Die letzten Stunden der SPD-Abstimmung
Um Mitternacht, zur Geisterstunde, wird sich der Geist der deutschen Sozialdemokratie offenbaren. Bis 23.59 Uhr können die Mitglieder der Partei noch über den Koalitionsvertrag abstimmen, morgen dann soll das Ergebnis vorgestellt werden. Sollte es ein positives Votum geben, wird am Dienstag nächster Woche im Bundestag der Kanzler gewählt. (Mehr zu den gequälten Sozialdemokraten erfahren Sie hier .)

Partei-Logo im Willy-Brandt-Haus: Pragmatischer Geist?
Foto: Michael Kappeler/ DPADiejenigen, die den Koalitionsvertrag verhandelt haben, müssen aber nicht gleich vor Stolz platzen, sollten die SPD-Mitglieder ihre Zustimmung erteilen. Denn wenn es so kommt, wird es im Wesentlichen daran liegen, dass sich in der Partei der Heilige Geist des Pragmatismus ausgebreitet hat. Die Einsicht also, dass Deutschland in schwierigen Zeiten und bald sechs Monate nach dem Platzen der Ampel eine stabile Regierung braucht. Und einen Kanzler, der im Élysée-Palast und in der Downing Street ein- und ausgeht.
Mehr Hintergründe hier: So besetzt Merz sein Kabinett
Lesen Sie dazu auch den aktuellen SPIEGEL-Leitartikel
Merz, der Risikospieler: Ein Polit-Anfänger, eine Rückkehrerin und ein Mann, auf dessen Loyalität Friedrich Merz nicht zählen kann: Bei den Spitzenposten in Kabinett und Fraktion beweist der Kanzler in spe Mut. Was, wenn die Wette nicht aufgeht?
Mesalliance im Willy-Brandt-Haus?
Gestern Abend wurde bekannt, dass die SPD in Baden-Württemberg Saskia Esken nicht mehr für den Parteivorstand nominiert. Der eigene Landesverband also lässt die SPD-Chefin im Stich. Zwar ist Esken gar nicht unbedingt auf die Nominierung durch ihre Leute angewiesen, um Parteivorsitzende zu bleiben. Und doch wird sie durch diese neue Entwicklung noch einmal geschwächt.

SPD-Chefin Esken: Noch einmal geschwächt
Foto:Hannibal Hanschke / EPA
Schon seit Tagen laufen in der Partei – und auch außerhalb – Diskussionen darüber, ob es fair sei, dass SPD-Chef Lars Klingbeil wohl gesichert einen Ministerposten bekommen werde, Esken aber nicht. (Wie sich Klingbeil in der SPD die Macht gesichert hat, lesen Sie hier .)
In der »Süddeutschen Zeitung« kommentiert heute Detlef Esslinger den Fall. Hier werde nicht ein Mann einer Frau vorgezogen, schreibt er. Hier gehe es schlicht darum, dass Esken messbar nicht recht beim Wahlvolk ankomme, Klingbeil aber schon.
Das kann man so sehen, geschenkt.
Dadurch wird aber eine bestimmte Beobachtung nicht falsch: Nach außen jedenfalls wirkte es so, als habe Klingbeil wenig dafür getan, dass die Co-Chefin strahlen konnte. Seit Norbert-Walter Borjans, Klingbeils Vorgänger als SPD-Vorsitzender, sich aus der Doppelspitze mit Esken verabschiedete, wirkte diese Doppelspitze eher wie eine Ein-Mann-Show Klingbeils, mit Gastauftritten der Frau – gnadenhalber.
Borjans und Esken haben der SPD bei der Bundestagswahl 2021 übrigens auch bessere Ergebnisse ermöglicht.
Mehr Hintergründe hier: SPD Baden-Württemberg nominiert Saskia Esken nicht mehr für Parteivorstand
Zum Ende ein Tusch
Karl Lauterbach (SPD) hätte sein Amt als Gesundheitsminister gern behalten. Meine Kollegin Milena Hassenkamp war dabei, als er sein Ministerbüro ausräumte, seine Stimmung war – rheinische Frohnatur hin oder her – wohl eher gedämpft.

