
Die deutschen Fußballerinnen lassen sich feiern
Foto:Thomas Haesler / Kirchner-Media / IMAGO
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es dauerte nur 14 Sekunden, bis die deutschen Fußballerinnen bei ihrem letzten Test vor der EM Anfang Juli ihr erstes Tor erzielten.
Nach 90 Minuten hieß es gegen die desolaten Österreicherinnen 6:0, so stand es bereits zur Halbzeitpause. Es ist inzwischen zur Gewohnheit geworden, dass die DFB-Frauen ihre Gegnerinnen innerhalb einer Halbzeit besiegen.
Würde die EM im 45-Minuten-Kurzformat gespielt werden, wären die deutschen Titelchancen riesig.
Im Anschluss sprachen alle von einem Feuerwerk. »Wir hatten einfach unfassbar viel Spaß auf dem Platz«, sagte Kapitänin Giulia Gwinn. Die EM mit den Vorrundengegnerinnen aus Polen, Dänemark und Schweden könne nun kommen.
Vier Wochen vor dem Start blicken wir auf die wichtigsten Themen, Stärken und Schwächen und die letzten Fragezeichen.
Angriffspower auch ohne Popp

Lea Schüller: Torjägerin und Symbol der größten Stärke des Teams
Foto: Fabian Bimmer / REUTERSIm Sturmzentrum spielt und trifft Lea Schüller, Klara Bühl ist die umtriebige Flügelangreiferin, Linda Dallmann glänzt mit feiner Technik und Übersicht aus der Mitte. Und dann ist da noch die aufrückende Rechtsverteidigerin Giulia Gwinn mit ihren vielen Flanken.
Der Angriff ist das Prunkstück der DFB-Auswahl. Dafür stehen nun vier Halbzeiten der Ära Christian Wück stellvertretend: die erste Hälfte im Testspiel gegen England (3:0 nach 29 Minuten), die zweite Hälfte im Nations-League-Spiel gegen Schottland (sechs Tore in 26 Minuten), ein rauschhaftes 3:0 bis zur Pause gegen die Niederlande und das 6:0 gegen Österreich, alle Tore in Halbzeit eins.
Der Bundestrainer hat den sehr defensiv-pragmatischen, aber wenig anschaulichen Fußball aus der Zeit von Horst Hrubesch beendet. Der wücksche Angriffsfußball scheint zudem viel unvorhersehbarer zu sein als zu Zeiten von Martina Voss-Tecklenburg. Sie setzte besonders auf das Hoffnungsprinzip Alexandra Popp.
Die kopfballstarke Popp ist inzwischen aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Sie war Anführerin, Fixpunkt im Angriff und hat der Auswahl mit ihren Toren viel gegeben. Es scheint jedoch, als hätten sich ihre Nachfolgerinnen bereits aus ihrem großen Schatten gewagt. Es wirkt, als hätten sie die Rolle angenommen, jetzt die Verantwortung als Team zu übernehmen. Popp hat diese lange allein getragen.

Oberdorf: Letztes Spiel vor einem Jahr
Foto: Fotostand / Fantini / IMAGODie Fußballerin vom FC Bayern erlitt am 16. Juli 2024 einen Kreuzbandriss und hat seither keine einzige Minute gespielt. Rund um die Spiele gegen die Niederlande und Österreich stand die starke Zweikämpferin zwar wieder im Kader, in Absprache mit ihrem Klub in München wurde sie jedoch nicht eingesetzt.
Oberdorf trainierte mit der Mannschaft und Wück konnte überprüfen, ob sie für ein Turnier mit im Idealfall sechs Spielen eine Verstärkung sein könnte. Sie ist es nicht. Nach einem Jahr Spielpause war ohnehin klar, dass Oberdorf nicht in der herausragenden Verfassung sein kann, in der sie sich rund um die EM 2021 in England befand.
Die ZDF-Expertin Kathrin Lehmann hatte eine EM-Teilnahme schon am Dienstag für unsinnig erklärt. »Sie muss in unheimlich viele Zweikämpfe gehen. Hat immer noch keine einzige Spielminute in den Beinen, auf so einer Position auf allerhöchstem Niveau – das geht einfach gar nicht«, sagte die ehemalige Eishockey- und Fußballspielerin.
Auf der Position von Oberdorf im zentralen Mittelfeld spielen derzeit Elisa Senß, Sjoeke Nüsken oder Sydney Lohmann. Alle drei haben das in den starken Phasen der torreichen Spiele auffallend gut gemacht. An die defensiven Fähigkeiten einer Lena Oberdorf reichen sie allerdings nicht heran.
Das DFB-Team sucht auf dem Weg zum Titel noch nach defensiver Stabilität über 90 Minuten – da hätte Oberdorf ein entscheidender Faktor sein können. Vorausgesetzt, sie wäre in Topform gewesen.
Das Testspielwagnis

