„Haut wie Pelz“: Apsilon rappt über Rassismus und Selbstzweifel

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Hip-Hop auf Deutsch, das ist schon lange kein Randphänomen mehr. Die Charts sind voll mit Musik von Künstlern wie Luciano, Shirin David oder Pashanim, die Konzerthallen ausverkauft. Hip-Hop ist die Musik der Stunde, quasi omnipräsent. Und doch sticht Apsilon heraus.

Auf der Busbühne in Hamburg kündigt er, nachdem schon einige Lieder gespielt sind, seinen nächsten Song an. „Er handelt von Selbstliebe, oder von fehlender Selbstliebe …“ – Apsilon stockt einen Augenblick und schaut etwas ratlos – „… ja, und den spielen wir jetzt.“ Auf einen traurig-getragenen Klangteppich aus Streichern und Klavier singt er: „Ich will wissen wie’s sich anfühlt / Wenn man sich selbst anguckt und liebt / Bei dir fällt es mir leicht, so leicht, so leicht / Ich glaub, ich hätt’ das nicht verdient.“ Auch so klingt deutscher Hip-Hop: fragil, verletzlich, nachdenklich. Da horcht auf, wer Rap bisher als Aneinanderreihung von Klischees abgespeichert hatte – fette Karren, halb nackte Frauen, schwere Goldketten, Drogen, Partys, Gewalt.

Keine Abgrenzung vom „Straßenrap“

Berlin, eine Woche später, das futuristisch-durchgestylte Bürogebäude einer Plattenfirma. Apsilon, 27 Jahre, hat auf einem grauen Sofa Platz genommen, ein nachdenklicher, zugewandter Mann, dem die dunklen Haare in die Stirn fallen. Musik, sagt er, sei auch immer Ausdruck des Zeitgeistes, der gesellschaftlichen Realität. „Wenn über Partys, Drogen und Hedonismus gerappt wird, schwingt da auch immer ein bisschen die Perspektivlosigkeit und die Resignation, die Politikverdrossenheit mit.“ Seine Themen sind andere, trotzdem ist es ihm wichtig, „Straßenrap“ nicht abzuwerten, sich nicht davon abzugrenzen. „Wenn Menschen aus ärmeren Verhältnissen kommen und die Gesellschaft ihnen vorlebt: ‚Du bist was, wenn du was hast‘, dann ist es komplett normal, dass die Menschen, wenn sie dann Erfolg haben, diese Statussymbole präsentieren.“

Arda, wie der Rapper mit bürgerlichem Vornamen heißt, weiß, wovon er spricht. Er ist im Berliner Stadtteil Moabit aufgewachsen. Eine gute Kindheit, sagt er, aber nicht behütet, sondern in einem „Nebeneinander“ aus Kriminalität, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit, Armut, aber auch schönen Ecken. Als Kind habe das seine Sicht auf die Welt geprägt. „Man entwickelt einen Sinn dafür, dass es eine gewisse Ungerechtigkeit gibt, die man tagtäglich sieht.“

Mit zwölf oder dreizehn Jahren beginnt er, selbst Texte zu schreiben, heimlich, allein in seinem Zimmer. Inspiriert von dem Rap, den er hört: Sido, Bushido, der ganze „Aggro Berlin“-Dunstkreis, aber auch die Frankfurter Straßenrapper rund um Haftbefehl und amerikanische Größen; Eminem, Kendrick Lamar oder The Notorious B.I.G. Später fasst er Mut, zeigt die Tracks und Texte seinen Freunden. Doch bis zur ersten Veröffentlichung im Herbst 2021 vergehen mehr als zehn Jahre. Mehr als ein Dutzend Apsilon-Singles und drei EPs sind seitdem erschienen – und nun ist auch sein Debütalbum „Haut wie Pelz“ im Handel. Undenkbar, sagt Apsilon auf dem Sofa, ohne diese Person an seiner Seite, seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Arman. Der produziert Beats, konzipiert die Musikvideos und unterstützt Apsilon als DJ auch bei dessen Auftritten.

