Wie groß das Problem der sozialen Pflegeversicherung ist, hat der Bundesrechnungshof in einem Bericht an den Haushaltsausschuss jetzt noch einmal deutlich gemacht. Bis 2029 befürchten die Rechnungsprüfer ohne tiefgreifende Reformen ein Defizit von mehr als zwölf Milliarden Euro in der Pflegeversicherung.
An diesem Montag kommen nun erstmals die Frauen und Männer zusammen, die das Problem lösen sollen. Im Bundesgesundheitsministerium beginnt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform unter der Leitung von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ihre Arbeit.
Neue Leistungen wird es nicht geben können.
Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU)
Vor dem ersten Treffen mit ihren Landeskolleginnen und -kollegen hat Warken nun die ersten Grundsatzentscheidungen getroffen. Man schicke die Pflegeversicherung „in die Kur“, sagte Warken. Die CDU-Politikerin stellte aber klar, dass die Pflegeversicherung in Deutschland auch künftig nicht alle Kosten übernehmen werde, sondern „eine Teilkaskoversicherung“ bleibe. „Mehr zu versprechen, wäre unrealistisch“, sagte Warken der Funke-Mediengruppe. „Neue Leistungen wird es nicht geben können.“
Kommt die Pflicht für eine Zusatzversicherung?
In der Beschlussvorlage für das Treffen am Montag hat das Bundesgesundheitsministerium die Arbeitsaufträge genauer formuliert. Das Dokument liegt Tagesspiegel Background vor. Bei drei weiteren Terminen bis Dezember 2025 soll die Bund-Länder-Runde Eckpunkte für einen Reformentwurf erarbeiten. Der Ministerrunde, der unter anderem auch Familienministerin Karin Prien (CDU) angehört, sollen demnach mit Fachbeamten besetzte Arbeitsgruppen zur Finanzierung und zur Versorgung zuarbeiten.
Warken will vor allem die privaten Vorsorgeanreize stärken. Die Arbeitsgruppe (AG) Finanzierung soll demnach klären, welchen Anteil etwa der Heimunterbringungskosten die Pflegeversicherung künftig übernehmen wird. Da viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mit den Eigenanteilen schon heute überfordert sind, steht eine verpflichtende individuelle Absicherung der privaten Eigenvorsorge im Raum.
Gemeint ist hier wohl eine verpflichtende individuelle Pflegeversicherung, die das umlagebasierte Teilleistungssystem der sozialen Pflegeversicherung ergänzt. Außerdem soll das Umlagesystem womöglich durch einen weiterentwickelten kapitalgedeckten Pflegevorsorgefonds ergänzt werden.
Die AG Versorgung soll unter anderem über Instrumente für mehr Prävention nachdenken, damit weniger Menschen aus vulnerablen Gruppen pflegebedürftig werden.
Verbände fordern weitgehende Reformen
Der AOK Bundesverband forderte vor dem Treffen erneut, die Rentenversicherungsbeiträge der pflegenden Angehörigen und die Beiträge der Pflegeversicherung zu den Ausbildungskosten in der Pflege durch Steuern zu finanzieren. Gleichzeitig müsse die Beitragspauschale für Bürgergeldbeziehende angehoben und der Pflegevorsorgefonds durch einen Bundeszuschuss abgesichert werden.
Ein Expertenrat der Privaten Krankenversicherung schlägt die Abschaffung des Pflegegrads 1 vor. „Die Finanzlage der Pflegeversicherung ist dramatisch. Sie muss sich auf das Notwendige beschränken“, erklärt der Vorsitzende des Expertenrats, Jürgen Wasem, „Table Briefings“. Aus Sicht des Professors für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen liege in Pflegegrad 1 „keine echte Pflegebedürftigkeit vor“, sondern eher eine „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“.
Die Finanzlage der Pflegeversicherung ist dramatisch. Sie muss sich auf das Notwendige beschränken.
Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen
Die Arbeitgeber schlagen laut einem Zeitungsbericht eine radikale Reform vor. Bedürftige im ersten Betreuungsjahr sollten künftig je nach Pflegegrad noch keine größeren Leistungsansprüche an die Pflegekassen haben, heißt es laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ in einem noch unveröffentlichten Papier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Mit solchen Karenzzeiten ließe sich etwa ein Zehntel der Pflegeausgaben sparen, mehr als sechs Milliarden Euro im Jahr.
Gesundheitsministerin Warken zeigte sich am Montagmorgen auch für radikale Vorschläge offen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe habe „keine Denkverbote“, betonte sie im ZDF.
Es müsse insgesamt geschaut werden, welche Leistungen „wir uns künftig noch leisten“ können und wie Stabilität im Pflegesystem gelinge, ohne die Menschen immer mehr zu belasten. Ein Ansatz sei auch, mehr Anreize für die private Vorsorge zu schaffen, „vielleicht auch Verpflichtungen in dem Bereich“, sagte Warken. (mit Agenturen)