
So kannte man ihn: Eddie Giacomin ohne Helm im Eishockeytor
Foto: A.E. Maloof / APDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Sportkarrieren können viele Jahre dauern, sie können zur Routine werden, Training, Wettkampf, Pressekonferenz, Training. Immer so fort.
Und dann gibt es mittendrin diese magischen Momente, für die sich alles, die jahrelange Quälerei, die Verletzungen, das Schuften in der Reha, zu lohnen scheinen. Ein Moment, wie ihn Eddie Giacomin am 2. November 1975 erlebte.

Eddie Giacomin als Rangers-Torwart 1970
Foto: Dreamstime / IMAGOGiacomin, am Montag im Alter von 86 Jahren gestorben, war damals schon eine Eishockeyikone. Seit zehn Jahren stand er im Tor der New York Rangers, ein Hüne, der auf das Tragen von Helm und Schutzmaske auch dann noch liebend gern verzichtete, als um ihn herum die Profis schon mit Kopfschutz aufliefen.
Ein Draufgänger, unerschrocken, gefürchtet von den gegnerischen Stürmern in der NHL, ein Torwart zudem, der mit seinem offensiven Spielstil die Moderne im Eishockey repräsentierte.
Sechsmal beim Allstar-Game
Sechsmal wurde er für das Allstar-Game der NHL nominiert: 1967, 1968, 1969, 1970, 1971 und 1973. 1971 erhielt er die Vezina Trophy, mit der der beste Goalie der Saison ausgezeichnet wird.
Doch nach einem Jahrzehnt im Rangers-Tor hatte das Management des Klubs andere Pläne. Ein jüngerer Goalkeeper sollte her. Chefcoach Emile Francis, aus seinen aktiven Spielerzeiten mit dem Spitznamen »The Cat« bedacht, hatte es Giacomin beizubringen, dass er in New York nicht mehr benötigt werde.

Eddie Giacomin in Aktion
Foto: B Bennett / Getty ImagesFür den Torwart brach eine Welt zusammen. Er hatte Suizidgedanken, so erzählte er es später. New York, die Rangers, der Madison Square Garden, das war seine Welt. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, galt das nicht mehr.
Als die Nachricht, Giacomin und die Rangers trennen sich, an die Öffentlichkeit gelangte, zögerte die Konkurrenz keinen Moment. Die Detroit Red Wings griffen zu und nahmen Giacomin unter Vertrag. Der Keeper, der bei den Rangers immer und wie selbstverständlich die Nummer eins getragen hatte, bekam bei den Red Wings das Trikot mit der 31, auch das muss er als Demütigung empfunden haben.
Schwer verletzt als Teenager
Giacomin ist zwar im kanadischen Sudbury in Ontario geboren, aber New York – das war schon früh seine Endstation Sehnsucht. Als junger Kanadier kam man damals nicht herum, Eishockey zu spielen, aber die Sportkarriere von Eddie Giacomin schien beendet, bevor sie so richtig begonnen hatte.
Als Jugendlicher zog er sich am heimischen Küchenherd schwere Verbrennungen zu, an Armen und Beinen musste ihm die Haut transplantiert werden. Monatelang war er bandagiert, die Ärzte lächelten nur müde, wenn er sie fragte, wann er wieder Sport machen könne.

Giacomin mit den Rangers gegen die Boston Bruins
Foto: Dick Raphael / Sports Illustrated / Getty ImagesDoch Giacomin gab nicht auf. Irgendwann versuchte er es wieder mit seinem geliebten Sport. Er spielte Eishockey in einer kleinen Liga, die ihre Partien erst ab Mitternacht austrug. Dass er spielen durfte, war kostenpflichtig. Hauptsache, er stand wieder auf dem Eis.
Giacomin erkannte früh, dass er im Tor am wirkungsvollsten war. Und so ging es aufwärts mit der Laufbahn, über die Washington Presidents und die Providence Reds empfahl er sich für die Rangers, die ihn 1965 verpflichteten. Der Traum des Edie Giacomin war wahr geworden. New York, die Stadt, von der es heißt, wer es dort schafft, schafft es überall.
Giacomin schaffte es. Zehn Jahre lang, Publikumsliebling im Garden – und 1975, mit 36 Jahren war es vorbei. Schluss mit New York, jetzt Detroit. Besser als nichts.
Vorhang auf für das perfekte Drama
Damit war der Vorhang für das perfekte Drama geöffnet: Schon zwei Tage nach der Trennung, so wollte es der Spielplan, traten die Red Wings im Madison Square Garden bei den Rangers an. An jenem 2. November 1975.
Schon vor dem ersten Bully sang die gesamte Arena ihre »Eddie, Eddie«-Sprechchöre. Das New Yorker Publikum feierte den Torwart des gegnerischen Teams. So etwas hatte es noch nie gegeben. Nur beim Abspielen der Nationalhymne vor Spielbeginn verebbten die Sprechchöre kurz, dann setzten sie wieder ein. »Eddie, Eddie, Eddie«, das gesamte Spiel.

Eddie Giacomin 2019
Foto: Joshua Sarner / Icon SMI / IMAGOUnd mehr noch: »Kill the Cat«, rief das Publikum, es war klar, was damit gemeint war. Coach Emile Francis war der Buhmann der Fans, der Mann, der ihren Liebling aus New York vertrieben hatte.
6:4 gewannen die Red Wings, nach jedem Tor, das die Rangers erzielten, wurde der Torschütze von den eigenen Fans ausgebuht. Die Rangers-Stürmer fuhren anschließend zu Giacomin und entschuldigten sich dafür, dass sie ihm den Puck ins Netz gesetzt hatten. Dem Keeper selbst liefen die Tränen das Gesicht herunter, »das alles war zu viel für mich«.
Highlight im Madison Square Garden
New York ist groß, die New Yok Rangers sind groß. An diesem Abend war Eddie Giacomin größer als die Rangers, er war so groß wie New York.
Der Madison Square Garden, dieser legendäre Entertainment-Tempel, hat viel gesehen. Marilyn Monroe sang dort ihr berühmtes Geburtstagsständchen für John F. Kennedy, Muhammad Ali und Joe Frazier duellierten sich. Der Abend des Eddie Giacomin reiht sich ein, ein legendärer Abend im Garden.
Giacomin stand noch bis 1978 bei den Red Wings im Tor, dann beendete er seine aktive Karriere mit fast 40 Jahren. Später schlug er die Trainerlaufbahn ein, er hoffte auf den Chefposten bei den New York Rangers, doch sie gaben ihm nur eine Assistentenstelle.
Die New York Rangers, die den Profi so enttäuscht hatten, hatten später immerhin das Gespür für die Geste: Das Trikot mit der Nummer eins wird zu Giacomins Ehren nicht mehr vergeben.