Hart aber fair zur AfD: Zu groß, um verboten zu werden?

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Der Göttinger Staatsrechtler Florian Meinel hat kürzlich im F.A.Z. Podcast für Deutschland davor gewarnt, ein AfD-Verbot „im Rahmen einer Skandalisierungslogik zu diskutieren“ und damit gemeint: das rechtswidrige Verhalten des Alterspräsidenten im thüringischen Parlament nicht zum Anlass für einen etwaigen Verbotsversuch der größten Oppositionspartei zu nehmen. Überhaupt, so der Jurist, sei der Rechtsextremismus in Deutschland „ein Strukturphänomen“, das eine soziale, institutionelle und kommunikative Seite habe. Diese müssten bei einem etwaigen Verbotsverfahren „alle zusammen gesehen“ werden.

Staatsrechtler sind nach zwei gescheiterten NPD-Verfahren vorsichtig geworden, was den Einsatz juristischer Mittel gegen die AfD angeht. Manche Politiker haben da weniger Skrupel. Ein Gruppenantrag von insgesamt 37 Mitgliedern aus unterschiedlichen Parteien des Bundestags, der in diesen Tagen innerhalb der Fraktionen diskutiert wird, will das Bundesverfassungsgericht dazu animieren, ein Verbot der AfD zu prüfen. Allerdings kann dieser Anruf nur gelingen, wenn eine Mehrheit im Parlament den Antrag unterstützt – danach sieht es im Moment nicht aus.

Deshalb sprechen die Initiatoren auch lieber davon, dass ihr Antrag erst einmal eine Debatte in Gang bringen soll. Und genau das passiert an diesem ungewöhnlich ruhigen Talkshow-Abend. Ruhig, weil sich alle Teilnehmer darin einig sind, dass die AfD eine große Gefahr für die Demokratie darstellt, die es zu bekämpfen gelte. Nur in der Frage, ob dieser Kampf mit juristischen oder mit politischen Mitteln geführt werden sollte, ist man sich uneins.

Persilschein für Wähler

Auf der einen Seite, repräsentiert unter anderem vom Grünen Michael Kellner, ist man der Meinung, die AfD sei so rassistisch und verfassungsfeindlich, dass Karlsruhe sich für ein Verbot entscheiden müsse. Angetrieben von einem heroischen Widerstandsgestus – „ich will nicht zurückschauen und sagen, ich hab’s nicht versucht“ – wollen Politiker wie Kellner das „schärfste Schwert der Demokratie“ zum Einsatz bringen. Die AfD soll verboten werden, bevor sie an die Schaltstellen der Macht kommt.

Auf der anderen Seite stehen an diesem Abend Experten wie der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke oder die nordrheinwestfälische CDU-Politikerin Serap Güler, die davor warnen, dass ein abschlägiges Urteil aus Karlsruhe wie ein „Persilschein“ auf Wähler wirken könnte, die dann die AfD mit umso besserem Gewissen wählen würden. Außerdem sieht von Lucke die schon erwähnten verfahrenstechnischen Hindernisse: Erstens gibt es im Bundestag momentan keine Mehrheit für den Antrag. Zweitens würde eine Bearbeitung mehrere Jahre dauern. Und drittens bestehe zumindest die Gefahr, dass ein solches Verfahren die AfD in ihrer Opferrolle bestätigen und noch mehr radikale Wut innerhalb einer sowieso schon politisch hoch gereizten Gesellschaft erzeugen könnte. Güler äußert in diesem Zusammenhang Angst vor „einer AfD um die 30 Prozent im nächsten Bundestag“.

Relativ sauberes Parteiprogramm

Dagegen ist sich der SZ-Journalist Ronen Steinke sicher, dass beispielsweise auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht zu einem größeren Opferstatus der Partei beigetragen habe. Die Schwierigkeit läge viel eher darin, dass die AfD ein „relativ sauberes Parteiprogramm“ präsentiere, in Wahrheit aber einen radikal völkischen und antidemokratischen Plan verfolge, der sich in Facebook-Gruppen, Marktplatzreden oder Geheimkonferenzen zu erkennen gebe.

In Wahrheit beabsichtige die Partei, so Steinke, die Macht an sich zu reißen und nicht mehr herzugeben. Nach Beweisen für diese „wahren Absichten“ der Partei wird er nicht gefragt. Die wären aber genau wichtig zu erfahren, um den „aggressiv kämpferischen Charakter der Partei“ zu belegen und sich nicht nur in herzerwärmendem Aktivismus gegen rechts zu verausgaben.

