Israels Präsident Isaac Herzog in Berlin: Der Außenverteidiger

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Israels Präsident Herzog in Berlin Der Außenverteidiger

Der israelische Präsident Herzog stellt sich bei seinem Deutschlandbesuch vor die Politik von Regierungschef Netanyahu, die er zu Hause selbst kritisiert. Gastgeber Steinmeier redet seinem Freund ins Gewissen.

12.05.2025, 19.01 Uhr

 Kein Wort der Kritik Richtung Netanyahu

Präsidenten Steinmeier, Herzog: Kein Wort der Kritik Richtung Netanyahu

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Markus Schreiber / AP / picture alliance

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Wenn es nur die Technik wäre, die derzeit in den Beziehungen zwischen Israel und Deutschland hakt. Aber damit geht es jedenfalls los an diesem späten Montagvormittag im Park von Schloss Bellevue.

Gastgeber Frank-Walter Steinmeier hat in der prallen Sonne gerade seine Ausführungen beim gemeinsamen Presseauftritt mit Isaac Herzog beendet, jetzt ist der israelische Präsident an der Reihe. Aber viele der Übersetzungsgeräte spielen nicht mit, die Dolmetscherin aus dem Hebräischen ist kaum zu verstehen.

»Also fange ich noch mal an«, sagt Herzog, nachdem er schon eine Weile gesprochen hat. Kurioserweise gab es am Sonntag beim Besuch des neuen deutschen Außenministers Johann Wadephul in Jerusalem ähnliche technische Probleme.

 Würdigung der engen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel

Präsidenten Steinmeier, Herzog: Würdigung der engen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel

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Aber in Wahrheit gehen die Probleme derzeit sehr viel tiefer.

Und das ausgerechnet, wo man in diesen Tagen 60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern feiert. Deshalb ist Herzog zum Wochenbeginn nach Berlin gereist, am Dienstag und Mittwoch wird das deutsche Staatsoberhaupt diese Geste mit einem Gegenbesuch in Israel erwidern.

Die damaligen Regierungschefs, Ludwig Erhard und Levi Eschkol, vereinbarten am 12. Mai 1965 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Nach dem Menschheitsverbrechen Holocaust hatten sich beide Staaten zuvor erst langsam angenähert. Während der Nazi-Herrschaft wurden rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Europa ermordet.

«Für uns Deutsche war das ein Geschenk, das wir nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und des Zivilisationsbruchs der Schoa nicht erwarten durften», sagt der Bundespräsident zu diesem besonderen Jubiläum. Sein Amtskollege Herzog wird später entgegnen: »Wir sind stolz auf das Bündnis mit Deutschland und wir schätzen die tiefe Freundschaft und den deutschen Beitrag zu Israels Sicherheit und Wohlstand sehr.«

In Berlin trifft Herzog auch den neuen Kanzler Friedrich Merz zum Vieraugengespräch, den Rest des Tages verbringt er bei gemeinsamen Terminen mit Steinmeier, am Abend lädt dieser zu einem feierlichen Abendessen in seinen Amtssitz Bellevue.

Steinmeier nennt Herzog bei seinem Kosenamen

Die beiden Präsidenten kennen sich lange und schätzen sich. »Lieber Buji« sagt Steinmeier mehrfach, das ist der hebräische Kosename für Isaac, und: »lieber Freund«. Aber Herzog ist nicht als persönlicher Freund des Bundespräsidenten zu Gast, sondern als das Staatsoberhaupt eines Landes im Krieg.

Eines Landes, das sich nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem so viele Jüdinnen und Juden an einem Tag getötet wurden wie nie seit dem Holocaust, mit allen Mitteln zur Wehr setzt. Herzog hat das nicht exekutiv zu verantworten, er hat wie sein Gastgeber vorwiegend repräsentative Funktionen als Präsident. In Israel bestimmt Regierungschef Benjamin Netanyahu die Politik.

Netanyahu und Herzog sind alte politische Rivalen, als Chef der Arbeiterpartei forderte Herzog den Premier von der konservativen Likud-Partei 2015 sogar als Spitzenkandidat heraus. Als Präsident hat er seit dem Hamas-Überfall die Politik der Regierung Netanyahus mitunter kritisiert, vor allem mit Blick auf die Geiseln in der Hand der Terrorgruppe Hamas.

Einer der Vorwürfe gegen Netanyahu in Israel lautet, der Krieg in Gaza mit bislang Zehntausenden getöteten Palästinensern habe dem Schicksal der Geiseln mehr geschadet als genutzt. Nun erwägt Netanyahu die komplette Besetzung des Gazastreifens.

Er sei »tief besorgt« über die Politik der Regierung, sagte Herzog vor wenigen Wochen.

Aber in Berlin ist an diesem Montag der Außenverteidiger Herzog zu erleben. Ein Bruch des Völkerrechts, auch wegen der mangelnden Versorgung der Zivilbevölkerung in Gaza? Natürlich sei sein Land »dem Völkerrecht verpflichtet«, sagt der israelische Präsident.

Keine Distanzierung von der Regierung Netanyahu

Kein Wort kommt dem Präsidenten öffentlich über die Lippen, das man als Distanzierung von der israelischen Regierung verstehen könnte. Und selbst bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen gibt er sich diesmal, so wird berichtet, sehr viel zugeknöpfter als bei vergangenen Gelegenheiten.

Gastgeber Steinmeier, als langjähriger Außenminister grundsätzlich eher ein Mann der leisen Worte, wird für seine Verhältnisse sehr deutlich beim Auftritt mit Herzog: »Die Blockade für Hilfsgüter muss aufgehoben werden, humanitäre Hilfsgüter, medizinische Hilfsgüter – nicht irgendwann, sondern jetzt.« Er sehe das Dilemma Israels im Kampf gegen die Hamas, indem diese Zivilisten instrumentalisiere und sich zudem an Hilfsgütern bereichere. »Aber ich befürchte auch, dass das Leid, das die Menschen in Gaza erleben, die Gräben immer tiefer macht«, sagt Steinmeier.

 Vieraugengespräch im Kanzleramt

Herzog, Merz: Vieraugengespräch im Kanzleramt

Foto: Liesa Johannssen / REUTERS

So sah das auch die alte Bundesregierung unter Olaf Scholz – und so sieht es die neue von Merz: Israel genießt große Solidarität in Berlin, aber man macht sich Sorgen mit Blick auf die Politik Netanyahus. Außenminister Wadephul hat das gerade in Israel so ähnlich ausgedrückt.  Er traf neben seinem Außenministerkollegen Gideon Sa’ar auch Premier Netanyahu.

Steinmeier sagt in Rückblick auf die 60 Jahre diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern: Möglicherweise gebe es da etwas für die Gegenwart zu lernen, vielleicht könne die »ganz und gar unglaubliche deutsch-israelische Versöhnungsgeschichte« selbst ein Hoffnungsschimmer für den Nahen Osten sein, sagt er: »Frieden ist möglich, Versöhnung ist möglich.« Seine Beobachtung: Die arabischen Nachbarn seien jedenfalls so gesprächsbereit wie nie.

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