Charles Brauer wird 90 Fehlende Filmangebote? »Mich kratzt das nicht«
Trümmerfilm, große Theater, »Tatort«: Charles Brauer schauspielert, seit er ein kleiner Junge war. Ob er noch einmal in einem abendfüllenden Fernsehfilm zu sehen sein wird? Schwierig, glaubt der 89-Jährige.
29.06.2025, 09.53 Uhr

Brauer im März bei einer ARD-Show: »Die Leute überlegen dreimal, ob sie einen 90-Jährigen engagieren. Ich verstehe das gut.«
Foto: Christoph Soeder / dpaEr war die ganz großen Bühnen gewohnt, zum Beispiel diese: Sonntags, 20.15 Uhr im Ersten. Deutschland schaut »Tatort« – und rätselt Dutzende Male zusammen mit den Kriminalhauptkommissaren Paul Stoever und Peter Brockmöller – gespielt von Charles Brauer –, wer diesmal der Mörder oder die Mörderin war.
Heute, mit 89 Jahren, sieht Brauer wenig Chancen, noch einmal in einem abendfüllenden Fernsehfilm dabei zu sein. »Das ist schwierig für Schauspieler in meinem Alter«, sagt er. »Ehrlich gesagt, bei einer Produktion überlegen die Leute dreimal, ob sie einen 90-Jährigen engagieren. Ich verstehe das gut. Mich kratzt das nicht.«
Brauer ist auch so gut beschäftigt, vor allem mit Literaturabenden mit musikalischer Begleitung. Zudem vertont er die deutschen Übersetzungen der Thriller von US-Autor John Grisham als Hörbuch. Im November steht er wieder auf der Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters in Hamburg im Zwei-Personen-Stück »Dienstags bei Morrie«. 2018 hatte Brauer in der Katie-Fforde-Romanze »Mama allein zu Haus« den Großvater gespielt.
Mit Mütze zum Film
Es war eine himmelblaue Samtmütze, die Charles Brauer als kleinen Jungen zum Film brachte. An dieser erkannte Regisseur Gerhard Lamprecht ihn wieder, als er in den Berliner Straßen nach einem Hauptdarsteller für seinen neuen Film suchte. An einem Märztag im Jahr 1946 entdeckte er den Zehnjährigen mit der Mütze zum zweiten Mal und ließ ihn nicht noch einmal entwischen. Er sprach ihn an, und Brauer bekam die Rolle als Gustav in »Irgendwo in Berlin« – es sollte die erste von vielen weiteren sein.
Vor der Zufallsbegegnung mit Lamprecht, der unter anderem mit »Emil und die Detektive« bekannt wurde, habe er Schauspielerei nie als Berufsoption betrachtet, sagte Brauer vor rund einem Jahr in einem Interview. Doch die Dreharbeiten für den Trümmerfilm »Irgendwo in Berlin«, dem dritten Film überhaupt seit Kriegsende, machten ihm Spaß – und er kam gut an. So sagte Lamprecht damals über Brauer: »Er benimmt sich ganz großartig vor der Kamera, als wenn er in seinem ganzen Leben nichts Anderes getan hätte.«
Mit der Defa-Gage und der damit verbundenen Lebensmittelkarte wurde Brauer, geboren am 3. Juli 1935, als Elfjähriger zum Haupternährer der Familie. Die Wohnung seiner Familie in der Friedrichstraße war im Krieg ausgebombt worden, sie kam zunächst bei Freunden unter – ohne eigene Küche. Später wurde der Familie eine Eineinhalbzimmerwohnung in Schöneberg zugewiesen, diesmal zwar mit Küche, aber dafür ohne Badezimmer. Und in den Fenstern befanden sich keine Glasscheiben, sondern Pappe und Röntgenplatten, wie Brauer in seiner 2023 erschienen Autobiografie berichtete.
Als Jugendlicher nahm er erstmals professionellen Schauspielunterricht, besuchte später die Max-Reinhardt-Schule in Berlin. Damals hieß er noch Charles Knetschke, doch zu Beginn seiner Karriere nahm er den Mädchennamen seiner Mutter an, um seriöser zu wirken. 1956 engagierte ihn Gustaf Gründgens am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo er 20 Jahre lang bleiben sollte.
Parallel spielte Brauer den älteren Sohn in »Die Familie Schölermann«, der ersten deutschen Fernsehserie überhaupt. Eine »Supersache« sei das gewesen, sagte Brauer kürzlich im Interview mit dem Sender Radio 700. Denn am Theater habe es nur schmale fünf Mark am Abend gegeben, während die Seriengage zum Leben gereicht habe.
Rotwein und Zigarren in der Hotellobby
Ansehen kann man die ersten Folgen heute nicht mehr – damals wurde alles live eingespielt, eine Technik zum Aufzeichnen gab es noch nicht. »Wir kriegten waschkörbeweise Post und wurden immer wieder gefragt, ob wir eine echte Familie waren«, erinnerte sich Brauer. Schließlich gab es anfangs keinen Abspann, man ließ die Zuschauer im Unklaren.
1976 wechselte Brauer an die Münchener Kammerspiele, ab 1983 arbeitete er frei und verlegte seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz. Dies war das Heimatland seiner Partnerin Lisi Mangold, mit der er nach der Trennung von der Schauspielerin Witta Pohl, Mutter seiner Zwillinge Florian und Stefanie, zusammen war. Mangold starb im Alter von nur 35 Jahren an Krebs, doch Brauer blieb nahe Basel. Mittlerweile ist er in dritter Ehe mit der Bühnenbildnerin Lilot Hegi verheiratet, mit der er im Alter von 52 noch einen Sohn bekam.
1986 übernahm Brauer die Rolle des »Tatort«-Kommissars Peter Brockmöller an der Seite von Manfred Krug. 16 Jahre lang spielten sie gemeinsam, auch privat entwickelte sich eine Freundschaft. »Wir genossen es, stundenlang in Hamburg in der Hotellobby zu sitzen, bei Rotwein und Zigarre«, sagte Brauer der Zeitschrift »Superillu« im Februar 2023. Nach 16 Jahren wollte Krug aufhören – und da abgemacht war, dass sie nur im Doppelpack auftreten, bedeutete das auch für Brauer das »Tatort«-Aus.
Am Donnerstag wird Charles Brauer 90 Jahre alt.