Der Islamischen Republik Iran wurde schon oft der Untergang prophezeit. Wird ihr der Krieg mit Israel den Todesstoß versetzen?
Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. In jedem Fall ist es eine Zeitenwende in der Nahost-Politik. Sie schließt den Prozess ab, den wir seit dem 7. Oktober in der israelischen Außenpolitik erlebt haben: die Ausschaltung der iranischen Proxies, der Hizbullah, der Hamas und teils auch der Huthis. In dem Moment, als all das zerstört war, was Iran als Abschreckung gegen einen israelischen Militärschlag aufgebaut hatte, kam dieser Schlag. Für das iranische Regime bedeutet er mit Sicherheit einen gewaltigen Prestigeverlust. Er zerschlägt das iranische Selbstbild einer Regionalmacht mit Gestaltungsanspruch über die Landesgrenzen hinaus.
Die iranische Regierung hat nur noch wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Wie kommt es, dass die iranische Protestbewegung Israel nicht als Befreier vom Joch der staatlichen Repression begrüßt?
Niemand wird gerne bombardiert. Die Bereitschaft, Israel als Befreier zu betrachten, beschränkt sich vermutlich auf wenige Diasporagruppen in Berlin, Paris oder Los Angeles. Innerhalb der iranischen Bevölkerung gibt es nach meiner Einschätzung einen harten Kern von zehn bis zwanzig Prozent, der zum Regime steht. Dreißig bis vierzig Prozent sind regimekritisch, ein ähnlich hoher Anteil steht in der Mitte und hat nichts zu gewinnen von dem, was auf den Sturz des Regimes folgen würde. Das wäre ja wahrscheinlich erst einmal nicht eine liberale Demokratie, sondern ein Bürgerkrieg. Ich kann mir im Moment nur schwer vorstellen, dass man die Schwächung des Regimes für so nachhaltig hält, dass man dieses Risiko eingeht. Ich denke eher, dass das iranische Regime in ein paar Wochen stark geschwächt an den Verhandlungstisch zurückkehrt und in einen Deal einwilligt.
Die arabischen Staaten reagieren auffällig zurückhaltend. Gibt es keine Solidarität der islamischen Welt gegen den vermeintlichen, jüdischen Eindringling?
Viele arabische Monarchien werden sich über die aktuellen Ereignisse sehr freuen, sind aber klug genug, dieser Freude keinen Ausdruck zu verleihen. Saudi-Arabien erinnert sich beispielsweise sehr gut daran, dass es von iranischen Proxies selbst angegriffen worden ist. Alles, was dieses Regime schwächt, hilft dem hegemonialen Anspruch der Golfmonarchien.
Wird sich der Krieg auf die Golfregion ausweiten?
Wenn die iranischen Streitkräfte oder ihre Proxies US-Militärbasen oder enge US-Verbündete wie Saudi-Arabien angriffen, würde der Krieg eskalieren und die Vereinigten Staaten, die ja tatsächlich das iranische Atomprogramm ausschalten könnten, würden in den Krieg hineingezogen. Das würde das Regime aber noch viel stärker gefährden. Deshalb glaube ich nicht, dass man in Teheran diesen Weg gehen wird.
Wird sich Israel mit Nadelstichen gegen das iranische Atomprogramm begnügen?
Israel hat bisher das gemacht, was es am besten kann: nachrichtendienstliche Aufklärung und gezielte Ausschaltung von politischen und militärischen Eliten. Das iranische Atomprogramm ist dagegen so riesig, so weit verteilt und so tief in die Erde eingegraben, dass die Israelis nicht in der Lage sein werden, es ohne amerikanische Hilfe auszuschalten, so wie sie es in Syrien oder im Irak mit viel kleineren Programmen getan haben.
Angesichts der Zurückhaltung von China und Russland scheint die Gelegenheit günstig, das Atomprogramm ganz auszuhebeln. Werden die Vereinigten Staaten dabei helfen, wie die frühzeitige Abreise des amerikanischen Präsidenten vom G-7-Gipfel vermuten lässt?
Die amerikanische Regierung steht gerne auf der Seite der Sieger, in diesem Fall Israel, will aber keinesfalls in das Auseinanderbrechen eines nahöstlichen Staates verwickelt werden. Auch Israel scheint eher das Ziel zu verfolgen, Iran so zu schwächen, dass das Land einem neuen Nuklearabkommen zustimmt.

Wäre das mehr als ein zeitlicher Aufschub bis zur nächsten Eskalation?