Selina Cerci (r.) im Training: Ein Bild, das man bis zum EM-Start noch öfter sieht
Foto: Paul Fritz / HMB-Media / IMAGODie Fußballerinnen haben nun zwei Wochen Urlaub und treffen sich am 19. Juni in Herzogenaurach. Dann soll nur noch trainiert werden, öffentliche Testspiele werden nicht stattfinden. Es wird also keinen letzten Test mit international erprobten Gegnerinnen geben, um Wettkampfhärte zu erlangen, noch einmal etwas auszuprobieren oder sich endgültig festzuspielen.
Das ist ein ungewöhnlicher, seltener Schritt. Zuletzt sagte Wück, er sei in seinem Sinne und auch ein Wunsch der Mannschaft gewesen.
Vielleicht hängt er mit der Vergangenheit zusammen: Vor der desaströsen WM 2023 mit dem Vorrunden-Aus hatte Deutschland noch zwei Testspiele gegen Vietnam und Sambia bestritten. Die Auftritte waren desolat, gegen Sambia verlor man sogar, und Carolin Simon erlitt obendrein einen Kreuzbandriss. Die Stimmung war bereits vor dem WM-Start zerstört.
Wenn man es positiv sieht: Auch ohne Testspiele kann die Vorbereitung kaum schlechter laufen als 2023.
Andererseits: Hätte man damals die richtigen Schlüsse aus den miserablen Testspielen gezogen, die vielen Positionswechsel und Experimente in dieser Zeit beendet, dann hätte die WM vielleicht auch nicht im Fiasko geendet.

Trainer Wück: Wagnis und Hoffnung
Foto: Carmen Jaspersen / dpaSeit 2012 arbeitet Trainer Wück für den DFB. Vor seiner Tätigkeit bei den Fußballerinnen war er ausschließlich für männliche Junioren-Teams des Verbands zuständig. Es ist nach wie vor ein Wagnis, einen Trainer zu beschäftigen, der kaum Erfahrung im Erwachsenenbereich hat und zuvor keine Berührungspunkte mit Fußballerinnen hatte.
Die bisherige Zeit von Wück als Bundestrainer verlief nicht störungsfrei. Zuletzt warfen ihm zwei Nationalspielerinnen öffentlich schlechte Kommunikation vor. Den entsprechenden Instagram-Post von der zuletzt nicht nominierten Felicitas Rauch markierten damals gleich mehrere aktuelle Nationalspielerinnen mit »Gefällt mir«.
Ein Zerwürfnis habe es, so betonen alle Seiten, nicht gegeben. »Das war in der Öffentlichkeit ein ziemlich großes Ding – für uns war das kein großes Ding«, sagte Wück zuletzt.
Ein guter Start in die letzten EM-Wochen war das aber auch nicht. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass die DFB-Auswahl bei diesem Thema vorbelastet ist. Schließlich hatte man sich erst bei dem letzten großen Turnier, der WM 2023, mit der damaligen Trainerin Martina Voss-Tecklenburg überworfen .
Baustelle beendet?

Knaak: Entdeckung vor der EM
Foto: Carmen Jaspersen / dpaIn seinen zehn Länderspielen probierte Wück sechs verschiedene Duos in der Innenverteidigung aus. Es gibt keine andere Position, auf der der Bundestrainer so viel experimentiert hat. Die Gründe dafür sind vielseitig: Rücktritte aus dem DFB-Team, Verletzungen und Qualitätszweifel.
Eine eingespielte Abwehr ist die Basis jeder erfolgreichen Mannschaft. Die vielen Personalwechsel lassen daher Zweifel aufkommen, wie abwehrbereit die DFB-Auswahl ist.
Die ständigen neuen Versuche hatten aber auch etwas Gutes: Wück hat nichts unversucht gelassen und mit Rebecca Knaak eine Spielerin gefunden, die seine Vorgänger nicht auf dem Zettel hatten. Von 2022 bis Ende 2024 spielte sie in Schweden ein wenig im Abseits. Zur Jahreswende folgte der Wechsel zu Manchester City und kurz darauf ihr erstes Länderspiel.
Knaak soll teamintern sehr geschätzt werden. Mit ihren Auslandserfahrungen gilt sie als charakterstark. Außerdem kennt sie die zweite Innenverteidigerin Janina Minge noch aus Freiburger Zeiten, die Wück bisher in jedem Länderspiel eingesetzt hat.
Das Spiel gegen Österreich war erst ihr viertes gemeinsames Spiel. Es war nicht ganz fehlerfrei, auch wenn kein Gegentor fiel.
Es wäre wahrscheinlich gar nicht schlecht, wenn das Innenverteidiger-Duo Knaak und Minge noch ein oder zwei Testspiele vor der EM bekommen würde.