Rapper Apsilon mit Sängerin Paula HartmannRapper Apsilon mit Sängerin Paula HartmannJumandy Guitarra

Die Familie ist generell ein wichtiger Bezugspunkt für den Rapper. Er ist Enkel türkischer Einwanderer, die Großeltern kamen in den Siebzigern als Gastarbeiter nach Deutschland. Ein zentrales Thema im Werk des Musikers. „Opa für drei Groschen am Tag malochert / Jeden Monat bis zur Ohnmacht für den Tagelohn, ah / Kohlenstaub geschluckt für euren Nachkriegswohlstand“, rappt er wütend in „Köfte“, einem seiner ersten Songs. Das Musikvideo zeigt schwarz-weiße Archivaufnahmen aus dieser Zeit.

Die Auseinandersetzung mit seiner Familiengeschichte ist einer der beiden Faktoren, die ihn emotional politisiert hätten, erzählt Apsilon. Zwar ist er schon als Jugendlicher politisch interessiert und aktiv, doch die Gespräche mit den Großeltern über die Vergangenheit berühren ihn besonders. „Das sind Sachen, die die politischen Zustände anders erfahrbar machen, als wenn man ein Buch liest oder Nachrichten guckt.“ Das zweite Ereignis, auf das er immer wieder zu sprechen kommt, ist der Terroranschlag von Hanau. Im Februar 2020 ermordete dort in einem Kiosk und einer Shishabar ein Rechtsex­tremist neun Menschen mit Migrationsgeschichte. „Das hätten auch meine Cousins und Cousinen sein können“, sagt Apsilon. Zwei Jahre nach dem Anschlag, bei einer Gedenkdemonstration in Berlin, performt er zum ersten Mal auf der Bühne.

Seitdem ist viel passiert, Apsilons Musik ist heute vielseitiger als damals, melodischer, gesangslastiger, weniger aggressiv. „Obwohl ich mir wünsche, dass sie in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten Anklang findet, versuche ich, meine Musik nicht danach auszurichten“, sagt er. Straßenrap liebe er nach wie vor, und das hört man auch seinem Debütalbum an. Mal trippeln nervöse Hi-Hats unter verzerrten Bässen und schnellem Sprechgesang, mal liegt Apsilons Stimme autotuneverzerrt über fanfarendüsteren Synthesizern.

„Wenn wieder die Sonne fehlt“

Doch auch andere Einflüsse sind präsent: Rio Reiser etwa, an dessen lyrische Qualität so mancher Apsilon-Refrain denken lässt, oder der amerikanische Sänger Frank Ocean, an den die vielen warmen Synthesizer- und Klavierklänge, die mehrstimmigen Refrains und zarten Kopfstimmen-Parts bisweilen erinnern.

Nicht alle Songs auf „Haut wie Pelz“ sind explizit politisch. Das ist Apsilon wichtig, er möchte nicht als „conscious rapper“ abgestempelt werden, als jemand, der ausschließlich sozialkritische Musik macht. Dennoch durchzieht das Politische Apsilons Kunst, lässt sich nicht einfach ausklammern. Ein Drittel der Wähler hat gerade sein Kreuz bei der AfD gemacht, doch Apsilon geht es auch um gesamtgesellschaftliche Einstellungen, darum, dass der Bundeskanzler auf einem Magazincover „Abschiebungen im großen Stil“ fordert und Friedrich Merz arabischstämmige Schüler als „kleine Paschas“ bezeichnet.

Was das mit ihm macht, wird bei Apsilon eindrücklich Thema in dem Lied „Koffer“. Im Refrain singt er: „Wenn wieder die Sonne fehlt / Fragen wir uns: ‚Sollen wir gehen?‘“ Im Video sieht man, wie ein Taxifahrer von einem Fahrgast erschossen wird, es beruht auf einer wahren Geschichte aus den Neunzigerjahren. Der Taxifahrer, Bekir G., war ein Großonkel Apsilons.

