In der Oper gewesen, gekotzt

vor 13 Stunden 1

Da sage noch einer, Kunst provoziere heute nicht mehr. Wie ein Sprecher der Stuttgarter Staatsoper bestätigt, hat die Opernperformance „Sancta“ der notorisch drastischen Florentina Holzinger gesundheitliche Abwehrreaktionen bei Teilen des Publikums hervorgerufen.

Trotz einer Altersfreigabe ab 18 Jahren und mehreren Warnhinweisen hinterlässt ihre Inszenierung offenbar Spuren bei zarter besaiteten Besucherinnen und Besuchern. Rund um die ersten beiden Vorstellungen habe sich der Besucherservice um insgesamt 18 Menschen gekümmert, die zum Teil über Übelkeit geklagt hätten, bestätigte der Sprecher der Staatsoper, Sebastian Ebling. In drei Fällen habe ein Notarzt gerufen werden müssen.

Aufreizende Deutlichkeit

Mit ihren Arbeiten, bei denen Holzinger auf drastische Weise den weiblichen Körper in Szene setzt, schmerzhafte Stunts einbaut und auch vor pornographischen Elementen nicht zurückschreckt, sorgt Holzinger seit Jahren verlässlich für Aufsehen in der Theaterwelt. In „Sancta“ bringt sie mit aufreizender Deutlichkeit lesbische Liebesszenen auf die Bühne, zieht christliche Rituale ins Lächerliche und prangert die sexuelle Unterdrückung der Frau an. Spiritualität, Sexualität, aber auch Religionskritik und ein kritischer Blick auf religiöse und gesellschaftliche Gewalt ständen im Mittelpunkt der Aufführungen, informiert die Staatsoper pflichtschuldig. „Grenzen auszuloten und lustvoll zu überschreiten war von jeher eine zentrale Aufgabe der Kunst“, zitiert die Oper ihren Intendanten Viktor Schoner.

Maximale Drastik

Wenn die Religion heute wirklich noch eine Provokation für die Kunst darstellt, dann wäre das ja durchaus eine wirkliche Neuigkeit. Die etwas banalere Vermutung wäre aber: Es geht vor allem um den nackten weiblichen Körper, der hier mit maximaler Drastik ins Scheinwerferlicht gestellt wird.

In jedem Fall warnt die Staatsoper auf ihrer Homepage explizit davor, dass Holzingers Inszenierung explizite sexuelle Handlungen sowie Darstellungen und Beschreibungen von sexueller Gewalt beinhalte. Auch seien echtes Blut sowie Kunstblut, Piercingvorgänge und eine Verwundung zu sehen. Stroboskopeffekte, Lautstärke und Weihrauch würden ebenfalls eingesetzt.

Blut und Gewalt

Die Oper empfiehlt die Performance Zuschauern, die „wagemutig auf der Suche nach neuen Theatererfahrungen sind“, wie es auf der Homepage heißt. Allerdings sei Performancekunst neben dem Einsatz einiger Theatermittel eben „kein Fake, sondern echt“. Im Fall der in „Sancta“ gezeigten, auch sexuellen Gewalt warnt das Haus daher auch explizit vor Retraumatisierungen.

In einer Zeit, in der Achtsamkeit überall groß geschrieben wird, ist es wenig überraschend, dass die drastische Draufhaltekunst von Holzinger besondere Reaktionen hervorruft. Dass es im Theater früher höher hergegangen sein soll als heute, ist ebenfalls bekannt - von Essen, Trinken, Schlägereien und mehr ist die Rede. Ob nun aber das öffentliche Piercen und sexuelle Verletzen einen Weg zur Rückbesinnung auf den orgiastischen Ursprung des Theaters bietet? Mal abwarten.

Nach Angaben von Opernsprecher Ebling soll mit Blick auf die noch geplanten fünf „Sancta“-Abende jedenfalls trotz der wiederholten Kotzanfälle nichts am „echten“ Charakter der Aufführung geändert werden.

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