Gesundheitsminister Lauterbach: Große Sache auf den letzten Metern
Foto: Stefanie Loos / AFPDer heutige Tag aber zeigt, dass Lauterbach eine große Sache gewuppt hat. Nach einer Testphase startet nun die elektronische Patientenakte. Sie speichert Befunde, Laborwerte oder Angaben zu Medikamenten. Befüllt wird sie vor allem von behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Patienten können über eine Smartphone-App ihrer Krankenkasse aber auch selbst Dokumente einstellen und dort die Daten der E-Akte einsehen. Auf diese Weise sollen Ärzte vor allem im Notfall besser und schneller reagieren können. Datenschützer befürchten unter anderem aber Hackerangriffe , andere Kritiker bemängeln eine insgesamt zu große Transparenz.
Mehr Hintergründe hier: Lauterbach geht. Was bleibt?
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Verliererin des Tages …

US-Präsident Trump
Foto: Saul Loeb / AFP… ist die berühmte 100-Tage-Frist. Früher galt sie in der Politik als der früheste Zeitpunkt, an dem sich eine erste vorsichtige Bilanz über eine neue Regierung ziehen lasse. Doch in der Politik hat sich das Tempo weltweit so beschleunigt, dass Friedrich Merz, wenn er denn am 6. Mai im Bundestag gewählt werden wird, vermutlich schon in den Mittagsstunden des Folgetages mit einer ersten Bilanz rechnen kann.
Die Politik befördert die allgemeine Beschleunigung. Jedenfalls tut es US-Präsident Donald Trump. Er vollendet heute seine 100-Tage-Frist im Amt und hat in dieser kurzen Zeit sein Land so verändert, wie es früher zwar auch schon anderen Bösewichten gelang, doch brauchten die ihre ganze Regierungszeit dafür. Vielleicht sollte man für die Bösewichte der heutigen Zeit neue Maßeinheiten schaffen, nach deren Ablauf sie beurteilt werden können? Nanosekunden vielleicht?
Mehr im Video: »Trump testet die Grenzen seiner Macht«
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Liberale gewinnen Parlamentswahl in Kanada: Mark Carney und seine Liberalen sind Prognosen zufolge die Sieger der Parlamentswahl in Kanada. Der Premier hatte sich im Konflikt mit den USA klar gegen Präsident Donald Trump gestellt.
Trump sieht sich in seiner zweiten Amtszeit deutlich mächtiger: Jüngst hat Donald Trump »The Atlantic« als gescheitertes Medium und den Chefredakteur als »Widerling« verunglimpft. Jetzt gab er dem Magazin überraschend ein Interview. Es ging auch um sein Selbstverständnis als US-Präsident.
Auch Hamburgs Grüne stimmen Koalitionsvertrag zu: SPD und Grüne können in Hamburg in ihre dritte gemeinsame Regierungszeit seit 2015 gehen. Nach den Sozialdemokraten haben nun auch die Grünen dem Koalitionsvertrag zugestimmt.
Heute bei SPIEGEL Extra: Zone 2 – machen Sie mal langsam, wenn Sie schneller werden wollen

Sergey Mironov / Getty Images
Das Wetter motiviert wieder zum Draußensport, und auch für ambitionierte Freizeitsportler dürfte ein angebliches Wunder-Training interessant sein, das gerade durch die Fitnesswelt geistert. Es verspricht, mit wenig Anstrengung großen Effekt zu erzielen. Es geht um die sogenannte Zone 2. Mein Kollege Jörg Römer ist der Sache nachgegangen und hat aufgeschrieben, was an dem Hype dran ist und wie Sie trainieren sollten .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer, Autorin der Chefredaktion