Landwirtschaft: Gülle frei – mit Folgen für das Grundwasser

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Alois Rainer lässt sich Zeit, bis er vor die Kameras tritt. Dann aber klingt er umso entschiedener. „Heute ist ein guter Tag für die deutsche Landwirtschaft“, sagt der Agrarminister von der CSU. Gelungen sei „ein großer Schritt zum Bürokratieabbau“. Allerdings sieht das außerhalb der Landwirtschaft kaum einer so. Selbst innerhalb der Bauernschaft ist der Schritt umstritten. Denn womöglich hilft er den Falschen.

Das Kabinett hatte sich am Morgen mit einem Teil der deutschen Düngegesetzgebung befasst, der sogenannten Stoffstrombilanzverordnung – und schaffte sie kurzerhand ab. Bisher hatte diese Regel Betriebe mit mehr als 20 Hektar Land oder mehr als 50 Großvieheinheiten dazu verpflichtet, über den Einsatz von Dünger und Gülle genau Buch zu führen. Sie mussten also dokumentieren, wie viele Nährstoffe sie verwenden, etwa in Form von Stickstoffdünger oder Gülle, und wie viele Nährstoffe ihren Betrieb verlassen, also in Form landwirtschaftlicher Erzeugnisse.

Deutschland überschreitet schon lange die Grenzwerte der EU

Das wiederum sollte helfen, die Nitratbelastung des Grundwassers zu senken. Denn erhalten die Pflanzen mehr Dünger, als sie aufnehmen können, wandern Überschüsse ins Grundwasser. Schon seit Jahren verstößt Deutschland gegen die Nitrat-Richtlinie der EU; seit 2008 werden nach Zahlen des Umweltbundesamts an jeder sechsten Messstelle im Land die Grenzwerte überschritten. Und das passiert vor allem in Regionen mit viel Tierhaltung, denn hier landet Gülle auf den Äckern. Häufig ist es zu viel.

Seit Jahren lagen Bundesregierungen deshalb im Clinch mit der EU-Kommission. Um das Problem in den Griff zu bekommen, entstanden sogenannte „rote Gebiete“, in denen strengere Auflagen galten. Regionen also, in denen das Grundwasser besonders belastet ist. Die Stoffstrombilanz sollte helfen, den Verursachern auf die Spur zu kommen und jene Betriebe von Auflagen zu befreien, die korrekt düngen. Schließlich wurde all das durch die Bilanzen transparent.

 Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) am Dienstag vor dem Kanzleramt.
„Heute ist ein guter Tag für die deutsche Landwirtschaft“: Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) am Dienstag vor dem Kanzleramt. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Fällt diese Transparenz weg, hilft das vor allem den Verursachern, oft den großen Betrieben. Deshalb konnten selbst unter Landwirten viele der Stoffstrombilanz etwas abgewinnen, etwa unter bäuerlichen Betrieben. Nötig sei „ein System, das gezielt jene Betriebe honoriert, die verantwortungsvoll und mit ausgeglichenen Nährstoffbilanzen wirtschaften, und gleichzeitig die tatsächlichen Verursacher von zu hohen Nährstoffüberschüssen in die Pflicht nimmt“, sagt etwa Martin Schulz, Chef der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. Er selber wirtschaftet in einem roten Gebiet, muss also nach eigener Aussage Auflagen erfüllen, die letztlich andere durch ihre übermäßige Düngung verschuldet haben. „Das führt zu großem Frust im Berufsstand“, sagt Schulz. Mit der Stoffstrombilanz fehle nun die Möglichkeit, zu differenzieren.

Das Umweltministerium leistet keinen Widerstand, etwa wegen des Bauerntags?

Die Folgen dürften sich auch im Grundwasser zeigen, Umweltschützer und Vertreter der Wasserwerke schlagen schon Alarm. „Wer die Bilanz kippt, ohne ein neues Steuerungsinstrument vorzulegen, nimmt eine Beeinträchtigung des Grundwasserschutzes in Kauf“, sagt Karsten Specht, Vizepräsident des Verbands kommunaler Unternehmen. Der Verband vertritt viele Stadtwerke. In einem Aufruf gemeinsam mit Umweltschützern und Gewerkschaftern verlangte der Energie- und Wasserverband BDEW noch am Dienstag, „von einer Abschaffung abzusehen“.

Doch dafür ist es zu spät. Die eigentlich vorgesehene Beteiligung von Bundestag und Bundesrat umging die Bundesregierung. Das Grundgesetz lasse die Aufhebung der Verordnung auf diesem Wege zu, sagte Agrarminister Rainer nach der Kabinettssitzung. Das Umweltministerium, in der Vergangenheit stets um Umwelt- und Gewässerschutz bemüht, leistete keinen Widerstand. Agrarminister Rainer wiederum wirbt damit, dass die Betriebe durch den Verzicht auf die Bilanzierung 18 Millionen Euro an Bürokratiekosten sparen würden. Nun suche man nach einer anderen Lösung.  „Wir werden Wege finden, die zu belohnen, die Gutes für das Grundwasser tun“, sagte er. Konkreter wurde er nicht.

Der Deutsche Bauernverband hatte schon früher verlangt, die Stoffstrombilanz „ersatzlos“ zu streichen. Für die Landwirte-Lobby dürfte dieser Dienstag aber ohnehin ein Feiertag sein, schließlich machte das Kabinett auch beim Agrardiesel den Weg frei: Von Januar 2026 an sollen die Landwirte wieder in den Genuss jener Steuerermäßigung kommen, die ihnen die Ampelkoalition streichen wollte. Und eine Sondersitzung des Agrarausschusses legte am Dienstagmorgen den Grundstein dafür, dass noch am Donnerstag geplante Neuregelungen etwa bei der Tierhaltungskennzeichnung verschoben werden können.

Manch einer vermutet schon, dass die ganze Eile mit dem Bauerntag zusammenhängt, der an diesem Mittwoch in Berlin beginnt; für Donnerstag haben sich auch Rainer und Umweltminister Carsten Schneider (SPD) dort angesagt. „Für Applaus auf dem Bauerntag macht der Minister offenbar alles“, sagt etwa der Grünen-Agrarpolitiker Karl Bär. Die Umwelt habe dabei das Nachsehen.

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