Roman von Fiona Sironic: Sound einer Jugend, die es vielleicht nicht gibt

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Am Anfang war die Turteltaube. Sie war, denn die Ich-Erzählerin Era in Fiona Sironics Debütroman erhält eine Benachrichtigung, dass die Letzte ihrer Art gestorben ist. Die Teenagerin geht zum Schrank und holt ihr Notizbuch, in das sie das Aussterben der Vogelarten akribisch dokumentiert – mit kleinen Steckbriefen, Fotos. Nicht nur den Verlust, auch das Leben dokumentiert sie, denn beides muss man zusammen denken, in den Zeiten, in denen sich das Buch bewegt. Die Natur geht verloren, das Leben geht weiter – eine Klimadystopie also, geschrieben in der Gegenwart?

Nach der Turteltaube kommt die Liebe. Erst über den Bildschirm, denn Era verfolgt Maja in Livestreams. Schließlich sieht Era Maja in echt, im Wald nämlich, dort, wohin die Mädchen samstags gehen und Sachen in die Luft jagen. Die Mädchen sind Maja und ihre Schwester Merle, Töchter von zwei sogenannten „Momfluencern“ – das sind Influencerinnen, die das Leben ihrer Kinder in den sozialen Medien vermarkten. Da kommt ein wenig Ironie auf, denn den Ernst der Lage haben die Mütter nicht erkannt: Sie wollen, dass ihre Kinder „lernen, mit den hohen Erwartungen umzugehen“, außerdem sollen die Kinder „wissen, dass es immer am wichtigsten ist, dass es ihnen gut geht“.

Sie müssen alles löschen

Was ist aber, wenn es den Kindern damit nicht gut geht, wenn sie älter werden, zu Teenagern, denen es reicht, dass man alles über sie im Internet wiederfindet? Dann werden hier aus ihnen regelrecht Rebellinnen. Dann wird es zum Ritual, in den Wald zu gehen und mit kleinen Sprengsätzen heimlich alles vernichten zu wollen, was Erinnerung speichert. „[W]ir müssen alles löschen. Ich meine wirklich alles“, schreibt Maja in einer Textnachricht. Dann legt sie los, mit ihrer Schwester, zerstört im Kleinen und im Großen, Festplatten und Archive.

 „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“. Roman.Fiona Sironic: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“. Roman.Ecco Verlag

Wäre da nicht die Geliebte, nämlich Era, für die es gar notwendig erscheint, alles irgendwie zu sichern, was zu verschwinden droht. Das prallt zusammen, denn während Maja an der Zerstörung arbeitet, versucht die Erzählerin zu bewahren. Aus der Zukunft erinnert sie sich an die Gegenwart, aus der Gegenwart an die Vergangenheit. Immer wieder wird die Klimakrise zum Thema, Waldbrände, Hitze: Nicht umsonst hat die Autorin im letzten Jahr für dieses Buch ein Stipendium im Rahmen des „Deutschen Preises für Nature Writing“ erhalten. In Hildesheim und Wien hat die Autorin Kreatives Schreiben, Sprachkunst und Gender Studies studiert.

Wozu nochmal die Vogelnamen, wozu Schrägstriche?

Dabei ist der Roman bruchstückhaft, immer wieder flammt etwas auf: die Liebe oder die digitale Welt. Einen roten Faden sucht man im Dschungel an Gefühlen und Eindrücken, die die Protagonistin vermittelt, vergeblich. Dass Maja ihn beim Stricken selbst verliert, mag ein Hinweis sein, dass es um Kohärenz auch nicht gehen soll. „Anything not saved will be lost“ ist das Motto, das dem Text vorangestellt ist. Und bevor das passiert, bleibt wenig Zeit, die Gedanken zu sortieren, denn dann kommt plötzlich wieder eine Explosion, und alles geht auf Anfang. Fragmente einer jugendlichen Beziehung, einer jugendlichen Lebenswelt in der Zukunft – oder in der Gegenwart, eine Frage der Zeit.

Doch viel Zeit, die verwendete Sprache zu würdigen, bleibt nicht beim ganzen In-die-Luft-Jagen, Ratlosigkeit kommt auf. Wozu noch mal die Vogelnamen als Unterkapitel? Wozu die Schrägstriche, die sich scheinbar zufällig in den Text schleichen – ein Pausenzeichen, das Luftholen der Protagonistin? Nicht nur das wirkt ein wenig bemüht, den Sound und die Stimmung der Jugend aufzufangen, der vielleicht so gar nicht da ist. Den Faden zurückholen, das kann nur der flapsige Titel.

Fiona Sironic: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“. Roman. Ecco Verlag, Hamburg 2025. 208 S., geb., 23,– €.

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