Macht und Sprache hängen für den Regisseur Giorgos Lanthimos eng zusammen. Schon seine ersten Filme, die er vor zwanzig Jahren noch mit schmalstem Budget in seiner Heimat Griechenland drehte, beschäftigen sich damit. In „Dogtooth“ (2009) erzieht ein Elternpaar seine drei Kinder in einer Villa, völlig abgeschottet von der Außenwelt. Wörter, die der Vater den Nachwuchs lehrt, bekommen eine völlig andere Bedeutung. „Autobahn“ wird zu „einem starken Wind“, „Meer“ bezeichnet hier den Sessel. Sprache konstruiert Welt und kann in den falschen Händen zur Unterdrückung genutzt werden. Auch im oscarprämierten „Poor Things“ (2023) muss die Hauptfigur Bella erst sprechen lernen. Emma Stone, die dieses Kind im Körper einer erwachsenen Frau spielt, läuft also zunächst brabbelnd durch die Gegend und vollendet ihre Sätze schon bald mit Klimax-Aufzählungen: „There is a world to enjoy, circumnavigate. It is the goal of all to improve, advance, progress, grow.“ Sprache schafft hier Zugang zur Gesellschaft; je mehr sich Bella von ihren Schöpfern emanzipiert, desto komplexer wird ihr Wortschatz.
Stone tut das im Übrigen mit solcher Hingabe, dass man schon damals vermutete, hier haben sich zwei gleichgesinnte Künstler gefunden. „Bugonia“, der nun ins Kino kommt, ist bereits die vierte Zusammenarbeit zwischen Lanthimos und der amerikanischen Schauspielerin. Eigentlich aber gehört der Film in weiten Teilen Jesse Plemons. Der hat bereits in Lanthimos’ losem Geschichtentriptychon „Kinds of Kindness“ (2024) dreimal bewiesen, welche Vielzahl schauspielerischer Register er unter diesem Regisseur mühelos ziehen kann: einmal als unterwürfiger Angestellter, der von seinem Chef jeden Aspekt seines Lebens bestimmen lässt; ein andermal in der Rolle eines Sektenmitglieds, das neue Leute rekrutieren soll; sowie als Polizist, der vermutet, die Frau, die nach einem Flugzeugabsturz wieder zu ihm nach Hause zurückgekehrt ist, sei nicht seine echte Angetraute.

Entlang dieser letzten Charakterstudie entwickelt Plemons nun seine neue Figur für „Bugonia“. Der Typ heißt Teddy und trägt sein meist ungewaschenes Haar in einem Pferdeschwanz. Teddy lebt am Rand einer amerikanischen Kleinstadt, züchtet Bienen und hört Verschwörungspodcasts. Mit seinem Cousin Don trainiert er für den Ernstfall: die Entführung der Chefin des großen Pharmaunternehmens, in dessen Versandabteilung er arbeitet – denn Teddy ist überzeugt, diese Frau, gespielt von Emma Stone, ist in Wirklichkeit ein Alien. Ausgesandt, um die Welt zu zerstören. Mit Jennifer-Aniston-Masken verkleidet – Lanthimos hat ein Faible für absurden Humor –, überfallen die beiden Verschwörungstheoretiker die Chefin vor ihrer Villa. Die aber zeigt sich wehrhaft. Zuvor sahen wir sie bei ihrer disziplinierten, täglichen Routine: aufstehen um 4.30 Uhr, Yoga auf dem großen Balkon, privates Boxtraining, dann auf Louboutin-Stilettos in die Firma stolzieren (Lanthimos’ Kostüme und sein Ausstattungsdesign wären eine eigene Filmwissenschaftsarbeit wert; hier sei nur, da wir unlängst über Digitalisierungsorgien bei „Frankenstein“ stöhnten, hervorgehoben, dass Freunde handgearbeiteter Kulissen und wohldurchdachter Garderobe ihre Freude an diesem Film haben werden). Die teuren High Heels mit der roten Sohle kickt die Chefin also beim Überfall als Erstes auf den Rasen, läuft den Verfolgern barfuß davon, wälzt sich mit ihnen durch wohlgestutzte Hecken. Am Ende erliegt sie einer Betäubungsspritze und wacht im Keller von Teddys Haus wieder auf.
Sprachgespinste der Management-Workshops
Was nun beginnt, ist ein Wortduell der beiden Gegner. Der Verschwörungstheoretiker versucht ihr das Geständnis zu entlocken, tatsächlich an der außerirdischen Weltzerstörung beteiligt zu sein. Die Pharma-CEO leugnet natürlich und versucht ihn davon zu überzeugen, dass er mit ihrer Entführung den größten Fehler seines Lebens begangen hat. Lanthimos seziert hierbei mithilfe seiner Komplizin Emma Stone die Sprachgespinste der Management-Workshops.
Wer soll hier ein Alien sein? Emma Stone und Jesse Plemons (rechts) beim WortduellAPSchon beim ersten Auftritt im Büro säuselte Stone mit kaltem Lächeln etwas von „Vielfalt“ und „Verständnis“ in die Kameras eines Firmenwerbevideos, verkündete ihren Mitarbeitern dann feierlich, dass es keine festen Arbeitszeiten mehr gebe, um ihnen die Chance auf „mehr Balance zwischen Familie und Beruf“ einzuräumen, und schiebt hinterher, dass sie natürlich trotzdem von jedem erwarte, dass Quartalsziele erreicht würden und die Gewinne nach oben gehen. Gegenüber ihren Entführern behält sie den kühlen Ton der Businessfrau bei, die gewohnt ist, dass es nach ihrem Willen geht. Sie antwortet auf Teddys Alien-Beweisargumentationsketten also mit: „I hear where you’re coming from, and I respectfully disagree.“ An diesem Konferenzteflon perlt alles ab. Die Mauer der verdrehten Argumente des Fake-News-Gläubigen kann aber auch dieser neuartige Dialekt nicht einreißen. Wörter sind verdreht, Sprache ist ohnmächtig.
Unterm Bienenpelz lauern Stacheln
Stones Figur ist die interessanteste Neuerung, die Lanthimos gegenüber der Vorlage gewagt hat – „Bugonia“ ist eine Neuverfilmung des südkoreanischen Science-Fiction-Horrors „Save the Green Planet!“ (2003) von Jang Joon-hwan. Dort ist der Gefangene ein brüllender Alpha-Idiot mit Spitzenposition in der Wirtschaft. Hier tauscht Lanthimos die Geschlechterrollen, was die Machtspiele nur noch gruseliger werden lässt. Stone muss nicht schreien, um ihre Entführer auf die Palme zu bringen. Und man hat mit dieser zarten Person deutlich mehr Mitleid, wenn die Geiselnehmer schließlich ihre Folterwerkzeuge auspacken.
Kunst, die sich mit Machtverhältnissen beschäftigt, schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Wer Lanthimos-Filme kennt, weiß schon bei der Titelsequenz, wenn der Schriftzug „Bugonia“ flauschigen Bienenpelz trägt, dass hier spitze Stacheln auf ihr Stichwort warten.
„Bugonia“ verbindet die entspannte Dreistigkeit des lanthimosschen Frühwerks mit der sicheren Hand des geübten Filmemachers. Sicher sein, wie dieser Film ausgeht, darf man also bis zum Ende nicht.

vor 11 Stunden
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