Martinů-Festtage Basel: Ein Hort der tschechischen Moderne

vor 12 Stunden 1

Als sich der Komponist Bohuslav Martinů 1956 auf Anregung seines Freundes und Mäzens Paul Sacher auf dessen Landgut im Baseler Umland niederließ und bis zu seinem Tod 1959 auch nicht mehr wegzog, setzte er zumindest einen versöhnlichen Schlusspunkt hinter ein Dilemma, das ihn doch nie losließ. Geboren im böhmischen Dorf Polička, damals an der Grenze zu Mähren, zog Martinů zum Studium erst nach Prag, später in die ganze Welt hinaus. In Paris und New York warf er sich mit Begeisterung in die Strudel der Moderne, begeisterte sich für Jazz, Tanz, Film, Fernsehen und verarbeitete seine Eindrücke in zahlreichen, teils charmant-skurrilen, häufig visionären Arbeiten. Seine Kindheit als Schuhmachersohn auf dem Dorf ließ ihn doch nicht los, und Gefühle von Heimweh und Entwurzelung ziehen sich trotz aller Zerwürfnisse mit der Tschechoslowakei durch sein Œuvre.

In Basel, das dank seinem spendierfreudigen Mäzenatentum in den gedrungenen mittelalterlichen Häusern und Stadtpalais eine unüberschaubare Vielzahl an Künstlern und ihrer Werke beherbergt, fand der gesundheitlich angeschlagene Komponist 1956 die Ruhe, die er brauchte, ohne ganz den Kontakt zum künstlerischen und gesellschaftlichen Puls der Zeit zu verlieren.

DSGVO Platzhalter

Sechsunddreißig Jahre nach Martinůs Tod gründete hier der Pianist Robert Kolinsky, selbst tschechischer und schweizerischer Herkunft, die Martinů-Festtage. Noch immer finden sie unter seiner Leitung jedes Jahr im Herbst für rund zwei Wochen statt; damit sind sie die älteste bestehende Veranstaltung ihrer Art in der Stadt. Angesichts des kunstaffinen und anspruchsvollen Baseler Publikums einer-, und des sperrigen Programms andererseits eine echte Leistung.

Was damals klein angefangen hat, ist nicht viel größer geworden – dieses Jahr stehen gerade einmal sieben Veranstaltungen auf dem Programm. Doch sieht man sich die Historie der Festtage an, stellt man fest, dass sich hier nach Prag nicht nur der wichtigste Ort der Martinů-Pflege, sondern überhaupt ein Hort für die weniger beleuchteten Winkel der (tschechischen) Moderne etabliert hat. In den vergangenen Jahren waren nicht nur Namen wie Gidon Kremer oder das London Symphony Orchestra hier zu Gast; mit Jiří Menzel oder den Brüdern Bubeníček unternahm man auch Ausflüge in die darstellende Kunst von Oper und Tanz. So finden auch dieses Jahr neben den Konzerten Veranstaltungen wie die Begegnung mit dem Comiczeichner Jens Harder oder ein Filmscreening statt, das sich der tschechischen Avantgarde der Zwischenkriegsjahre widmet. Thematisch liegt der Fokus der dreißigsten Saison ganz auf dem Gilgamesch-Epos, das Martinů in seinem Oratorium „The Epic of Gilgamesh“ vertont hat; nachdem es 1958 bereits in Basel uraufgeführt wurde, beschließt es dieses Jahr die Festtage.

DSGVO Platzhalter

Denkbar weit von solcher Schwere entfernt, eröffnete das Luca Sestak Trio die diesjährige Ausgabe. In der alten Brauerei Warteck spielten die Jazzmusiker ein Programm aus Eigenkompositionen und Stücken über Themen klassischer Werke.

Zugegeben – mit Martinů hatte das allenfalls im Geiste des freien Herumprobierens zu tun; großen Spaß hat es dennoch bereitet. Die ausufernden Stücke über Chopins Minutenwalzer oder Sibelius’ „Etüde in a-Moll, Opus weiß ich nicht“ (es wäre 76 gewesen, tut aber auch nichts zur Sache) sind dicht, musikalisch virtuos und nehmen ihre Vorlagen ernst. Dass die Verarbeitungen der Stücke so gut für Künstler und Publikum funktionieren spricht nur für die unumstößliche rhythmische und melodische Sprengkraft ihres thematischen Materials, unabhängig von der Verarbeitung.

Weit weniger zugänglich wäre da Martinůs Jazz gewesen, aber das ließe sich wohl über sein ganzes Œuvre sagen. Trotz der Erfolge zu Lebzeiten wird er heute sowohl vom Publikum als auch von Künstlern und Wissenschaft häufig als Komponist mit einem Hang zur eklektizistischen Kuriosität belächelt. Seine Methoden waren unorthodox, der klassisch akademischen Ausbildung konnte er nie viel abgewinnen, und so ließ er sich vor allem von der eigenen Faszination leiten. Einzig aus ihr sind die zahlreichen Werke entstanden, die die Spielräume der Moderne von dramatisierter Mausefabel und Legendenoratorium, von der Fernsehoper bis zur Kammermusik nach dem Modell mittelalterlicher Vokalpolyphonie abstecken. Die Vielfalt und stilistische Uneindeutigkeit macht es der Verbreitung seiner Werke oft nicht leicht. Die breitere Rezeption seiner „Greek Passion“ in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt bei den Salzburger Festspielen, zeigt welche Faszination dennoch von Martinů ausgeht.

Hört man hin, merkt man, wie ernst es dem Komponisten um seine Musik war. Beim Kammerkonzert mit Stefan Dohr erklingt im (akustisch leider ungeeigneten) Foyer des Tinguely-Museums, neben der Serenade I und dem fragmentarischen Nonett auch das Quartett für Klarinette, Horn, Cello und kleine Trommel. Was zunächst wie bloße Spielerei wirkt, entfaltet im Allegro moderato schon einen düster-grotesken Zug, wenn Cello und Trommel dumpf marschieren, während sich die Klarinette unschlüssig auf und ab bewegt und sich das Horn davon unbeeindruckt melodisch darüberlegt. Ähnlich ambivalent kommt der zweite Satz daher; lange erklingt nur ein dunkler Gesang des Cellos, bevor sich der Rest der Besetzung subtil dazugesellt. Beni Santora spielt sein Solo an diesem Abend ausgesprochen herb, bisweilen trotzig, dass die Zuhörer zwischen Klangschönheit und Angst vor dem dämmernden Abgrund hin- und hergeworfen werden. Was also zunächst wie die Suche nach Neuem um des Effektes willen wirken könnte – schau an, eine Trommel im Quartett – wird bei Martinů zu einem klugen Spiel mit Klangidiomen und ihren Assoziationen im Hörergedächtnis.

Jede der drei Kompositionen Martinůs an diesem Abend ist in seinen Pariser Zwischenkriegsjahren entstanden – in einem Klima, das anders als der deutschsprachige Raum nicht von einem Ringen der akademischen Schulen, sondern von dem elektrisierenden Experimentiergeist geprägt war, der ihn nachhaltig beflügeln sollte, bevor er letztlich in Basel zur Ruhe kam.

Gesamten Artikel lesen