Der israelische Oppositionspolitiker Benny Gantz hat am Wochenende zur Bildung einer sechsmonatigen Einheitsregierung aufgerufen. Eine solche Regierung, der keine ultrarechten Parteien angehören würden, solle eine Vereinbarung mit der palästinensischen Terrorgruppe Hamas zur Freilassung der 50 Geiseln ermöglichen, von denen 20 noch am Leben sein sollen. Im Frühjahr kommenden Jahres müsse es dann eine Neuwahl geben, sagte Gantz. Reguläre Neuwahlen in Israel sind erst wieder im Herbst kommenden Jahres.
„Ich bin hier wegen der Geiseln, die keine Stimme haben. Ich bin hier für die Soldaten, die aufschreien und auf die in dieser Regierung niemand hört“, sagte Gantz am Wochenende. Die Pflicht Israels sei zuallererst, das Leben von Juden und allen Bürgern zu schützen, fügte er hinzu. „Jede Geisel, die in Lebensgefahr schwebt, könnte unser Sohn oder Ihr Sohn sein“, sagte er. Ein Ende des Krieges forderte Gantz allerdings nicht am Samstagabend. „Die Terroristen der Hamas, die die Geiseln hungern lassen, müssen sterben, genau wie die Nazis“, sagte der Oppositionspolitiker. „Wir werden sie bis zu ihrem letzten Tag jagen. Aber zuerst werden wir unsere Brüder retten.“
„Wenn Netanjahu nicht zustimmt, dann wissen wir, dass wir alles getan haben“
Ex-Verteidigungsminister Gantz hatte Netanjahus Regierung 2024 nach Meinungsverschiedenheiten verlassen. Der Chef der Oppositionspartei Blau und Weiß forderte nun andere Oppositionspolitiker dazu auf, sich mit ihm gemeinsam für ein halbes Jahr einer „Regierung zur Freilassung der Geiseln“ anzuschließen. „Wenn Netanjahu nicht zustimmt, dann wissen wir, dass wir alles getan haben“, sagte Gantz. Netanjahu ist für sein politisches Überleben bislang auf rechtsextreme Koalitionspartner angewiesen, die ein Abkommen mit der islamistischen Terrororganisation Hamas über eine Waffenruhe strikt ablehnen.
Die Chancen für ein solches Bündnis gelten unter Beobachtern allerdings als gering. Die Führer mehrerer Oppositionsparteien lehnten am Sonntag den Aufruf von Benny Gantz ab, eine vorübergehende Einheitsregierung zu bilden und sich der Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu anzuschließen, um einen Geiseldeal auszuhandeln und Wahltermine festzulegen. Sie bezeichneten den Schritt als „erbärmlich“ und sagten, es gebe „keinen Grund“, sich der Regierung anzuschließen. „Ich werde nicht in der Regierung unter Benjamin Netanjahu sitzen, Punkt. Ich denke, er ist eine Person, die es nicht wert ist, Premierminister Israels zu sein“, erklärte Yair Lapid, der Vorsitzende der Jesch Atid-Partei, und sagte: „Jemand, der am 7. Oktober Premierminister war, kann nicht mehr Premierminister sein.“ Am 7. Oktober 2023 waren mehrere Tausend Hamas-Terroristen nach Israel eingedrungen und haben 1200 Menschen ermordet, vergewaltigt oder in den Gazastreifen verschleppt.
Israelischen Medienberichten zufolge tritt Israels Sicherheitskabinett am Dienstag zusammen, um über die Einsatzpläne zur Einnahme der Stadt Gaza abschließend abzustimmen, unterdessen setzte die israelische Armee Angriffe auf Außenbezirke Gazas fort. An diesem Tag werden wie schon am vergangenen Dienstag Hunderttausende Menschen in Israel mit einem landesweiten Streik in der Wirtschaft und in öffentlichen Institutionen versuchen, das öffentliche Leben lahmzulegen. Am Abend soll in Tel Aviv eine Großkundgebung stattfinden.
Mit Wut und Empörung haben die Angehörigen von Geiseln und ihre Interessenvertretung, das Hostages and Missing Families-Forum auf Äußerungen von US-Präsident Donald Trump reagiert, es seien „weniger als 20“ Geiseln noch am Leben. Bislang hieß es aus Kreisen der israelischen Regierung, Terrorgruppen im Gazastreifen hielten 50 Geiseln fest, darunter 49 der 251 Geiseln, die am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen entführt wurden. Darunter befänden sich die Leichen von mindestens 28 Geiseln, deren Tod von der israelischen Armee bestätigt wurde. Zwanzig Geiseln sollen noch am Leben sein. Der Nachrichtensender N12 berichtete nun am Wochenende, Israel gehe davon aus, dass sich „mindestens eine oder zwei“ der in Gaza festgehaltenen Geiseln in Lebensgefahr befinden.