Zerstörungen in der syrischen Hauptstadt Damaskus am Mittwoch: Nach den Attacken auf Ziele im Südlibanon weitet Israel seine Militärschläge im Nahen Osten aus. Gefährlichster Gegnerbleibt dabei Iran.
Bernhard Zand, DER SPIEGEL: »Wenn es nach der langfristigen israelischen Taktik und vor allen Dingen den taktischen Ideen von Premierminister Netanjahu geht, dann wären die logischen Ziele Irans Atomanlagen. Netanjahu warnt seit Jahren, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten, vor dem iranischen Atomprogramm. Er hat sie bei der Uno auf einen großen Zettel gemalt und aufgezeichnet, wie sehr er diese Atomanlagen im Visier hat. Ich nehme an, das wäre für Netanjahu sicher eine Vorstellung, die er gerne umsetzen würde. Und mit Sicherheit ist das auch in den israelischen Planungen ein Szenario, mit dem man immer rechnet. Dagegen spricht, dass die US-Regierung und wahrscheinlich auch innerhalb Israels viele davor warnen. «
Irans Regime dürfte aktuell zumindest keine größeren Angriffe auf Israel wagen. Innen- wie außenpolitisch ist das Mullah-Regime angeschlagen.
Bernhard Zand, DER SPIEGEL: »Innenpolitisch ist das Regime so schwach wie wahrscheinlich in seiner 45-jährigen Geschichte nicht. Denn wir erinnern uns: Es ist jetzt nur wenige Jahre her, dass eine große Welle des Protests über das Land gegangen ist. Wegen der Misshandlung der Frauen, wegen der Proteste nach dem Tod der jungen Kurdin Masah Amini. Und das iranische Regime zögert, seinem Volk, auf Deutsch gesagt, einen Konflikt zuzumuten, der möglicherweise das Regime selber hinwegfegen könnte. Außenpolitisch, geopolitisch steht Iran auch vor einem großen Dilemma. Denn es will diesen großen Krieg, den sich vielleicht der Hamasführer Jahia Sinwar am 7. Oktober ausgemalt hat, und an den vielleicht auch der jetzt tote Hisbollah-Führer Nasrallah gedacht hat, vermeiden. Denn das ist ein Kataklysmus, der nicht nur auf den Nahen Osten, sondern auf die Welt zukäme, dass, glaube ich, auch die iranische Führung zögert, das zu tun.«
Joe Biden, US-Präsident: »Ich glaube nicht, dass es einen großen Krieg geben wird. Ich glaube, wir können ihn vermeiden. Aber es gibt noch eine Menge zu tun.«
Die USA könnten Israel womöglich von folgenreichen Angriffen abhalten. Doch am 5. November wählen die Amerikaner den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Präsident Biden. Und das hat Einfluss auf die Außenpolitik.
Bernhard Zand: » Die jetzt noch regierende Administration will unter allen Umständen verhindern, dass ein Octobre Surprise passiert. Das gab es auch in früheren amerikanischen Wahlkämpfen. Und da könnte auch so eine außenpolitische Katastrophe, die passieren würde, also ein ganz großer Krieg im Nahen Osten, den Wahlkampf der demokratischen Kandidatin Kamala Harris völlig durcheinanderbringen. Trump pusht auf der anderen Seite in ganz klassischer isolationistischer Manier: Wir wollen keine forever wars mehr, wir wollen da nicht rein. Das ist natürlich erst mal nur Behauptung und Wahlkampfgetöse. Aber es zeigt natürlich, dass die demokratische Kandidatin, die Vizepräsidentin von Biden, Kamal Harris, da in Gefahr ist.«
Nicht nur auf den US-Wahlkampf, auch auf den Rest der Welt könnte sich der Nahostkonflikt langfristig auswirken. Zwei Folgen sind bereits abzusehen.
Bernhard Zand: »Das eine ist die geopolitische Spaltung der Welt: In einem großen Teil der Welt wird die Haltung des Westens, wie sie jetzt sehr unterstützend ist zu Israel, als fundamental ungerecht wahrgenommen. Das sieht man in der Uno, das sieht man in der internationalen Diplomatie. Und dieser Graben wird sich sicher verstärken. Das zweite ist die große Erniedrigung, die als Demütigung empfunden wird, in der arabischen und in der muslimischen Welt. Ähnliche Konstellationen haben im Irakkrieg, aber auch bei anderen vorangegangenen Konflikten letztlich die Ingredienzien für das gebracht, was dann als Ideologie von terroristischen Bewegungen hervorgekommen ist. Und es gibt hier in den USA Beobachter, die jetzt schon eindringlich davor warnen, dass eine Welle des internationalen Terrorismus folgen könnte auf das, was heute im Nahen Osten geschieht.«