Die Lage am Abend Das große Merz-Experiment
Die drei Fragezeichen heute:
Bundeskabinett – mit wem will Friedrich Merz regieren?
Rüstungsindustrie – wie kämpfen Kakerlaken?
Dissidenten – wie weit reicht der Arm des chinesischen Staates?
28.04.2025, 18.43 Uhr
1. Ein Team der Unerwarteten
Eins muss man Friedrich Merz lassen: Er ist immer noch für eine Überraschung gut. Die Kabinettsmannschaft der Union, die der designierte Kanzler am Montag vorgestellt hat, enthält eine Reihe unerwarteter Namen.
Manche Nominierten kannte die Öffentlichkeit schlicht nicht. Dazu zählt die Innenexpertin Nina Warken, die Gesundheitsministerin werden soll. Sie wurde wohl eher wegen ihrer Herkunft aus Baden-Württemberg als wegen ihrer Fachkenntnis nominiert. Oder der künftige Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU), selbst Eingeweihten bis dato nur als Bruder der früheren Gesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt ein Begriff.
Interessanter sind zwei Personen, die ebenfalls in keiner Prognose auftauchten: Die Vorstandsvorsitzende des Energiedienstleisters Westenergie AG, Katherina Reiche, soll Wirtschaftsministerin werden. (Lesen Sie hier mehr zu dieser Personalentscheidung. ) Sie war früher CDU-Bundestagsabgeordnete. Das Digitalministerium übernimmt der Chef der MediaMarktSaturn-Gruppe, Karsten Wildberger.
Gegen beide Berufungen gibt es Einwände: Hält mit Reiche nicht der Lobbyismus im Wirtschaftsministerium Einzug? Und wie soll ein politisch unerfahrener Manager eines der schwierigsten Modernisierungsvorhaben auf den Weg bringen?
Vielleicht stimmt das. Vielleicht schadet es aber auch nicht, eine Ministerin zu haben, die die Auswirkungen der Energiewende vonseiten der Wirtschaft kennt. Dass Berufspolitiker besonders erfolgreich dabei gewesen sind, die Digitalisierung voranzutreiben, kann man ebenfalls nicht behaupten. Im besten Fall hilft Reiche dabei, die Akzeptanz für politische Reformen in der Wirtschaft zu stärken. Und Wildberger könnte zeigen, dass man auch ohne Kettensäge modernisieren kann.
Das größte Experiment findet ohnehin an anderer Stelle statt. Einen Kanzler ohne jede Regierungs- oder Verwaltungserfahrung hatte diese Republik noch nicht. Wie schreibt unser Kolumnist Nikolaus Blome so richtig: Für diesen Kanzler kann’s nur noch aufwärtsgehen. (Lesen Sie hier seine Kolumne.)
Lesen Sie hier mehr: So tickt die Frau, die für die CDU die Wirtschaftswende schaffen soll
2. Quantencomputer statt Panzer

Gründer Wied, Wietfeld, Roebel
Foto:ARX Robotics
Mit Panzern, Raketenwerfern oder Kampfjets bringt man Start-ups in der Regel nicht in Verbindung. Doch vom deutschen Wunsch nach Kriegstüchtigkeit wollen nicht nur traditionelle Rüstungskonzerne, sondern auch junge Gründer profitieren. »Keine Start-up-Szene wächst in Europa derzeit rascher als die der Rüstungs- und Sicherheitsfirmen«, schreiben meine Kollegen Martin Hesse und Thomas Schulz in einem interessanten Report. (Lesen Sie hier mehr dazu. ) Hinter ihnen stünden mächtige Risikokapitalgeber, die nach der Friedensdividende nun die Rüstungsdividende einstreichen wollten.
Dabei geht es in erster Linie nicht um traditionelles Großgerät, sondern um autonome Waffen, intelligente Software und Quantencomputer. Von einem »Tesla-Moment« spricht einer der Gründer. Drohnen oder Mini-Panzer sind noch die am wenigsten spektakulären Neuentwicklungen. Das Start-up Swarm Biotactics etwa will Kakerlaken mit Minikameras ausrüsten und zur Aufklärung auf die Schlachtfelder schicken.
Viel Zeit bleibt nicht mehr für die Aufrüstung. Schon 2029, so schreibt der Politikwissenschaftler Christian Mölling in einem Gastbeitrag, könnte der russische Machthaber Wladimir Putin die Nato angreifen. (Lesen Sie hier seinen Text. ) Doch wie Deutschland und Europa verteidigungsfähig werden, »das definieren Verteidigungsplaner, nicht Unternehmer, die oft eigene Interessen verfolgen«, so Mölling.
Lesen Sie hier mehr: Deutschlands neue Waffenschmieden
3. Wir bekommen euch überall
Dass China mit Regimekritikern im eigenen Land nicht zimperlich umgeht, ist bekannt. Weniger bekannt ist, wie brutal das Land Dissidenten auch in anderen Teilen der Welt verfolgt. Meine Kolleginnen Maria Christoph und Sophia Stahl haben die Methoden des Regimes recherchiert. (Lesen Sie hier ihre Geschichte. ) Sie reichen von Cyberattacken über Einschüchterung der Familien bis zu Falschbeschuldigungen und erzwungenen Rückreisen nach China.
Westliche Geheimdienste gehen laut internen Unterlagen davon aus, dass der chinesische Staat in der Lage ist, »jeden überall auf der Welt rechtswidrig verhaften zu lassen«. Die Bundesregierung unternimmt bislang wenig dagegen. Offenbar will man die wirtschaftlichen Beziehungen nicht belasten. Dabei liegen den Kolleginnen Hinweise vor, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestags mit einem anonymen Schreiben bedroht wurde, das vom chinesischen Geheimdienst stammen könnte. Es sieht so aus, als müsse sich Deutschland nicht nur auf die Bedrohung durch Russland endlich angemessen reagieren.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie China gezielt Dissidenten einschüchtert
Was heute sonst noch wichtig ist
Spanien und Portugal sind weitgehend ohne Strom: In Spanien und Portugal sind viele Haushalte ohne Strom – und das wohl noch stundenlang. Offenbar ist die gesamte Iberische Halbinsel betroffen. Spaniens Ministerpräsident hat eine Krisensitzung der Regierung einberufen.
Sixtinische Kapelle geschlossen, Konklave beginnt am 7. Mai: Im streng geheimen Konklave wählen Kardinäle den neuen Papst. Nun gibt es ein Datum für den Beginn der Abstimmung. Dauert sie länger als üblich?
Putin stellt neue, kurze Feuerpause in der Ukraine für Anfang Mai in Aussicht: Kremlchef Putin will erneut seine Invasion pausieren: An den Maitagen rund um den 80. Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs soll eine Waffenruhe für die Ukraine gelten. Schon die letzte Feuerpause brach Russland.
CNN-Umfrage attestiert Trump schlechteste Zustimmungswerte seit Eisenhower: Er schaufelt das Land per Dekret um, seine Außen- und Wirtschaftspolitik ist erratisch: Donald Trump irritiert mittlerweile selbst Anhänger. CNN hat nun US-Bürger zur politischen Bilanz des US-Präsidenten befragt.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

