Präsidentschaftswahl: Tunesien beerdigt die Demokratie

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Es ist wohl das letzte Kapitel des kurzen Ausfluges von Tunesien in die Demokratie, das am Sonntag geschlossen wurde, mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. Bereits am selben Abend meldete das staatliche Fernsehen den Sieg von Amtsinhaber Kaïs Saïed, der nach ersten Umfragen 89,2 Prozent der Stimmen erhalten haben soll. Das klingt nach viel, ist aber eigentlich wenig für jemanden für Saïed, der stets betont, das ganze Volk hinter sich zu haben.

Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 27,7 Prozent, Saïed gewählt haben letztlich nur knapp ein Viertel der Wahlbeteiligten. Einige Hundert seiner Anhänger kamen am Sonntagabend zusammen zu einer kleinen Wahlparty auf der Avenue Habib Bourguiba, der einstigen Prachtstraße von Tunis, die vor sich hinbröselt wie große Teile des Landes. Die Wirtschaft stagniert, nur Inflation und Arbeitslosigkeit steigen.

Saïed trat 2019 als Unbekannter an und gab sich als Vertreter des Volkes

Als Kaïs Saïed bei den Wahlen 2019 zum ersten Mal angetreten war, hatte er den Kampf gegen Korruption und die alten Eliten angekündigt. Er wolle dem Willen des Volkes nach einer besseren Zukunft Rechnung tragen, so hatte er es damals versprochen. Stattdessen hat er innerhalb von wenigen Jahren die Demokratie in Tunesien abgeschafft, dem letzten Land, in dem noch etwas übrig geblieben war von den Umwälzungen des Arabischen Frühlings, der hier Ende 2010 begonnen hatte, als sich der Gemüseverkäufer Mohamed Bouazizi selbst verbrannte. Damals aus Protest gegen den Endlosdiktator Ben Ali. Der wurde gestürzt wie später Hosni Mubarak in Ägypten, wie Gaddafi in Libyen und Ali Abdullah Saleh in Jemen.

Nirgends hielt der Wandel lange, erfüllten sich die Hoffnungen, außer in Tunesien, bis Saïed 2019 an die Macht kam. Er trat als weitgehend Unbekannter an, gab sich als bescheidender Vertreter des Volkes, der die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, und in einer kleinen Wohnung wohnt – radikaler waren seine Ansichten, das Recht sollte auf dem Islam basieren, er wetterte gegen Homosexuelle und Migranten, im ersten Wahlgang bekam er nicht einmal 20 Prozent der Stimmen, im zweiten gewann er deutlich.

Wenig später begann er mit dem Umbau des Staates, Kritiker wurden ins Gefängnis gesteckt, im Jahr 2021 löste er das Parlament auf, er änderte die Verfassung und entzog dem letzten unabhängigen Gericht die Zuständigkeit für die Aufsicht über die Wahlen. Jene Richter hatten die Zulassung von mehr Kandidaten zu den Wahlen gefordert, die von Saïed berufene Wahlbehörde entschied anders.

Er wettert gegen fremde Mächte im Ausland, die ihn angeblich stürzen wollen

Waren es bei den Wahlen 2019 noch 26 Kandidaten, die um Zustimmung kämpften, waren es dieses Mal nur noch zwei Gegenkandidaten, die antreten durften, wobei einer im Gefängnis saß, angeblich, weil er die Unterschriften seiner Unterstützer gefälscht hatte. Ein bei Autokraten auf der ganzen Welt beliebtes Mittel, um unliebsame Gegner loszuwerden. Vor der Wahl gab es keine Debatten, in den Straßen sah man fast nur die Plakate des Amtsinhabers, viele Tunesier sprechen von Geisterwahlen. 

„Das ist die Fortsetzung der Revolution. Wir werden das Land von den Korrupten, Verrätern und Verschwörern säubern und aufbauen“, sagte Saïed nach seiner Wiederwahl. Und Verschwörer glaubt er überall zu entdecken. Die Ankunft von Migranten aus den südlichen Ländern Afrikas sieht er als Versuch, die „demografische Zusammensetzung des Landes zu verändern“. Saïed wettert gegen fremde Mächte im Ausland, die ihn angeblich stürzen wollen.

Letztlich sei eher das Gegenteil der Fall, kritisieren Oppositionelle in Tunesien: Sie meinen damit vor allem die EU, die im Rahmen eines Abkommens mehr als 100 Millionen Euro für einen verstärkten Grenzschutz zugesagt hat, um Migration in Richtung Europa einzudämmen. Viel Geld für ein armes Land, dass vor allem den Sicherheitsdiensten zugutekommt, einer der Stützen von Saïed. Menschenrechtsorganisationen werfen der Polizei vor, Migranten zu misshandeln und in der Wüste auszusetzen.

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