AfD als gläserne Partei

Schwung in die Runde bringt ein ehemaliges Mitglied der AfD. Mit 15 Jahren ein- und sechs Jahre später aus Frust über die Radikalisierung wieder ausgetreten, wird der Parteiflüchtige vom Moderator erst einmal mit Parolen aus seiner Jugend konfrontiert. Der mittlerweile als Jurastudent tätige Ex-AfDler lässt sich aber nicht auf das rhetorische Geschicklichkeitsspiel ein, sondern liefert Argumente, die aus seiner Sicht gegen ein Verbotsverfahren sprechen. Erstens würde ein Verbot der AfD nur die Gründung einer neuen rechtsradikalen Partei zur Folge haben, die dann erst recht einen Märtyrerstatus für sich beanspruchen könnte. Zweitens würde während des Zeitraums des Verfahrens der Verfassungsschutz eingeschränkt beziehungsweise abgezogen – für mehrere Jahre wäre also die Überwachung der Partei mit V-Leuten nicht mehr möglich und der Rechtsstaat erblindet.

Dagegen führt Steinke wiederum durchaus nachvollziehbar ins Feld, dass die AfD sowieso eine „gläserne Partei“ sei, die seiner Meinung nach selbst genügend Beweise für ihre Menschenfeindlichkeit ins Netz stelle.

Albrecht von Lucke gehört zu den Skeptikern eines AfD-Verbotsverfahrens.Albrecht von Lucke gehört zu den Skeptikern eines AfD-Verbotsverfahrens.WDR/Dirk Borm

Die politisch heikelste Dimension eines etwaigen Verbotsverfahrens benennt ein bayerischer AfD Sympathisant im Einspieler: „Warum soll denn die Opposition verboten werden?“ Von Lucke bringt das Dilemma auf die griffige Formel „to big to forbid“. Gerade im Osten, „gerade in der ehemaligen DDR“ – man merkt dem Politikwissenschaftler keinerlei Pauschalisierungsscham an – müsse ein Ausschalten der Opposition wie ein antidemokratischer Rückschlag wirken. Hier wüssten nämlich viele gar nicht, dass sie eine verfassungsfeindliche Partei wählten – großer Applaus für dieses billige Ossi-Bashing.

Machtergreifung der Neofaschisten?

Die Frage, was genau es mit einem Verbot zu verhindern gelte, bleibt unklar. Die „Machtergreifung“ – so der historisch unkorrekte Ausruf des CDU Fraktionsführers im thüringischen Landtag – einer neofaschistischen Partei? Die demokratische Legitimierung einer diktatorischen Kraft in Deutschland, die mit allen institutionellen Regeln bricht? Die Angst vor einer immer stärker werdenden AfD sitzt auch den Teilnehmern dieser Talkshow im Nacken. Dass diese Partei schon jetzt über Macht verfügt, etwa in mehreren Landtagen über Sperrminoritäten verfügt und dadurch Entscheidungen mit beeinflussen und auch Verfassungsrichter berufen kann, wird nur in einem Nebensatz erwähnt.

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Wichtig ist auch festzuhalten, was Moderator Klamroth fairerweise anmerkt: Dass die AfD in Thüringen zwar erst Verfahrensrecht rüde gebrochen, sich aber dann dem Urteil des Verfassungsgerichts eindeutig unterworfen hat. Das hätte ihn „überrascht“, gesteht Ronen Steinke zu. Ob man das nicht auch als ein Zeichen der Verfassungstreue dieser Partei werten könne, will der Moderator noch nachfragen, wird aber durch irgendeinen Zwischenruf abgelenkt. Schade, denn auch diese Frage gehört ja zu der Debatte um ein AfD-Verbotsverfahren. Und damit verbunden die Entscheidung darüber, ob der Begriff „undemokratisch“ wirklich der richtige ist, um den Charakter dieser Partei zu fassen Möglicherweise wäre „antiliberal“ oder „illiberal“ die richtigere Analysekategorie.

Seinen Abschluss findet die Sendung in der ernüchternden Feststellung, dass die AfD während der Regierungszeit der Ampel-Koalition im bundesweiten Durschnitt von 10 auf 20 Prozentpunkte gestiegen sei. Wenn Angela Merkel die AfD überhaupt erst hat entstehen lassen, dann hat Olaf Scholz sie bärenstark gemacht. Was bedeutet das? Dass zumindest die Chance besteht, die AfD durch eine veränderte Politik wieder kleiner zu kriegen. „Inhaltlich Stellen“ hieße dann übersetzt: rechter werden. Um denjenigen ein verfassungskonformes Angebot zu machen, die jetzt verfassungsfeindlich wählen. Genau das geschieht im Moment – Stichwort „in großem Maße abschieben“. Nur mit welchem Erfolg?

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