„Größte Krankenhausreform seit 20 Jahren“: Warum die Länder den Ampel-Rettungsplan für Kliniken ablehnen

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat am Dienstag den Druck auf die Länder erhöht, seiner Krankenhausreform noch in diesem Jahr zuzustimmen. Ansonsten werde man „ein beispielloses Krankenhaussterben im nächsten Jahr erleben“, warnte der SPD-Politiker. „Sehr viele Häuser halten noch durch, weil sie erwarten, dass die Krankenhausreform ab 2026 kommt“, betonte Lauterbach.

Angesichts von gestiegenen Personal- und Materialkosten decken die im Gesundheitssystem vorgesehenen Fallpauschalen die Kosten der meisten Kliniken nicht mehr. Mit den Ampelfraktionen hat sich Lauterbach nun auf neue Abrechnungsregeln für die Häuser geeinigt. Seine bereits vor der Sommerpause vorgestellte Reform soll der Bundestag in der kommenden Woche beschließen.

Am Dienstag hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Pläne vorgestellt.

© dpa/Fabian Sommer

Der Handlungsbedarf ist groß. Von 650 befragten Krankenhauschefs sagten der Unternehmensberatung Roland Berger im Juli 70 Prozent, dass ihr Haus 2023 einen Verlust geschrieben habe. Laut der Selbsteinschätzung fürchten 28 Prozent der Kliniken bis Jahresende eine Insolvenz. Dennoch lehnten die Länder Lauterbachs Pläne zuletzt einhellig ab, sie drohen damit, das Vorhaben im Bundesrat in den Vermittlungsausschuss zu schicken.

Kontrollierter Umbau statt Kliniksterben

Neben den Fallpauschalen sollen die Kliniken künftig Geld dafür erhalten, dass sie medizinisches Personal und Material zur Behandlung bestimmter Krankheiten vorhalten. Diese Vorhaltepauschalen sollen 60 Prozent der Vergütung ausmachen. Sie sind allerdings an eine ausreichende medizinische Qualifikation gebunden. Entsprechend sollen die Häuser in fünf Leistungsgruppen eingeteilt werden.

Leider scheint es, als werden zentrale und systemische Forderungen der Länder vom Bund weiter ignoriert oder abgelehnt.

Judith Gerlach (CSU), Gesundheitsministerin Bayern

Statt einem unkontrollierten Kliniksterben wird Lauterbachs Reform zu einem gezielten Fokus auf größere und spezialisierte Krankenhäuser führen. Viele kleinere Land- oder Stadtteilkliniken dürften chirurgische, onkologische oder gynäkologische Abteilungen verlieren und zu sogenannten sektorübergreifenden Versorgungszentren mutieren. Vereinfacht gesagt sind das Ärztehäuser mit angeschlossener Pflegestation, wo allenfalls ambulante Operationen stattfinden.

Die Länder fürchten einen Aufstand im ländlichen Raum. Mit über 50 Änderungen an Lauterbachs Entwurf will die Ampel die Länder nun besänftigen. Das Ziel: Eine schnelle Stabilisierung angeschlagener Krankenhäuser. So sollen Kliniken künftig auch Facharztleistungen anbieten können. In der Kindermedizin sollen sie vielfach statt Pauschalen die vollen Behandlungskosten abrechnen dürfen. Und angesichts gestiegener Gehälter von Ärzten und Pflegern sollen sie rückwirkend mehr Geld erhalten.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach reicht das nicht. „Leider scheint es, als werden zentrale und systemische Forderungen der Länder vom Bund weiter ignoriert oder abgelehnt“, sagte die CSU-Politikerin. „Dadurch droht eine Verschlechterung der Versorgung vor allem in manchen ländlichen Regionen.“ Der Bund solle für den Übergang rasch Soforthilfen für finanziell angeschlagene Kliniken bereitstellen, forderte Gerlach, „damit uns die Krankenhauslandschaft nicht vorher erodiert.“

Krankenkassen lehnen Mitfinanzierung ab

Damit sich die Kliniken angesichts der neuen Finanzierungsregeln neu aufstellen können, will Lauterbach ihnen ab 2026 über zehn Jahre insgesamt 50 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Sein Gesetzentwurf sah vor, dass diesen Transformationsfonds für Klinikumbauten zur Hälfte die Länder und zur Hälfte die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen.

Die SPD will nun, dass nicht nur die Beitragszahler der gesetzlichen, sondern auch Privatversicherte den Umbau der Krankenhauslandschaft mitfinanzieren. Man könne die privaten Krankenversicherungen nicht gesetzgeberisch verpflichten, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin Heike Baehrens, aber „wir wollen sie verbindlich einladen, sich zu beteiligen“.

Florian Reuther, der Direktor des Verbands der privaten Krankenversicherung, will sich auf diese Argumentation nicht einlassen. „Jede Form einer verpflichtenden Beteiligung der Privatversicherten an der Finanzierung des Transformationsfonds steht unter dem Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit und der gerichtlichen Überprüfung“, sagte er dem Tagesspiegel. Er forderte Lauterbach deshalb auf, auf die Einführung des beitragsfinanzierten Transformationsfonds ganz zu verzichten.

Auch von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) gibt es weiter Kritik an dem Modell. Sie warnen vor weiter steigenden Beiträgen, wenn die Kassen ab 2026 jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro in den Klinikumbau stecken müssen. Der notwendige Auf- und Umbau der stationären Versorgung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und liege deshalb klar in der Finanzierungsverantwortung des Staates, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.

Neben Bayern, das auf die gesetzgeberische Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausplanung verweist, haben deshalb auch die Krankenkassen bereits mit einer Verfassungsklage gegen Lauterbachs Reform gedroht.

Dieser nennt sein Vorhaben die „größte Krankenhausreform seit 20 Jahren“. Noch ist es eine Reform im Konjunktiv. Trotz der Ampeleinigung ist angesichts der Widerstände von Kassen und Ländern weiterhin keineswegs sicher, ob das Gesetz vor der Bundestagswahl noch beschlossen wird.

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