Präventiver Ankauf für Amsterdams Rijksmuseum: Ein Kondom als Kunstwerk

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Das Kupferstichkabinett des Amsterdamer Rijksmuseums beherbergt seit heute ein ungewöhnliches Objekt unter seinen 750.000 ansonsten überwiegend papierenen Drucken, Zeichnungen and Fotografien. Es handelt sich um ein Kondom aus Schafsdarm aus dem Jahr 1830. Der Grund, warum das für nicht wenig Geld auf einer Auktion erworbene Kondom im Kupferstichkabinett des größten niederländischen Museums landete, ist einfach: Es zeigt auf seiner Längsseite eine qualitativ gute Radierung, gehört mithin inventarisch zu den „Drucken auf anderen Materialien“ als Papier. Das Bild im reifen Neorokokostil, bis heute der Stil der Wahl bei der Darstellung von Obszönitäten, präsentiert ein Schäferstündchen in enthüllter Verkleidung.

Vor drei Geistlichen mit erigiertem Glied unter gerafften Soutanen respektive Mönchskutten sitzt am linken Bildrand eine Nonne mit gespreizten Beinen und zeigt mit dem Finger auf einen der Kleriker. Spätaufklärerisch und pseudomoralisch-unschuldig wird das Bild mit seinem unübersehbaren Schauwert unterlegt von der Devise „Voilà mon choix“ („Dies ist meine Wahl“), womit zum einen das Urteil des Paris aus der griechischen Mythologie parodiert wird, weil statt des trojanischen Prinzen die sich darbietende Nonne (oder Prostituierte im Nonnenhabit?) die Freierauswahl trifft, zum anderen die Zölibatsformel katholischer Priester ironisiert wird, dass die sexuelle Enthaltsamkeit „um des Himmelreiches willen“ deren freie Wahl sei, indem der klerikale Andrang bei der Dame offensichtlich groß ist, es sich also nicht nur um einen einsam fehlgeleiteten Geistlichen handelt.

Ein mythologieverbrämtes Kondom

Neben Prinz Paris war noch eine weitere Gestalt der Mythologie, der wohl mit seinen Tieren kopulierende Schafhirte Syphilus, Grund für die rasche Verbreitung von Kondomen schon vor ihrer Verwandlung in massenhaft produzierte Latexgummis: Nicht nur die Angst vor ungewollten Schwanger- und Vaterschaften, vor allem die Furcht vor sexuell übertragbaren Krankheiten – insbesondere der damals unheilbaren Syphilis – führte zum Siegeszug des Kondoms. Dennoch sind weltweit nur zwei andere bedruckte Kondome dieser Zeit bekannt, die bis heute überlebt haben.

Das im Amsterdamer Kupferstichkabinett ausgestellte Kunst-Kondom ist nun Teil einer äußerst plastischen Ausstellung über Prostitution und Sexualität im 19. Jahrhundert, zu der auch mehrere Drucke, Zeichnungen und Fotografien gehören. Die Schau ist bis Ende November im Rijksmuseum zu sehen.

Nicht nur für Seebären

Und wer sich nun indigniert die Frage stellen sollte, ob das Objekt der (Museums-)Begierde zu seiner Entstehungszeit benutzt wurde, sei beruhigt: Sehr holländisch wurden derartig kunstvolle Kondome etwa in Amsterdam als Souvenirs in Bordellen verkauft, keineswegs nur an promiske Seebären, sondern als illustre Mitbringsel der aus allen Bevölkerungsschichten stammenden Freudenhausbesucher. Das Objekt entstammt auch standesgemäß einer privaten Sammlung von Erotika. Deren Name ist allerdings nicht bekannt, weil das Auktionshaus ihn nicht preisgeben will.

Bei dem außerordentlich guten Erhaltungszustand des Kondoms muss es jedoch im Grunde vom ersten Tag an von sammelnden Liebhabern sehr fürsorglich aufbewahrt worden sein. Welche Vorbesitzer dieses Kondom des Vertrauens über die beinahe zweihundert Jahre so treulich bewahrt haben, wüsste auch das Rijksmuseum nur allzu gerne.

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