Entstanden sei der Song nach der Correctiv-Recherche Anfang des Jahres über das sogenannte Geheimtreffen in Potsdam, bei dem rechtsextreme Aktivisten und Politiker über massenhafte Ausweisungen von Menschen diskutierten. „Das hat mein Umfeld dazu gebracht zu fragen: ‚Was für eine Zukunft haben wir in Deutschland?‘, sagt Apsilon. „In welcher Form sind wir hier gewollt?“ „In einen Koffer passt kein Leben / in einen Koffer passt nicht meine Welt“, heißt es in dem Song. Es ist Apsilons Antwort auf diese Fragen. Er möchte dableiben, in Berlin, in Moabit.

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Die Zerrissenheit, die Identität aus mehreren Kulturen, auch das schimmert in vielen Songs durch. Zwar verbringt der Rapper viel Zeit in der Türkei, doch verbunden fühle er sich weder mit dem Herkunftsland seiner Großeltern noch mit Deutschland. „Nationalstaatliche Kategorien sind für mich ein falsches Gefühl von Zugehörigkeit“, sagt er. Sie verdeckten gegensätzliche politische Interessen.

In solchen Sätzen scheint eine Grundhaltung durch, die sich auch da manifestiert, wo Apsilon Rassismus, sozialer Ungleichheit oder den Kapitalismus thematisiert. Sie schwingt ebenfalls mit, wenn er über Selbstzweifel rappt oder über Schwäche. „Es ist ein Privileg, auch auf eine Art schwach sein zu können“, sagt er. Seine Großeltern etwa hätten gar nicht die Option gehabt, Schwäche zu zeigen. „Erst wenn Menschen keine Existenzängste haben müssen, können sie anfangen, über solche Sachen nachzudenken.“

Die gesellschaftliche Dimension ist auch präsent, als er seinem Vater zum ersten Mal das Lied „Baba“ vorspielt. Es handelt von Männlichkeit, davon, dass der Vater sich schwer tut, Gefühle zu zeigen. „Ich wünscht’, er würd nicht immer lächeln / Dann könnt’ ich bisschen schwächer sein“, heißt es darin. Und an anderer Stelle: „Ich wünscht’, er hätte mir gezeigt, ja / Dass man als Baba weint in echt.“ Weinen, das tun sie dann gemeinsam. Und sie führen viele Gespräche. Sein Vater habe das Lied zunächst als Kritik aufgefasst. „Ich musste ihm begreiflich machen, dass er nicht versagt hat als Vater.“ Wie Männer mit ihren Gefühlen umgingen, sei eine gesellschaftliche Thematik, für die sein Vater als Individuum nichts könne. „Und er ist schon viele Schritte gegangen, um diese Sachen aufzubrechen.“

 Der Rapper Apsilon in Berlin„Obwohl ich mir wünsche, dass sie in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten Anklang findet, versuche ich, meine Musik nicht danach auszurichten“: Der Rapper Apsilon in BerlinRob Luethje

Es sind nicht nur seine Themen, die Apsilon von anderen Rappern unterscheiden. Es ist diese Mischung aus Straßenrap und sanften Melodien, aus Zerbrechlichkeit und Wut, aus Gesellschaftskritik und Selbstreflexion, die ihn hervorstechen lässt. Im vergangenen Herbst, als Apsilon „Baba“ in der TV-Sendung von Jan Böhmermann live performt, kommen für den letzten Refrain seine Freunde aus Berlin auf die Bühne. Ein Dutzend junger Männer in schwarzen Jeans und Pullovern hält sich an den Schultern und singt zu Streicherklängen gemeinsam den letzten Re­frain: „Ich hab das auch, Baba / Ich kenn das auch, Baba“. Und auch auf dem Hamburger Reeperbahnfestival, wo Apsilon mit „Baba“ sein Konzert beschließt, fallen die Zuschauer in den Refrain ein. Gut möglich, dass von dem großen Mann auf der kleinen Bühne bald noch viel mehr Menschen Notiz nehmen.

Apsilon, „Haut wie Pelz“, Four Music Local (Sony Music)

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