Israel: Oppositionspolitiker Gantz fordert Einheitsregierung in Israel

vor 5 Stunden 2

Israels früherer Verteidigungsminister Benny Gantz will durch eine Übergangsregierung die Freilassung der Geiseln sichern. Ultrarechte Parteien sollen außen vor bleiben.

24. August 2025, 4:09 Uhr Quelle: DIE ZEIT, AFP,

 Der israelische Politiker Benny Gantz ruft zur Bildung einer Einheitsregierung in Israel auf.
Der israelische Politiker Benny Gantz ruft zur Bildung einer Einheitsregierung in Israel auf. © Matias Delacroix/​AP/​dpa

Der frühere israelische Verteidigungsminister Benny Gantz hat für die Bildung einer Einheitsregierung zur Rettung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas appelliert. Bei einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz schlug Gantz am Samstag eine vorübergehende Koalition mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Vertretern der Opposition unter Ausschluss ultrarechter Parteien vor, um die Freilassung aller Geiseln aus dem Gazastreifen zu erreichen.

"Ich bin hier wegen der Geiseln, die keine Stimme haben. Ich bin hier für die Soldaten, die aufschreien und auf die in dieser Regierung niemand hört", sagte Gantz. "Die Pflicht unseres Staates ist es zuallererst, das Leben von Juden und allen Bürgern zu schützen", fügte er hinzu. "Jede Geisel, die in Lebensgefahr schwebt, könnte unser Sohn oder Ihr Sohn sein", sagte er.

Unterdessen forderten Tausende Demonstranten in Tel Aviv erneut ein Geiselabkommen. Die israelische Armee rückt laut Augenzeugenberichten bei ihrer Offensive im Gazastreifen in die Stadt Gaza vor.

Gantz fordert kein Ende des Krieges

Obwohl er sich für ein Abkommen mit der Hamas einsetzt, das die Freilassung der Geiseln ermöglichen würde, forderte Gantz bei seiner Ansprache am Samstagabend nicht das Ende des Krieges. "Die Terroristen der Hamas, die die Geiseln hungern lassen, müssen sterben, genau wie die Nazis", sagte der Oppositionspolitiker. "Wir werden sie bis zu ihrem letzten Tag jagen. Aber zuerst werden wir unsere Brüder retten."

Gantz bezog sich bei seiner Ansprache auch auf den 24-jährigen Evyatar David und den 22-jährigen Deutsch-Israeli Rom Braslavski, die in jüngsten Propagandavideos der Hamas in ausgemergeltem Zustand gezeigt wurden. Dies löste in Israel und international Entsetzen aus. Die beiden jungen Männer waren am 7. Oktober 2023 vom Nova-Musikfestival verschleppt worden und werden seitdem unter unmenschlichen Bedingungen in den Hamas-Tunneln im Gazastreifen festgehalten. Die Hamas wird unter anderem von der EU als Terrororganisation eingestuft.

Geiselfreilassung soll erste Aufgabe der Übergangsregierung bilden

Die von ihm vorgeschlagene Übergangsregierung würde ihre Amtszeit "mit einer Vereinbarung über die Geiseln beginnen, die alle nach Hause bringen wird", sagte Gantz. Anschließend würde sie ein Gesetz verabschieden, das "einen Rahmen für den Armeedienst festlegt, der unsere ultraorthodoxen Brüder einbezieht", bevor sie schließlich Wahlen für das Frühjahr 2026 ansetzt.

Gantz' Vorstoß erfolgte am Samstag ohne vorherige Ankündigung. Weder Netanjahu noch die von Gantz einbezogenen Oppositionspolitiker Jair Lapid und Avigdor Lieberman haben zunächst darauf reagiert.

Lapid ist Chef der größten Oppositionspartei Jesch Atid. Die Partei, die sich als Vertreterin der Mitte sieht, verfügt in der Knesset, dem 120 Sitze umfassenden israelischen Parlament, über 24 Abgeordnete. Lieberman wiederum steht der Partei Israel Beitenu vor. Die säkular ausgerichtete nationalistische Partei hat acht Abgeordnete – ebenso viele wie Gantz' Mitte-links-Bündnis Blau-Weiß. Zusammen mit den 32 Abgeordneten von Netanjahus Likud-Partei könnten diese drei Parteien eine Koalition mit einer stabilen Mehrheit von 72 Sitzen bilden.

Lapid und Lieberman haben bisher allerdings ausgeschlossen, sich einer Regierung unter Netanjahu anzuschließen. Gantz, der als größter Rivale des Regierungschefs gilt, hatte nach dem Großangriff der Hamas auf Israel zunächst einem Kriegskabinett angehört.

Netanjahus Koalition droht das Aus

Netanjahus derzeitige Koalition droht nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause zu zerbrechen. Wegen der geplanten Einberufung ultraorthodoxer Männer zum Wehrdienst haben zwei ultraorthodoxe Parteien der Regierung ihre Unterstützung entzogen.

Die Regierung steht innenpolitisch zunehmend unter Druck. Bei andauernden Massenprotesten fordern Demonstranten in Israel seit Monaten ein Abkommen für die Freilassung der noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln und für ein Ende des Krieges. Seit der Ankündigung des israelischen Sicherheitskabinetts, den Einsatz gegen die Hamas auf die Stadt Gaza auszuweiten, haben sich die Proteste verschärft.

Erneut Proteste gegen Netanjahu-Regierung

Am Samstagabend demonstrierten erneut Tausende Menschen in Tel Aviv. "Anstatt Leben zu retten, verurteilt Netanjahu die noch lebenden Geiseln zum Tod, (und) verurteilt uns zu einem ewigen und sinnlosen Krieg", sagte Yotam Cohen, der Bruder des von der Hamas verschleppten 21-jährigen Nimrod Cohen, bei der Kundgebung.

Netanjahu hatte am Donnerstag die Aufnahme "sofortiger Verhandlungen" zur Freilassung "aller Geiseln" und für "die Beendigung des Krieges unter für Israel akzeptablen Bedingungen" angeordnet. Die Entsendung einer israelischen Verhandlungsdelegation für eine neue Gesprächsrunde steht bislang aus, auch haben die Vermittler noch keinen neuen Verhandlungsort bekannt gegeben.

Der aktuelle Vermittlervorschlag, dem die Hamas nach eigenen Angaben zugestimmt hatte, sieht eine Freilassung einiger von ihr festgehaltener Geiseln vor – nicht aller. Demnach ist die Hamas bereit, zehn lebende und 18 tote israelische Geiseln an Israel zurückzugeben.

Gesamten Artikel lesen