ORF-Chef Roland Weißmann: Die Gefahr durch die FPÖ ist vorerst weg, und nun?

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„Wir haben spannende Zeiten im ORF,“ sagt Roland Weißmann. Der 57 Jahre alte Medienmanager ist seit 2022 General­direktor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich. Die Spannung besteht für ihn, wie er dieser Tage im Gespräch mit der Auslandspresse in Wien sagte, in der Anforderung erheblicher Einsparungen auf der einen Seite und einer digitalen Neuorientierung auf der anderen. Zugleich stehe der ORF in der Öffentlichkeit unter ständigem „Legitimationsbedarf“.

Die FPÖ will den Sender an die Kandare nehmen

Weißmann erwähnt nicht ausdrücklich die Freiheitliche Partei (FPÖ), aus deren Reihen regelmäßig Kritik am ORF geübt wird. Der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl, der erklärtermaßen nach dem Vorbild des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán den ORF mittels einer Finanzierung über das Budget an die Kandare nehmen will, war zu Jahresbeginn in der Lage, nach dem Bundeskanzleramt in Wien zu greifen. Aus der Wahl 2024 war die FPÖ als stärkste Kraft hervorgegangen, und nach gescheiterten Verhandlungen zu ei­ner Mitte-links-Koalition war die christ­demokratische ÖVP bereit, über eine Regierung unter Kickl zu verhandeln. Da auch diese Gespräche scheiterten, regiert seit März nun doch eine Dreierkoalition aus ÖVP, Sozialdemokraten (SPÖ) und Liberalen (Neos).

Der ORF-Chef sagt: „Nach der Nationalratswahl hat es auch lange und breite Diskussionen gegeben, wie es mit dem Medienstandort und insbesondere dem ORF weitergeht. Es gibt jetzt eine neue Bundesregierung mit einem klaren Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das ist zu begrüßen. Auch das Bekenntnis zum Medienstandort Österreich ist wichtig.“ Zugleich halte auch die neue Regierung den ORF zu Einsparungen an. Die ergeben sich zwar nicht aus einem geringeren Budget, aber daraus, dass höhere Kosten durch Inflation und Lohnentwicklung nicht ausgeglichen werden.

„Wir drehen an extrem vielen Schrauben“

2023 wurde die Finanzierung von Gebühren auf eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland umgestellt – schon da verbunden mit einem Sparpaket von 325 Millionen Euro bis 2026. Angesichts eines Jahresbudgets des ORF von rund einer Milliarde Euro sei das beträchtlich. Nunmehr werde die Haushaltsabgabe bis 2029 nicht angepasst. „Das ist insgesamt schon eine lange Zeit, in der wir keine Valorisierung bekommen,“ sagt Weißmann.

Wo soll gespart werden, wie werden die Zuschauer das merken? „Wir drehen an extrem vielen Schrauben. Die Heraus­forderung ist, dass es das Publikum nicht merkt.“ Laut Weißmann scheint das zu gelingen: „Wir haben die besten TV-Quoten seit Jahren.“ 2024 hat der ORF mit einem Anteil von 34,2 Prozent für seine Sendergruppe den höchsten Wert seit 2016 erreicht. Dabei macht Weißmann konkrete Faktoren aus, von denen seine Sender – neben der Arbeit der Mitarbeiter, die er betont – profitiert hätten: Die instabile politische Lage, die bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Information geweckt habe, und zwar durch den ORF. Und die Ski-Weltmeisterschaft in Saalbach, die allein fünf Millionen Zuschauer angezogen habe. Ski ist demnach immer noch Nationalsport in Österreich mit seinen rund neun Millionen Einwohnern.

Die Ski-WM nimmt Weißmann auch als Beispiel für Sparschrauben. Als Vergleich biete sich die Ski-WM 2013 an, ebenfalls heimisch. Damals habe man ähnlich gute Quoten gehabt, aber 5,1 Millionen Euro weniger Kosten. Das habe man durch eine „Vielzahl von Maßnahmen“ erreicht, darunter einen vermehrten Einsatz von Technik. Auch seien die Übertragungskosten früher höher gewesen. „Aber die kontinuier­lichen Sparforderungen haben auch dazu geführt, dass verschiedene Bereiche des Hauses enger zusammenarbeiten müssen. Es ist im Haus unstrittig, dass man sparen muss. Aber natürlich ist es am Ende des Tages harte Arbeit.“

Vorgänger Wrabetz mischt jetzt in der SPÖ mit

Weißmanns Vorgänger Alexander Wrabetz, inzwischen Präsident des Fußball-Traditionsklubs Rapid Wien, engagiert sich seit seinem Ausscheiden aus dem ORF vermehrt in der SPÖ. Medial war er als Ministerkandidat, vereinzelt sogar als möglicher Parteivorsitzender im Gespräch. Was sagt das über die Politiknähe des ORF aus? „Da müssen Sie meinen Vorgänger fragen,“ entgegnet Weißmann. „Ich bin nicht in einer Partei und war es nie. Ich bin in der ORF-Partei.“ Politischen Einfluss aufs Programm, wie er dem ORF immer wieder vorgeworfen wird, „erlebe ich nicht so“. In seinen bisher drei Jahren sei es höchstens etwa zehnmal vorgekommen, dass jemand bei ihm programmatische Wünsche oder Kritik hinterlegt habe. „Natürlich gibt es Anrufe. Die Frage ist, gibt man als Geschäftsführer dem nach?“

Umfragen bescheinigen dem ORF laut Weißmann, dass er mit Radio, Fernsehen und Online pro Tag acht von zehn Menschen in Österreich erreiche und pro Monat neun von zehn. „Wir erreichen die Menschen, das ist gut und wichtig.“ Die nach der Novelle von 2023 eingerichtete Plattform „On“ habe sich zum größten Streaminganbieter in Österreich entwickelt, mit mehr Zugriffen als Netflix und Amazon. „Wir wollen vom klassischen Broadcaster hin zur Plattform. Das neue Gesetz ermöglicht das,“ sagt Weißmann.

Auf „On“ ist auch eine Serie abzurufen, die der ORF-Chef stolz vorgestellt hat: „Hunyady“, eine fiktive Erzählung eines historischen Stoffs aus den Türkenkriegen im 16. Jahrhundert. Die europäische Koproduktion wird angeführt von Ungarn, beteiligt sind auch die Österreicher und Deutschen. „Da haben wir echt was zusammengebracht,“ sagt Weißmann. „Das hat eine Qualität, ehrlich gesagt, wie ,Game of Thrones‘. Das brauchst du heutzutage in diesem Streamingbereich.“ Politisch hat die Serie allerdings auch Widerspruch gefunden. Nach Ansicht von Kritikern spiegelt sie allzu sehr das natio­na­listische Geschichtsbild des ungarischen Ministerpräsidenten. „Orbáns ,Game of Thrones‘“, schrieb der linksliberale „Falter“ darüber. Ein bisschen Orbán gibt es also doch im neuen ORF.

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