Jetzt pumpen sie seit zwei Monaten im Fitnessstudio. Gucken die Girls wenigstens? Ja, sie gucken. Allerdings nicht auf Ben (Shadi Eck) und Janni (Diyar Ilhan), denen die Pubertät bloß Pickel und hormongesteuerte Unsicherheit beschert. Ben ist immer noch dünn, und können die Zeiten, als er mit Trine (Hannah Schiller) als „Term-Inator“ bei der Mathe-Olympiade abräumte, bitte rum sein? Janni trägt Kummerspeck, wie als Körperschutz. Zu Hause ist alles anders, seit sein Vater einen Mann liebt.
Noch könnte die Jugendserie „Club der Dinosaurier“ (Hauptautor Nils Gustenhofen, Regie Lutz Heineking jr.) Handlung und Tonlage ungebremst Richtung Comedy schicken. Die ersten der sechs Folgen punkten mit trockenem Verzweiflungshumor und peinlicher Situationskomik. Dass hier aber auch Horror wütet, zeigt die Eröffnungssequenz, in der ein Monster in einem Supermarkt blind vor sich hin zerstört. Wie allerdings kommt man von der Teeniekomödie zum Body-Horror, und kann das etwas sein, was Jugendlichen, insbesondere männlichen, und Erwachsenen, insbesondere Eltern, dringend zu empfehlen ist? Es kann, und dahin kommt die Serie, indem sie die Identitätssuche von Jungs, die Männer werden (wollen), wörtlich nimmt und bildlich mit kreativer Unmittelbarkeit so umsetzt, dass man den Schweiß förmlich riecht und das Adrenalin spürt.

Superanschaulich sind viele der Szenen: Ben und Janni in der Fitness-Dusche, wie eingequetscht von zwei superdefinierten nackten Muskelbergmännern, die ihre Bodybuilder-Schwellungen selbstverliebt einseifen. Dazwischen in der Bildmitte Janni mit weichen Brustansätzen und Hüftgold, auch nackt, und Ben in schlotternder Badehose, die Arme vor der schmalen blassen Brust verschränkt. Die Scham und Pein, die sie mit ihrer Körperlichkeit verbinden, überträgt sich.
Die vermeintliche Lösung: pures Testosteron aus dem Darknet. Eine Ironie dieser Geschichte, die den Zuschauern das Verstehen ironischer Bedeutungsbrechung zutraut: Der Testosteron-Drogendealer von Ben und Janni ist Corny (Carl Josef), ein wegen Muskeldystrophie fast unbeweglicher, im Rollstuhl sitzender Mitschüler. Corny versorgt alle mit illegalen Substanzen. Dass im Testo-Präparat Eidechsen-DNA verarbeitet wurde, damit aus Männern Raubtiere werden, die Frauen als Beute abschleppen, zeigt ein absurdes Marketingvideo.
Endlich kein Stottern mehr
Ben und Jannis Selbstversuch beginnt trotz sofortiger Nebenwirkungen vielversprechend. Endlich kein Stottern mehr bei der Bewerbungsrede zum Oberstufensprecher (Ben), endlich unfallfrei die Aufmerksamkeit der neuen Mitschülerin, Suki (Tomomi Themann), auf sich ziehen (Janni). Endlich den obercool tuenden Rick (Alessandro Schuster) beim Paintball abschießen, zum Alphatier werden.
Plötzlich sind nicht nur die Pickel verschwunden. Janni wächst ein Horn auf dem Kopf, Ben bekommt einen seltsamen Steißfortsatz. Ihre Augen verfärben sich, reptilienartige Schuppen wachsen. Mit den körperlichen Veränderungen scheinen auch Teile ihres Hirns zu schrumpfen, besonders die Partien, die für Empathie verantwortlich sind. Triebsteuerung macht beide zunehmend gefährlich, auch füreinander. Die Pillen werden zur Sucht. Und die Jungs mutieren zu Dinosauriern auf Beutezug (Kostüm Sophie Van den Keybus, Prosthetic Make-up-Designer Jörn Seifert). Philipp Pfeiffers Kamera rückt den Jungs auf die sich verschuppende Pelle und gestaltet in der letzten Folge eine weitgehend ungeschnittene Action-Verfolgungsjagd, die sich gewaschen hat.
Jungsrollen, Männerbilder, Frauenvorstellungen: „Club der Dinosaurier“ dekliniert die durch Social Media explosionsartig verstärkten Schwierigkeiten des Heranwachsens. Die Serie wirkt wie ein Gegenstück zur aus weiblicher Perspektive erzählten ZDFneo-Essstörungs-Serie „Hungry“. Auf der einen Seite äußern sich Ben und Janni anfangs wie „incels“ (von „involuntary celibate“, unfreiwillig zölibatär). In dieser frauenfeindlichen Internet-Subkultur „stehen ihnen Frauen zu“, ist „Verweigerungshaltung“ auch mit Gewalt zu brechen. Auf der anderen Seite des Spektrums gefährlicher Männlichkeit steht die „Manosphere“-Bewegung um den inzwischen unter anderem wegen Vergewaltigung angeklagten Andrew Tate.
Neandertal-Männer wären zu Recht beleidigt ob der Zuschreibungen, die solche Leute ihnen verpassen. In „Club der Dinosaurier“ lassen sich die jungen Frauen keineswegs an den Haaren in die Höhle ziehen, sie wissen sich zu wehren und sind reifer und schlauer als die gleichaltrigen Jungs. Wie einem das mit sechzehn Jahren eben so vorkommt. Die älteren Männer der Serie suchen freilich auch immer noch nach ihrer Identität und passenden Rollen. Jannis Vater Drago (Serkan Kaya) hat sich mit Holger (Henning Baum) einen schwulen Muskelprotz an Land gezogen; der Schuldirektor ist ein Sexist, und der schmächtige Lehrer Johannes (Max Mauff) versucht vergeblich, bei der Kollegin Carina (Sonja Gerhardt) zu landen. Wobei das Stück Sushi, das beim Date durch sein Gesicht wandert (Loriot lässt grüßen) nicht hilft. Vor allem aber spielen die jugendlichen Darsteller sehr beeindruckend, insbesondere Diyar Ilhan und Shadi Eck. Dass es sich dem Horror zum Trotz um eine Jugendserie handelt, beglaubigt der Schluss, an dem die Macht der Freundschaft den Bann des aggressiv Primitiven bricht.
Club der Dinosaurier läuft am Sonntag ab 20.15 Uhr bei ZDFneo und in der ZDF-Mediathek.