Es sind Zahlen, die nur auf den ersten Blick gut aussehen. 57 Prozent der jungen Menschen in Europa ziehen die Demokratie uneingeschränkt anderen Staatsformen vor, in Deutschland ist die Zustimmung mit 71 Prozent am höchsten. Das ist zwar die Mehrheit. Aber es bedeutet eben auch, dass ein erklecklicher Teil der Jugend die Demokratie nicht besonders stark wertschätzt.
Die Zahlen stammen aus der Studie „Junges Europa“, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Die TUI-Stiftung führt die Erhebung bereits seit 2017 durch. In diesem Jahr wurden dafür in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Griechenland und Polen gut 6700 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren befragt. Wissenschaftlich begleitet wurde die Studie von Professor Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin.
Das Thema Zuwanderung sehen die Jungen kritischer als früher
„Bei jungen Menschen, die sich politisch rechts der Mitte verorten und ökonomisch benachteiligt fühlen, sinkt die Zustimmung zur Demokratie auf nur ein Drittel“, sagt Faas. „Diese Zahlen zeigen: Die Demokratie steht unter Druck – von außen wie von innen.“ Am niedrigsten ist die uneingeschränkte Zustimmung zur Demokratie in den sieben untersuchten Ländern übrigens mit 48 Prozent in Polen.
Beim Thema Migration sind junge Europäer und Europäerinnen kritischer geworden: 2021 waren 26 Prozent, heute sind 38 Prozent der Meinung sind, dass Zuwanderung stärker beschränkt werden sollte. „Im Ländervergleich finden sich die skeptischsten Einstellungen in Polen, Griechenland und Spanien“, sagt Faas. Eine europäische Grenzlage kann dieses Muster allerdings nicht erklären. Denn in Italien – ebenfalls stark von Migration betroffen – ist die Skepsis deutlich kleiner.
Die Studie offenbart auch eine erhebliche Unzufriedenheit mit der Funktionsfähigkeit des jeweiligen politischen Systems. Nur sechs Prozent der Befragten sagen, das politische System ihres eigenen Landes funktioniere uneingeschränkt gut und müsse nicht verändert werden. Auch in Deutschland sind es lediglich neun Prozent. Die Europäische Union erhält ebenfalls schlechte Bewertungen. Ob das eigene Land Mitglied der EU bleiben soll, steht für die meisten jungen Menschen zwar nicht zur Debatte. 66 Prozent bewerten die EU‐Mitgliedschaft als gut, in Deutschland sind es sogar 80 Prozent.
40 Prozent der Befragten sagen aber auch, die Art und Weise, wie die EU funktioniere, sei nicht besonders demokratisch. 53 Prozent kritisieren, dass sich die EU zu sehr mit Kleinigkeiten beschäftige, statt sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und der Aussage „Die EU ist eine gute Idee, aber sie ist sehr schlecht umgesetzt“ stimmen 51 Prozent der Befragten zu. Am unzufriedensten sind dabei die Griechen. Vom Europäischen Parlament fühlen sich die jungen Menschen dabei immer weniger vertreten. 2019 sagten noch 21 Prozent der Befragten, sie fühlten sich von den Abgeordneten stark oder sehr stark vertreten, jetzt sind es nur noch 15 Prozent.
„Gerade das Erleben des Funktionierens des politischen Systems hängt eng damit zusammen, wie Menschen ihren Alltag erleben“, sagt Faas. Wer ökonomische und oder physische Unsicherheiten erlebe, werde unzufrieden und wende sich vom System eher ab. Das sei „zunächst keine gute Nachricht – aber ein ganz klein wenig positiv kann man das auch deuten: Dagegen kann man etwas tun.“ Aber dann müsse man den jungen Menschen auch das liefern, was sie offenkundig vermissen.
Doch was vermissen sie? „Nur 37 Prozent beschreiben ihre finanzielle Lage als (eher) gut“, sagt Faas. „66 Prozent fühlen sich nachts auf der Straße nicht sicher, 53 Prozent fühlen sich in Clubs und Kneipen nicht sicher. Da ist also viel zu tun.“
Und wo sehen sich die jungen Europäer im politischen Spektrum? Rechts der Mitte ordnen sich jetzt 19 Prozent ein – vor vier Jahren waren es noch 14 Prozent. 33 Prozent sehen sich in der politischen Mitte, 32 Prozent bezeichnen sich als links. Die restlichen 16 Prozent machten keine Angabe oder wussten es nicht.