Großbritannien: Keir Starmers Stabschefin geht

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Als der Tross Liverpool verließ, war klar, dass es so nicht weitergehen kann. Der Premierminister Keir Starmer soll damals, am Ende des Labour-Parteitags vor eineinhalb Wochen, die Entscheidung getroffen haben, die nun publik gemacht wurde: Er stellt sein Kernteam in Downing Street um, um endlich die Aufregung in den Griff zu bekommen, die seine neue Labour-Regierung die ersten Monate begleitet hat. „Der Premierminister wetzt das Messer“, titelte der Daily Telegraph am Montag, „das Ende war, als es kam, brutal“, schrieb die Times. Am Samstag ist Labour hundert Tage in der Regierung, und die britische Politik bleibt bis auf Weiteres ein Verbal-Schlachtfeld, ganz egal, wer in Downing Street wohnt.

Im Zentrum des Trubels steht Sue Gray, die ehemalige oberste Staatsbeamte, die in jener Funktion vor zwei Jahren die „Partygate“-Untersuchung gegen Boris Johnson leitete. Seit September vergangenen Jahres war Gray Starmers Stabschefin und damit seine ranghöchste Mitarbeiterin, mit dem Einzug in Downing Street auch räumlich dokumentiert. Starmer nutzt offenbar dasselbe Büro wie die meisten seiner Vorgänger im verschachtelten Gebäude in der Innenstadt. Das Büro hat ein großes Vorzimmer, in dem seine wichtigsten Berater sitzen, eben auch Gray. Es dauerte nicht lang, bis die sogenannten Briefings gegen Gray begannen: von ein paar britischen Journalisten aufgenommenes Geraune von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern über die angeblich chaotischen Zustände in No. 10.

Peinliche Geschichten über Spenden und Geschenke

Sue Gray, so hieß es, wache aus dem Zimmer nebenan allzu streng darüber, wer Zugang zum Premierminister bekomme und wer nicht; sie versuche insbesondere, den von Starmer hochgeschätzten Wahlkampf-Kampagnenchef Morgan McSweeney von ihm fernzuhalten, weshalb McSweeney auch ein Büro im Erdgeschoss bekommen haben soll, relativ weit entfernt von Starmers Büro. Dazu wurden heimlich im Garten des Gebäudes aufgenommene Fotos von ihr im Streit mit anderen Teammitgliedern an die Boulevardpresse weitergegeben, diese druckte die Bilder dankbar auf der Titelseite. Und dann wurde auch noch ihr Gehalt öffentlich: Sie verdiene, berichteten mehrere Medien, ein paar Tausend Pfund mehr im Jahr als der Premierminister selbst, dessen Gehalt auf rund 167 000 Pfund festgelegt ist.

Hinzu kamen all die peinlichen Geschichten über Spenden und Geschenke, die Starmer und seine Abgeordneten annahmen, vieles davon vergleichsweise harmlos. Aber doch bestimmten Starmers Fußballtickets und seine Kleider wochenlang die News. Die Kommunikationsstrategie der Regierung oblag letztendlich Gray, wie auch die Besetzung des Postens des Principal Private Secretary (PPS), der bis jetzt vakant war – angeblich, weil sich Gray und andere in Starmers Topteam nicht auf eine Personalie einigen konnten. Der PPS ist so etwas wie die ordnende rechte Hand des Premierministers, er ist der vom Staat abgestellte Manager jeder Regierung. Eine Schlüsselposition, die eigentlich nie unbesetzt sein sollte.

Augenrollen und ein Seufzen

Am Sonntag, nach weiteren Tagen der geleakten Geschichten über die Zustände in No. 10, und nachdem auch Sue Grays Weiterbeschäftigung geklärt war, teilte Downing Street mit, Starmer habe gleich mehrere Umstrukturierungen vorgenommen. Zwei Beraterinnen wurden zu den stellvertretenden Stabschefinnen befördert, der Posten des PPS mit einer erfahrenen Beamtin besetzt, dazu wurde der frühere Journalist und Kommunikationschef von NHS England, James Lyons, zum Chef eines neuen Teams ernannt, das für die strategische Kommunikation der Regierung zuständig sein wird.

Und, natürlich, Sue Gray trat zurück. Sie ist nun Starmers „Abgesandte für die Nationen und Regionen“ des Königreichs, was genau das bedeuten soll, ist in Westminster bisher nicht allen klar. Neuer Stabschef ist, kaum überraschend, der Mann aus dem Erdgeschoss: Morgan McSweeney.

Ob nun alles, was zuletzt über Sue Gray und ihren Machtkampf mit Morgan McSweeney erzählt und geschrieben wurde, stimmt, oder ob sie doch eher Opfer einer Kampagne gegen sie geworden ist: Wer weiß das schon. Wenn man allerdings beim Parteitag in Liverpool aktuelle und ehemalige No.-10-Mitarbeiter in den diversen Hotellobbys vorsichtig auf Sue Gray ansprach, war die Reaktion stets ähnlich: ein Augenrollen, ein gequältes Lächeln, ein Seufzen. Es war unstrittig, dass sich etwas ändern muss, wenn das Land sich wieder mehr mit den Plänen und Maßnahmen der Labour-Regierung beschäftigen soll, und weniger mit Starmers Kleidung und Sue Gray.

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