Gewicht verlieren (Symbolbild): Konkretes zur Zulassung der Tablette gibt es bisher nicht
Foto: Yaroslav Danylchenko / StocksyAbnehmpille soll ähnlich gut wirken wie Spritzen: Wegovy und Ozempic: Die Spritzen versprechen einen schnellen Gewichtsverlust. Nun wirbt ein Unternehmen mit einer Tablette, die genauso gut funktionieren soll. Eine klinische Studie macht Hoffnung, aber viele Fragen sind offen .
Was heute weniger wichtig ist

Cyndi Lauper während der »Girls Just Wanna Have Fun Farewell Tour« im November 2024
Foto:River Callaway / Variety / Getty Images
Was lange währt: Chubby Checker, 83, wird nach Jahrzehnten des Wartens endlich in die »Rock ’n’ Roll Hall of Fame« aufgenommen. Der Sänger hatte seine größten Erfolge in den Sechzigerjahren mit Hits wie »The Twist« und »Let’s Twist Again«. Bereits 2002 hatte er sich in einem Brief an die Hall of Fame darüber beklagt, noch kein Teil der Ruhmeshalle zu sein. »Chubby Checker hat der Musikbranche etwas Großartiges gegeben. Jetzt will er seine Größe zurück«, schrieb er. Neben Checker werden die Bands Bad Company, The White Stripes und Soundgarden, der verstorbene Joe Cocker, Cyndi Lauper und das Hip-Hop-Duo Outkast in die Ruhmeshalle des Rocks aufgenommen.
Mini-Hohlspiegel

Von der Website tirol.orf.at des Österreichischen Rundfunks (ORF)

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Klaus Stuttmann

Szene aus »The Studio«
Foto: Apple TV+Werde ich mir die jüngste Folge der großartigen Serie »The Studio« auf Apple TV+ anschauen. Es geht um Filmliebhaber Matt Remick (Seth Rogen), der zum neuen Boss der fiktiven Continental Studios befördert worden ist. Ich bin eigentlich kein Fan von Filmen über das Filmemachen, aber wie Hollywood hier gezeichnet wird, so zynisch, grell, intelligent und gleichzeitig urkomisch, hat mich sofort überzeugt. (Lesen Sie hier die Rezension meines Kollegen Stefan Kuzmany. )
Die Darsteller sind exzellent, von Rogen bis zu Studiobesitzer Griffin Mill, dargestellt von Bryan Cranston, der den Walter White aus »Breaking Bad« endgültig hinter sich lässt. Es gibt zahlreiche Anspielungen und Zitate aus der Filmgeschichte, die man nicht kennen muss, um die Serie zu genießen. Man sollte allerdings Fremdscham aushalten können, einen großen Teil seines Charmes bezieht »The Studio« aus dem Versuch Remicks, seine Leidenschaft für gute Filme irgendwie mit den kapitalistischen Verwertungsmechanismen der Branche in Übereinstimmung zu bringen – was natürlich regelmäßig schiefgeht. Ach ja, und wer Martin Scorsese weinen sehen möchte, kommt ebenfalls auf seine Kosten.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Bleiben Sie uns gewogen!
Herzlich
Ihr Ralf Neukirch, Leiter Meinung und Debatte