Gazastreifen: Bomben bereiten den Einmarsch vor

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In der Nacht zu Freitag hat die israelische Armee den Norden des Gazastreifens bombardiert, nach palästinensischen Angaben wurden mindestens 30 Leichen geborgen. Dutzende Menschen seien noch unter Trümmern in der Stadt Beit Lahia und im Flüchtlingsviertel Dschabalia verschüttet, berichtete die Nachrichtenagentur Wafa. Bereits in den vergangenen Tagen hatte die israelische Armee ihre Angriffe auf Gaza verstärkt, auch in Chan Yunis im Süden des Küstenstreifens. Dort wurde am Dienstag auch das Europäische Krankenhaus getroffen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Klinik nun außer Betrieb. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus teilte am Donnerstagabend mit, dass dadurch nun lebenswichtige Leistungen wie Neurochirurgie, Herz- und Krebsbehandlungen wegfielen, die auch an keinem anderen Ort in Gaza mehr angeboten würden. Mit der Schließung ende auch die Rolle des Krankenhauses als wichtiger Knotenpunkt für medizinische Evakuierungen.

Laut der israelischen Nachrichtenseite Ynet sind die massiven Angriffe der vergangenen Tage eine Vorbereitung auf den Einmarsch weiterer Truppen – so jedenfalls werden hier israelische Beamte zitiert. Sollten die aktuellen Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas zu keinem Durchbruch führen, könnte eine Operation beginnen, auf die sich das Sicherheitskabinett in der vergangenen Woche verständigt hatte. Sie würde das Ziel haben, die palästinensische Bevölkerung Gazas in den Süden des Küstenstreifens zu drängen und dort durch Dienstleister mit Nahrung versorgen zu lassen, während der Norden und das Zentrum Gazas zur Kampfzone gegen die islamistische Hamas würden. Rechtsextreme Kabinettsmitglieder sprachen von einer massiven Zerstörung, die geplant sei. Teil des Plans sei zudem, dass Israels Soldaten, wenn sie einmal vorgerückt sind, nicht mehr abziehen sollen.

Die Menschen kochen Gras, berichtet Oxfam

Schon jetzt wird die Lage von Palästinenserinnen und Palästinensern in Gaza von Hilfsorganisationen als dramatisch beschrieben. Bushra Khalidi, die für die Organisation Oxfam in den palästinensischen Gebieten arbeitet, sagt, der Hunger sei nach mehr als zwei Monaten Blockade sämtlicher Nahrungsmittel durch Israel mittlerweile so groß, dass die Menschen Gras kochten oder ihre Pferde schlachteten, die Menschen seien unterernährt. Laut UN fehlt es in Gaza zudem an sauberem Wasser und medizinischer Versorgung, an sicheren Unterkünften. Etwa die Hälfte der rund zwei Millionen Menschen dort sind Kinder.

SZ-Podcast „Auf den Punkt“

:Hunger, Flucht, Tod: Der Horror in Gaza

Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist dramatisch. Und jetzt steht eine neue israelische Offensive bevor.

Die USA, die bislang die erneuten Angriffe Israels seit dessen Beendigung der Waffenruhe im März geduldet hatten, verschärfen mittlerweile ihren Ton gegenüber der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. US-Präsident Donald Trump, der in dieser Woche die Golfregion bereist, sagte am Freitag vor Journalisten über Gaza: „Wir werden uns darum kümmern. Viele Menschen hungern.“ Sein Außenminister Marco Rubio hatte ebenfalls gesagt, dass die USA wegen der humanitären Lage in Gaza „beunruhigt“ seien. Bereits vor Antritt seiner Golfreise hatte Trump den Gaza-Konflikt einen „brutalen Krieg“ genannt und deutlich gemacht, dass er dessen Ende wünscht. Die Auseinandersetzung hatte mit einem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begonnen.

In Dschabalia im nördlichen Gazastreifen durchsuchen Anwohner die Trümmer ihres in der Nacht zum Freitag zerstörten Hauses.
In Dschabalia im nördlichen Gazastreifen durchsuchen Anwohner die Trümmer ihres in der Nacht zum Freitag zerstörten Hauses. (Foto: BASHAR TALEB/AFP)

Am Donnerstag hatte Donald Trump in Katar für einen Plan zum Umbau des Gazastreifens unter US-Kontrolle geworben und dabei von einer „Freiheitszone“ gesprochen: „Ich habe Luftaufnahmen gesehen, auf denen praktisch kein Gebäude mehr steht“, sagte er. Es gehe nicht an, dass die Menschen dort unter den Trümmern eingestürzter Gebäude lebten: „Falls nötig, wäre ich stolz darauf, wenn die USA ihn übernehmen, zu einer Freiheitszone machen würden. Lasst gute Dinge geschehen.“ Arabische Staaten hatten sich dagegen stets für eine Verwaltung Gazas durch Palästinenser ausgesprochen.

In Israel wird die veränderte Tonlage der USA aufmerksam beobachtet, besonders nachdem die US-Regierung am Montag den amerikanischen Staatsbürger Edan Alexander nach eigenständigen Verhandlungen mit der Hamas aus Gaza befreit hatte. Am Dienstag waren Demonstranten, die auf eine Verhandlungslösung für die 58 Menschen dringen, die seit dem 7. Oktober 2023 festgehalten werden – rund 20 von ihnen wohl noch lebend – vor die ehemalige amerikanische Botschaft in Tel Aviv gezogen. „In America we trust“ stand auf ihren Plakaten.

Viele Angehörige der Geiseln befürchten, dass das geplante militärische Vorgehen auch das Leben der Verschleppten gefährdet. Das Forum der Geisel-Angehörigen erklärte: „Wir befinden uns in dramatischen Stunden, die über die Zukunft unserer Angehörigen, die Zukunft der israelischen Gesellschaft und die Zukunft des Nahen Ostens entscheiden werden.“

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