Meister der Metafiktion: Zum Tod des postmodernen Erzählers Robert Coover

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Während deutsche Verlage und die von ihnen bespielten Bestsellerlisten in den Achtzigerjahren hierzulande eine bestimmte Sorte amerikanischer Literatur verbreiteten – John Updike, Philip Roth, dann auch Richard Ford oder Raymond Carver –, lief an deutschen Universitäten, etwa an Amerika-Instituten in Berlin oder München, ein ganz anderer Film: die Metafiktion, die „Postmoderne“. Autoren wie John Barth und Robert Coover lieferten neue Erzähltheorien, beriefen sich auf einen Lehrmeister namens Borges und sprachen vom Ende des realistischen Erzählens, was natürlich keinesfalls das Ende bedeutete, sondern nur ein Wertungsetikett auf eine als überkommen empfundene Darstellungsform klebte: Realismus sollte out sein, Sprachspiel, Poststrukturalismus und „linguistic turn“ der Geisteswissenschaften waren in.

Thomas Pynchon gehörte ebenfalls zu den Auserwählten, irgendwann auch Don DeLillo oder der großartige John Hawkes. Kein deutsches Medium war fixer im Aufspüren und Verbreiten der amerikanischen Avantgarde als das von Norbert Wehr herausgegebene Literaturmagazin „Schreibheft“, das in dichter Folge unübersetzte Erzählungen, lange Interviews und schwer greifbare Essays der US-Postmodernisten veröffentlichte.

Mythen kann man ein- und ausstülpen

Robert Coover, geboren 1932, war eine der wichtigsten Stimmen dieser schönen, aufbruchsbereiten Zeit, denn wie John Barth hatte er eine Professur inne und verband seine Schreibpraxis mit offenbar inspirierender akademischer Lehre. 1983 erschien auf Deutsch, erstellt von einer „Arbeitsgruppe“, sein großer Roman „Die öffentliche Verbrennung“ (englisch 1977), dessen politische Satire auf einer grellen, selbstverständlich fiktiven Inszenierung beruht: die öffentliche Hinrichtung der „Atomspione“ Julius und Ethel Rosenberg 1953 auf dem New Yorker Times Square. (In Wahrheit endeten sie auf dem elektrischen Stuhl.)

Coover nutzte eine der hitzigen Debatten des Kalten Kriegs, um Hexenjagd und politische Propaganda satirisch zu unterlaufen, und dass bei ihm Richard Nixon ebenso seine Auftritte hat wie „Uncle Sam“ oder „das Phantom“, zu schweigen von der wüsten pornographischen Grundierung der Story, verrät viel über die tabubrecherische Angriffslust des Autors. Das Umschreiben überlieferter Geschichten wurde bei Coover zum Mittel der Ideologiekritik, um politische und gesellschaftliche Klischees aus den Köpfen seiner Leser zu verbannen. Jeder Mythos, so Coover, dürfe ein- oder ausgestülpt, vorwärts und rückwärts gelesen werden.

Phantasien über die Babysitterin

Ob die Romanübersetzung jener „Arbeitsgruppe“ sich finanziell gelohnt hat, wissen wir nicht, auch nicht, für wen, wenn überhaupt. Breitere Leserschichten dürfte Coover in Deutschland ohnehin kaum erreicht haben, doch er war da und machte sein Ding, und manchmal tauchte er zu Vorträgen an einer deutschen Uni auf. Besonders die Neunzigerjahre spülten eine Reihe seiner Bücher auf den deutschen Markt, etwa „Casablanca, Spätvorstellung“ (1990), „Geralds Party“ 1992), „Pinocchio in Venedig“ und die herausragende Erzählsammlung „Schräge Töne“ (beide 1994).

Es ist das letztgenannte Buch, das seine wohl beste Erzählung überhaupt enthält, „Die Babysitterin“, die bezeichnenderweise schon fünf Jahre zuvor im „Schreibheft“ erschienen war. Es handelt sich um ein einfaches Setting: Babysitterin betreut die drei Kinder eines Paares, das ausgeht, Freund der Babysitterin will vorbeikommen und bringt einen Freund mit, Babysitterin kämpft mit Badewanne, Windel und Klo, Ehemann begehrt Babysitterin, Ehefrau kommt auch noch ins Spiel und so weiter. Doch „und so weiter“ bedeutet bei Coover mehr als bei anderen. Virtuos spielt der Autor wie in einem Baukasten der Fiktionen und (abermals pornographischen) Phantasien die Handlungsmöglichkeiten seiner Versuchsanordnung durch, schiebt sie ineinander oder lässt sie wieder auseinandertreten, bevor sie scheppernd zusammenkrachen, und die Erzählung ist nicht nur subtil gebaut, sondern außerordentlich spannend – ein Klassiker der Metafiktion ohne Staub oder Dürre.

Viel hat Robert Coover auf Reisen gelernt, und meist entstanden seine Bücher fern von den Orten, an denen sie spielten, oft im Ausland in karger, fast mönchischer Umgebung. Die Distanz zu Amerika sei für ihn wichtig, sagte er einmal in einem Interview (veröffentlicht im „Schreibheft“, wo sonst), und im selben langen Gespräch sprach er von seiner „Berufung“, ohne das Wort zu scheuen. Denn: „Schreiben ist kein Job, den man macht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich wollte etwas wählen und mich von etwas wählen lassen, das mich in meinem Leben leiten sollte. Schreiben wurde von nun an zum Mittelpunkt meines Lebens.“

Rund dreißig Jahre hat Coover an der Brown University kreatives Schreiben und – ein Pionier! – elektronisches Schreiben unterrichtet, worüber wir aber nichts Genaueres wissen. Nur so viel: Frühere Studenten sprechen gut von ihm. Romane hat er im neuen Jahrtausend auch noch geschrieben, doch sie wurden nicht mehr übersetzt. Auf Deutsch, ein Nachzügler, erschien nur noch der schmale Band „Street Cop“ (2023), illustriert von Art Spiegelman und übertragen von Clemens Meyer. Am 5. Oktober ist Robert Coover im Alter von 92 Jahren in Warwick (England) gestorben.

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