Evangelischer Kirchentag: „Hoffnungslosigkeit ist keine Option“

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Dieser Auftritt hat sie Überwindung gekostet. Nicht, weil hunderte Menschen in Messehalle 16 auf sie warten und stehend applaudieren, noch bevor sie auch nur ein Wort gesprochen hat. Nicht, weil sie wieder nach dieser einen Predigt gefragt werden wird, vor der sie sich fast übergeben hätte, so nervös sei sie gewesen. Mariann Edgar Budde, die Washingtoner Bischöfin der Episcopal Church, die Frau, die dem amerikanischen Präsidenten öffentlich die Leviten las, hat Flugangst. Allein die Idee von Menschen in Metallgehäusen hoch oben im Himmel bereitet ihr Unbehagen. Und doch steht sie hier, hinter dem Rednerpult, neben sich ein Glas Wasser, vor sich ein iPad. Darum geht es: die Überwindung der Angst.

„Mutig, stark, beherzt“ - das ist das Motto des 39. Kirchentages. „Wir können mutig sein“, lautet der Titel des Podiums, auf dem Budde am Samstagabend spricht. Sie selbst hat den Beweis erbracht, als sie Ende Januar in der National Cathedral in Washington um Erbarmen bat für all jene, die nicht länger willkommen sind im neuen Amerika, die Angst haben, um ihre Zukunft, um ihr Leben womöglich. Weil sie woanders geboren worden sind, anders aussehen, anders lieben als die Anhängerinnen und Anhänger Donald Trumps. Bischöfin Budde bat einen der mächtigsten und reichsten Männer dieser Welt um etwas, woran es ihm erkennbar mangelt: Menschlichkeit.

Kistenweise Briefe hat sie nach der Predigt bekommen, Schokolade, selbst gestrickte Socken

Wie sie sich vorbereitet hat auf die Rede, die sie berühmt gemacht hat, will das Publikum in Hannover wissen. Wie sie sich gefühlt habe, davor und danach. Budde legt die Fingerspitzen aneinander, ihre Knie wippen unmerklich auf und ab. Sie sei ihrem Instinkt gefolgt, habe jene „in den Raum bringen“ wollen, die  Grausamkeit ausgesetzt seien, Schwule, Lesben, Transpersonen. Sie habe Gott gebeten, ihre Angst zu nehmen, sagt Budde, danach habe die Routine sie getragen, das „Köpergedächtnis“ aus all den Predigten davor.

„Im Grunde ist es egal, wie ich mich gefühlt habe“, sagt Budde. Egal, dass der schäumende Präsident sie hinterher „langweilig“ und „linksradikal“ nannte. Die Blumen im Büro, die Kisten voller Dankesbriefe, die Schokolade und die handgestrickten Socken, das habe ihr Mut gemacht.

Sie werde oft gefragt, warum die Amerikaner so starr und stumm seien, angesichts der historischen Brüche, sagt Budde. Viele Menschen seien verzweifelt und traumatisiert von den Angriffen auf Institutionen, der aggressiven Deportationspolitik, der hasserfüllten Sprache. Budde beschreibt eine „Kultur der Verachtung“, die tief in der amerikanischen Geschichte wurzelt und nun giftige Blüten treibt. Die USA seien „außer Kontrolle“, ein trudelndes, orientierungsloses Land. Europa könne nun ein Vorbild sein im Umgang mit „seinen eigenen Polarisierungen“.

Das Christentum ist für die Fundamentalisten um Donald Trump nur Mittel zum Zweck

Am Freitag ist sie mitten in den Kirchentag geeilt worden, die Nachricht von der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem, gefolgt von der Debatte um ein mögliches Parteiverbot und die gesellschaftliche Ausgrenzung von Demokratiefeinden. Auf dem Kirchentag sind sie in dieser Frage schon immer konsequenter gewesen als in Talkshows und Kommunalparlamenten. Auf dem größten Protestantentreffen des Landes treten AfD-Politiker nicht als Redner auf, sie werden gar nicht erst eingeladen. Kontroversen gibt es trotzdem, etwa, wenn Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) fordert, die Kirche möge sich doch bitte auf Sinnfragen beschränken und aus der Tagespolitik raushalten. Ein Hauch des Gegenwindes, den Mariann Edgar Budde auf der anderen Seite des Ozeans spürt.

Das Christentum ist für die Fundamentalisten um Donald Trump nur Mittel zum Zweck, um die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu formen, politische Gegner und Andersdenkende zu unterwerfen. Für seine Anhänger ist der Präsident nicht nur gewählt, er ist auserwählt. Wie also umgehen mit einem Mann, der kurz vor Beginn des Konklaves ein Bild von sich als Papst verbreitet?

Natürlich müsse man Machtmissbrauch klar benennen, sagt Budde. Das dürfe nur nicht dazu führen, dass aus Nachbarn Feinde werden. Viele Amerikaner hätten Trump aus dem Gefühl heraus gewählt, dass die Politik sich nicht für sie und ihr kleines Leben interessiere, „und sie haben recht“, sagt Budde. „Achtet auf eure Worte, sprecht ohne Bosheit übereinander und miteinander.“ Es müsse nun eine „neue, verbindende Vision“ für das Land entworfen werden. Die Bibel sei voll mit Geschichten von einfachen Menschen, die Außerordentliches leisten. „Gebt, was hier habt, aber gebt nicht auf. Hoffnungslosigkeit ist keine Option.“

 Marion Edgar Budde und US-Präsident Donald Trump am Tag nach der Inauguration.
Machtmissbrauch benennen: Marion Edgar Budde und US-Präsident Donald Trump am Tag nach der Inauguration. (Foto: Kevin Lamarque/REUTERS)

Widerstand beginnt für Mariann Edgar Budde nicht mit Waffen, nicht einmal mit harten Worten, sondern mit der bloßen Weigerung, selbst zu verhärten. Ansprechbar zu bleiben, auch für Menschen mit anderer Meinung, sich im Gegenüber wiederzuerkennen, auch wenn es scheinbar nichts Gemeinsames mehr gibt. Diese Gesellschaft, sagt Mariann Edgar Budde, kann geformt werden, nicht mit Gewalt, sondern durch Liebe und Versöhnung.

Besonders konkret ist das nicht, kein Manifest und schon gar kein Schlachtplan. Aber irgendwo muss man ja anfangen und warum nicht jede und jeder bei sich selbst. Zum Abschluss singen sie, alle gemeinsam, den wohl wichtigsten Protestsong der US-Bürgerrechtsbewegung. „We shall overcome“ ist immer wieder neu interpretiert worden, zeitlos, auch wegen dieser Zeilen: „We are not afraid. We are not afraid, today.“

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