Libanon : Hisbollah ruft zum Durchhalten auf

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Die Hisbollah schwört Libanon auf den Widerstand gegen Israel ein. Gleichzeitig zeigen sich die Militanten aber interessiert an einem Waffenstillstand. Einer der wenigen noch lebenden Führer der schiitischen Organisation meldete sich am Dienstag in einer Videoaufzeichnung aus dem Untergrund zu Wort. Scheich Naim Kassim machte keinen Hehl daraus, dass die Hisbollah schwerste Schläge haben einstecken müssen: vor allem mit dem den Tod ihres langjährigen Generalsekretärs Hassan Nasrallah und weiterer Kommandeure durch gezielte israelische Bombenangriffen auf unterirdische Kommandobunker in Beirut.

Kassim bestritt in seiner halbstündigen Rede aber, dass die Führung der Gruppe zerschlagen und die Waffenlager dezimiert seien. Für jeden amtierenden Führer stehe Ersatz bereit, sagte Kassim. Auch gebe es genug Waffen für Angriffe auf Israel. Dies zeigten die jüngsten Attacken. „Wir haben Raketen, und unsere Lager sind gut gefüllt.“ Danach schwor er die eigene schiitische Anhängerschaft, aber auch den gesamten Libanon – also auch Christen, Sunniten und Drusen – auf „einen langen und harten Kampf“ ein.

Scheich Naim Kassim während der Übertragung. (Foto: AL MANAR TV/VIA REUTERS)

Der 71-jährige Kassim ist einer der wenigen Überlebenden der alten Hisbollah-Führungsgeneration. Er ist seit 1991 Vize-Generalsekretär und war damit Vertreter Nasrallahs. Bisher hat die Organisation keinen Nachfolger ernannt. Kassim käme infrage, möglicherweise wird die Organisation aber niemanden offiziell benennen, um ihn vor Attacken Israels zu schützen. Kenner der Hisbollah sagen, dass die Gruppe derzeit von einer „Schura“, also einem islamischen Rat, geführt werde.

Kassim gab sich betont kämpferisch. Die Hisbollah stehe bereit zum Krieg am Boden in Südlibanon. Der „Widerstand“ sei den Israelis überlegen. Dass deren Truppen bisher nicht tief ins Landesinnere hätten vorrücken könnten, zeige, dass sie bald „im libanesischen Sumpf“ versinken würden. „Wir sind am Boden stark. Bald werdet ihr die Hilfeschreie der Israelis hören.“ 

Fast gleichzeitig mit der Ausstrahlung der Rede schoss die Hisbollah Raketen auf Ziele vor allem im Norden Israels. Insgesamt seien 135 Raketen registriert worden, teilte die israelische Armee mit. Die meisten der Geschosse seien abgefangen worden, einige aber auch in Vororten Haifas, der drittgrößten Stadt Israels, eingeschlagen. Eine Frau wurde demnach leicht verletzt. Das israelische Militär gab außerdem bekannt, dass die Offensive in Libanon ausgeweitet wurde. Man habe nun auch mit Bodeneinsätzen im Südwesten des Landes begonnen. Ziel der israelischen Armee ist es nach eigenen Angaben, die Hisbollah aus den Grenzgebieten zu verdrängen.

Kassims Rede zeigt, wie angeschlagen die radikalislamische Miliz ist. So machte er ein kaum verschleiertes Verhandlungsangebot und zeigte sich interessiert an einem Waffenstillstand: „Die Details der Übereinkunft kann man später regeln.“ Jede Waffenstillstandsregelung müsse aber „gerecht“ sein. „Wenn Israel weiter kämpfen will, wird auf dem Schlachtfeld entschieden.“

Kassim erwähnte den libanesischen Parlamentspräsidenten, den Schiiten Nabih Berri, als möglichen Mittelsmann für Gespräche. Die Bereitschaft der Hisbollah zu einem Waffenstillstand in offensichtlicher militärischer Bedrängnis ähnelt allerdings den Gesprächsangeboten der palästinensischen Hamas im Kampf gegen Israel. Diese hatte bei allen Verhandlungsofferten stets aus israelischer Sicht unerfüllbare Forderungen gestellt, etwa den Rückzug der Armee aus Gaza. 

Klar ist, dass die Hisbollah eine israelische Präsenz in Südlibanon nicht akzeptieren würde. Selbst der in der UN-Resolution 1701 bindend vorgesehene – und von Israel seit Jahren geforderte – Rückzug aller Hisbollah-Kämpfer aus dem libanesisch-israelischen Grenzgebiet und damit hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss scheint für die Hisbollah bisher unvorstellbar zu sein. Es wäre aber das Minimum dessen, was jede Regierung in Jerusalem fordern würde. Kassim sagte zudem, die Hisbollah stehe weiter zum Kampf der Hamas in Gaza. Auch den Schulterschluss mit Iran betonte er: Teheran unterstütze die Hisbollah weiterhin.

Der selbstsicher auftretende Hisbollah-Scheich beschwor am Ende seiner Rede die Einheit aller Libanesen „im Widerstand gegen Israel“, hinter dem die USA stünden. Vor allem an die vor dem Krieg fliehenden Schiiten, aber auch an die den inzwischen 1,2 Millionen Flüchtlingen Hilfe leistenden libanesischen Sunniten und Christen gewandt, anerkannte Kassim das Leid der Vertreibung. „Der Kampf ist hart und wird dauern“, stimmte er alle Libanesen auf einen langen Krieg ein.

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