Iran: Der Ayatollah verlässt den Bunker und verkündet den „Sieg“

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Als sie ihn sahen, weinten sie, die Frauen und die Männer. Sie streckten ihre Fäuste in die Luft, sie ließen den Raum „explodieren“, so sagte es später ein Mitarbeiter des Obersten Führers. Über Wochen hinweg war unbekannt, wo Ali Chamenei, der Staatschef, sich aufhielt. Israel beherrschte den Himmel über Iran, warf Bomben auf das Land, warf Bomben auf die Hauptstadt Teheran, tötete führende Generäle und insgesamt mehr als 900 Iranerinnen und Iraner.

Wo der „sichere Ort“ war, der Bunker, in den Chamenei geflüchtet war, blieb ein Staatsgeheimnis. Klar war nur, dass er um sein Leben fürchtete. Fürchten musste. Auch ihn umzubringen, das soll der israelische Plan gewesen sein, bevor die US-Regierung dagegen Einspruch erhob. So wurde es kolportiert. Und Donald Trump ließ nur wissen, er werde Chameneis Tötung „jedenfalls nicht jetzt“ befehlen.

Vor Luftangriffen kann der 86-Jährige im Bunker Schutz suchen, aber was, wenn er eines natürlichen Todes stirbt?

Und nun zeigte sich der Mann, der Iran seit 1989 beherrscht, erstmals wieder in der Öffentlichkeit. Vor einem kleinen, loyalen Publikum. In dem Komplex in Teheran, der ihm bis Kriegsbeginn als Machtzentrale gedient hat. Es ist der Ort, an dem in der Islamischen Republik die Entscheidungen fallen; das Parlament oder der Sitz des Präsidenten sind nur Beiwerk. Ali Chamenei hat das System auf sich ausgerichtet. Ihm nah zu sein, das zählt mehr als selbst ein Ministerposten.

Das aber könnte jetzt kritisch werden für ebendieses System. Chamenei ist 86 Jahre alt, was, wenn er stirbt? Schon vor einer Weile, lange vor der aktuellen Krise, hat er eine dreiköpfige Kommission damit beauftragt, seine Nachfolge zu regeln. Immer wieder fiel der Name seines Sohnes, was aber heikel wäre, weil das Regime sich rühmt, es habe die Monarchie überwunden. Während des Krieges jedenfalls soll Chamenei angeordnet haben, dass die Entscheidung schneller fallen soll. Gerüchte kamen auf, er selbst habe sich schon für einen Nachfolger entschieden.

Gerüchte gibt es viele in einem so intransparenten Apparat wie dem iranischen. Aber wohin sich das Regime bewegt, schon jetzt, während Chamenei noch lebt, davon erzählte die Zeremonie, zu der sich der Oberste Führer zeigte. Am Tag des für die Schiiten wichtigen Aschura-Fests erschien er, neben sich den Parlamentssprecher und den Chef der iranischen Justiz. Und einen religiösen Sänger, der ein nationalistisches Lied anstimmte.

„Ey Iran“ heißt das Lied. Ali Chamenei habe es sich gewünscht, sagte der Sänger. Für ein Regime, das sich auf den Islam beruft, ist das mindestens ungewöhnlich. In der Regel spricht Chamenei, der Kleriker, zur Umma, also zur globalen Gemeinschaft der Muslime. Jetzt will er offenbar für sich nutzen, was während des Krieges in Iran geschah: Auch viele, die das Regime ablehnen, waren gegen das israelische Bombardement. Sie wollten nicht, dass ein anderes Land ihre Heimat angreift.

Irans Regime setzt nun auf Nationalismus und Kriegsgebrüll – aber auch auf Diplomatie

Nationalistische Gefühle also. Auch die sogenannten Reformer im System, die eher moderaten Kräfte, beschwören nun den Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Im Regime scheinen sie zu glauben, dass sie mit kriegerischer Rhetorik wieder ihrem Volk näher kommen können. Viel Nähe war da in den vergangenen Jahren nicht. Ali Chamenei sprach bei seinem Auftritt wieder von einem „Sieg“ über Israel und Amerika, in Einklang mit der Botschaft seines Regimes: Man habe überlebt, und das gegen die modernsten Armeen der Welt.

Das heißt nicht, dass man nicht trotzdem mit den USA verhandeln würde. Die nächsten Gespräche übers Atomprogramm, die ersten seit dem Krieg, sie könnten bald stattfinden, heißt es. Der Oberste Führer gilt als extrem ängstlich und vorsichtig, deswegen hatte er den Gesprächen mit der Trump-Regierung Anfang des Jahres zugestimmt: Er glaubt, dass ein Deal mit Trump wichtig ist, damit es die Islamische Republik weiterhin gibt. Kriegsgebrüll also, aber auch Diplomatie.

Der neue Nationalismus erinnert an den Iran-Irak-Krieg in den Achtzigerjahren. Ihn führte Chamenei, damals noch Staatspräsident, über Jahre hinweg gegen jede militärische Logik weiter. Er glaubte, der Krieg würde der jungen Islamischen Republik einen Gründungsmythos schenken. Viele, die heute regieren, waren damals an der Front. Gerade unter den jungen Offizieren der Revolutionsgarden sehnen sie sich nach einem solchen Mythos, sie sind dogmatischer als die Alten.

Die Garden sind heute schon faktisch an der Macht, Chamenei hat ihnen innerhalb des Apparats den Weg dorthin geebnet. Er könnte sich, heißt es, sogar darauf einlassen, dass einer der ihren übernimmt, sollte er sterben – jedenfalls übergangsweise, damit kein unerfahrener Kleriker auf den Posten kommt und ein Machtvakuum entsteht.

Ali Chamenei könnte also vielleicht akzeptieren, dass nach ihm ein theologischer Laie die Islamische Republik dominiert. Er selbst war 1989 theologisch – zumindest auf dem Papier – selbst nicht ausreichend qualifiziert für den Posten. Man änderte eigens die Verfassung, gegen den Willen vieler Kleriker. In Machtfragen war die Theokratie schon immer sehr pragmatisch.

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