgeschichte mit der hebräischen Sprache

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In der Finsternis, die gegenwärtig über ­Israel liegt, ist es ein Lichtblick, über Ruth Achlama zu schreiben. Seit vielen Jahren übersetzt sie die Literatur dieses Landes ins Deutsche und gibt uns Ein­blicke in die Tiefe seiner schwierigen Existenz.

Ende Oktober 1945 kam sie als Renate Böteführ zur Welt, ein deutsches Nachkriegskind. Das Datum hilft uns, ihre ­Lebensentscheidungen zu verstehen. In ihrer Generation wusste man noch sehr gut, was kurz zuvor geschehen war, und schon in der Schulzeit begeisterte sie der Pioniergeist des jungen Israel. Als der Sechstagekrieg ausbrach, studierte sie ­Jura in Heidelberg, und sie schloss sich dem jüdischen Studentenverband an.

Die Doppelpoligkeit ihrer Biographie fruchtbar machen

1972 trat sie zum Judentum über. In Heidelberg hatte sie den israelischen Chemiker Abraham Achlama kennen­gelernt, 1974 heirateten sie und zogen nach Tel Aviv. Israel ist ihre Heimat geworden, und den biblischen Namen Ruth hat sie sich nicht zufällig gewählt.

Unter der Oberfläche solcher Daten berühren sich zwei Welten, die in spannungsreicher Beziehung zueinander stehen, und Achlama ist es gelungen, die Doppelpoligkeit ihrer Biographie aufs Schönste fruchtbar zu machen. Gegen Ende der Siebzigerjahre trat die Generation israelischer Schriftsteller, die nach der Staatsgründung zu schreiben begann, erstmals international hervor, und Achlama wurde eine bedeutende, vielfach aus­gezeichnete Kulturvermittlerin zwischen Israel und Deutschland.

„Plötzlich gab es eine große Nachfrage nach Literatur aus Israel“, sagt sie in einem Interview, „aber kaum Übersetzer. Es gab die Jekkes, also die deutschen ­Juden, die aus Nazideutschland geflohen waren. Ihr Deutsch war schön, aber etwas veraltet, Vorkriegs-deutsch. In diese ­Lücke bin ich gestoßen.“ So fand sie den Beruf, der ihr zur Berufung wurde, und in über vier Jahrzehnten hat sie bisher an die hundert Bücher übersetzt.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Es sind zumeist Romane. Ihre Autoren gehören zu den großen Namen der israelischen Literatur – Yoram Kaniuk, Abraham B. Jehoschua, Meir Shalev –, der berühmteste unter ihnen aber ist Amos Oz. Für deutsche Leser repräsentierte er lange sein Land schlechthin, und sie kennen ihn in der Sprache, die Ruth Achlama ihm gegeben hat.

Der autobiographische Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, den Oz nach der Ermordung Jitzhak ­Rabins schrieb, bedeutet ihr viel. Im he­bräischen Original erschien er 2002, im Deutschen 2004, und er bleibt auch heute präsent, denn in der Familiengeschichte des Autors hält er die Tragödie seines Landes fest: die Spaltung zwischen einem tiefen Wunsch nach Frieden und einem nationalistischen Herrschaftsanspruch, die sich kaum überbrücken lässt.

Sie übersetzt Klassiker und junge Autoren

In Interviews und Gesprächen lässt Ruth Achlama keinen Zweifel daran, auf welcher Seite des politischen Spektrums sie steht. Israels Literatur ist ein Sammelbecken pluralistischer, meist liberaler Stimmen, und Ruth Achlama begleitet sie durch ihre Generationen. Sie übersetzt jüngere Autoren und Autorinnen – Yi­shai Sarid, Nir Baram, Ayelet Gundar-Goshen –, aber auch ältere Klassiker wie David Vogel, der seine Werke noch vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa schrieb.

Mit den Novellen von Chaim Nachman Bialik legte sie kürzlich ein Meisterwerk vor. Lange war das Hebräische eine Sa­kralsprache, die im Alltag nicht gesprochen wurde. Ivrith, die Landessprache ­Israels, musste erst geschaffen werden, und an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert war Bialik ein geistiger Vater dieser Renaissance.

Ruth Achlama macht deutschen Lesern jetzt seine Prosa zugänglich und leistet ihrem Land einen guten Dienst. Denn der Zionismus ist nicht nur eine poli­tische Bewegung, er ist auch Teil einer bedeutenden kulturellen Entwicklung. Die Bibel, ein Urtext der westlichen Zivilisation, ist im Hebräischen entstanden, und als Ivrith ist diese Sprache heute wieder ein Teil des täglichen Lebens. In ihr nehmen jüdische und nichtjüdische Israelis am Gespräch der Völker teil, und um diesen Dialog hat sich Ruth Achlama große Verdienste erworben. Am 29. Oktober dürfen wir ihr zum achtzigsten Geburtstag gratulieren.

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