Mir scheint der gegenwärtige Militärschlag ein Versuch der israelischen Regierung, dem iranischen Regime klarzumachen, dass es auch andere Methoden gibt, das Nuklearprogramm aufzuhalten, wenn es sich einer Verhandlungslösung verweigert. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass solche Militäroperationen unbeabsichtigte Nebenfolgen haben können. Die Staaten im Nahen Osten wissen, dass der Angriff nicht erfolgt wäre, wenn Iran schon einen Atomschild besessen hätte. Das wird ihr Interesse steigern, sich selbst einen solchen Schutzschild als Überlebensgarantie zu verschaffen.
Wie stark ist die Revolutionsgarde, die Überlebensversicherung der iranischen Regierung, geschwächt?
Nach meinem Eindruck sind die Revolutionsgarden immer noch stark genug, um ihre klassischen Aufgaben – die Projektion von Macht nach außen und die Abschreckung nach innen – zu erfüllen. Innerhalb des Landes fehlen Akteure, die das Regime ernsthaft herausfordern können.
Es hat in den letzten Jahren große Demonstrationswellen gegeben.
Es fehlt aber an einer organisierten politischen Opposition. Die Teilnehmer der Demonstrationen wissen, zu welcher Brutalität gegen die eigene Bevölkerung das Regime fähig ist. Ich sehe im Augenblick niemanden, der bereit wäre, es herauszufordern.
Stärkt der Krieg die in die Defensive geratene israelische Regierung?
Ich habe eine gewisse Skepsis gegenüber der Lesart, Benjamin Netanjahu führe den Krieg nur, um sein politisches Überleben zu sichern. Ich denke, dass Netanjahu bei allen Schwierigkeiten in seinem Privatleben und in seiner Regierungskoalition, die Israels liberaler Demokratie schweren Schaden zugefügt hat, tatsächlich in historischen Dimensionen denkt. Niemand hat so klar vor dem iranischen Nuklearprogramm gewarnt wie er. Das israelische Militär war auf diesen Krieg sehr gut vorbereitet, anders als in Gaza. Es gibt in Israel eine breite Unterstützung für diesen Krieg, weil alle sehen, dass es bei der iranischen Mobilisierung gegen Israel nicht um die Palästinenser unter israelischer Besatzung geht, sondern um ein grundsätzliches Ressentiment gegenüber dem Staat Israel. Die iranischen Raketen töten im Übrigen israelische Juden genauso wie israelische Palästinenser.
Wird Israel durch den Krieg noch stärker in die Rolle des Paria-Staates getrieben?
Es gibt im Westen einen harten Kern von antiisraelischen Ressentiments – Linkspopulisten in Europa, rechte Isolationisten in den Vereinigten Staaten. Diese Leute werden auch den Krieg gegen Iran in diese Richtung deuten. Der Iran hat aber auch genug Feinde, die sich freuen über den israelischen Erfolg. Die europäischen Reaktionen sind sehr gemäßigt, die arabischen Staaten sind kaum zu vernehmen. Russland und China halten sich vornehm zurück.
Worauf führen Sie die Zurückhaltung zurück?
Russland und China haben immer versucht, sich ein breites Portfolio von Verbündeten im Nahen Osten zu halten. Gerade die russisch-israelischen Beziehungen sind nicht so schlecht, wie man vielleicht denken könnte. Israel hat sich im Ukrainekrieg sehr zurückgehalten. Zwischen China und Israel gibt es enge wirtschaftliche Beziehungen. Teile der israelischen Infrastruktur werden gerade von China aufgekauft, Teile des Hafens von Haifa gehören chinesischen Unternehmen. Man ahnt, dass Israel in der Region weiter eine wichtige Rolle spielen wird und dass man es sich mit dem Land nicht verderben sollte.
Welche Auswirkungen hat der Krieg auf den Gazakonflikt?
Das ist schwer zu sagen. In einem optimistischen Szenario könnte der Krieg dazu führen, dass sich die Golfmonarchien stärker in eine Friedenslösung einbringen, weil sie anerkennen, dass Israel einen wichtigen Beitrag geleistet hat, um Iran zu schwächen. Gemeinsam könnte man sich bemühen, den Gazastreifen aufzubauen und zu befrieden. Benjamin Netanjahu könnte dem zustimmen, weil er seine historische Rolle mit der Schwächung des iranischen Atomprogramms erfüllt hat. Er könnte den arabischen Staaten nun Konzessionen machen bis hin zu einem palästinensischen Nationalstaat. Das pessimistische Szenario wäre, dass sich der Krieg ausweitet. Enorm unklug wäre es, wenn Israel die Angriffe auf seine Zivilbevölkerung mit Angriffen auf die iranische Zivilbevölkerung beantworten würde, gerade wenn man sich vor Augen hält, wie unpopulär das iranische Regime in der Bevölkerung ist. Israel wäre gut beraten, sich auf die militärische Infrastruktur Irans zu beschränken.