
Carlotta Wamser nach der Szene des Spiels
Foto:Matthias Hangst / Getty Images
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Fatale Parade: Carlotta Wamser bewahrte ihr Team vor einem Gegentor, aber der Preis, den sie dafür zahlte, war enorm. Gut 30 Minuten waren gespielt in diesem EM-Duell um den Gruppensieg zwischen Deutschland und Schweden. Die Schwedinnen attackierten, aus kurzer Distanz kamen sie zum Schuss, das Tor war frei, es wäre das aus deutscher Sicht 1:3 gewesen. Also riss Wamser die Hände hoch. Die 21-Jährige wehrte den Schuss ab, aber sie wusste wohl schon im selben Moment, welche Folgen diese Parade haben würde. Rote Karte, die DFB-Rechtsverteidigerin musste vom Platz, Deutschland spielte fortan rund 60 Minuten in Unterzahl. Einen Strafstoß gab es obendrein. Das Tor, das Wamser verhindern wollte, fiel also doch.
Ergebnis: 1:4 (1:3) unterlag Deutschland der schwedischen Auswahl. Hier geht es zum Spielbericht. Höher hat das DFB-Team noch nie bei einer EM verloren. Zwar steht es DFB-Team trotzdem im Viertelfinale. Dort wartet nun aber der Sieger der Gruppe D, der am Donnerstag ermittelt wird.
Das D in DFB steht für Dampflok: Was war das für ein Tempo, das die deutsche Elf vorlegte! Weil sie für Platz eins einen Sieg gegen Schweden brauchte, legte sie los, als wollte sie Schweden überrollen. Die Flügelstürmerinnen sprinteten in die Tiefe, Außenverteidigerinnen taten es ihnen gleich, das Tempo, die Intensität, sie waren enorm. In der ersten Minute hatte Jule Brand die erste DFB-Chance, in der 2. Minute kam der Versuch von Lea Schüller hinzu, nach sieben Minuten stand es 1:0. Erzielt hatte es Brand nach Vorarbeit von: Carlotta Wamser. Ja, die deutsche Elf wirkt defensiv zerbrechlich. Aber im Angriff kann sie eine Wucht entfalten wie wenige andere EM-Teilnehmer.
Schwedens Antwort: Das mit der defensiven Zerbrechlichkeit legte Schweden früh offen. Denn schon zwischen diesen ersten DFB-Chancen kam Kosovare Asllani frei stehend zu einer guten Chance (3. Minute). Das 1:1 durch Arsenal-Starstürmerin Stina Blackstenius fiel nach einer verunglückten Abwehraktion von Janina Minge in der DFB-Verteidigung sowie einem Stellungsfehler ihrer Kollegin Rebecca Knaak (12.). Auch das 1:2 durch Smilla Holmberg kam aus deutscher Sicht unglücklich zustande, Sarai Linder versuchte, den Ball zu klären und schoss dabei Holmberg an, von ihr prallte der Ball ins Tor (25.). Es stand 1:2 und niemand wusste beim DFB-Team, wieso man hier zurücklag.

Wie paralysiert: Torhüterin Berger beim 1:1
Foto: Martin Meissner / APBerger sorgt für Fragezeichen: In den Sekunden vor ihrem Treffer zum 1:1 trieb Blackstenius den Ball aufs Tor, sie hatte Zeit, schaute auf DFB-Keeperin Ann-Katrin Berger und schoss dann flach aufs lange Eck, es war die naheliegende Option. Torhüterin Berger wurde dennoch kalt erwischt. Ohne große Reaktion ließ sie den Ball passieren und hob danach wie zur Entschuldigung die rechte Hand. Blackstenius’ Abschluss wäre schwer zu parieren gewesen, aber dass sie es gar nicht versuchte, wirkte merkwürdig.
Berger sorgt für Stirnrunzeln: Die fehlende Reaktion mochte irritiert haben, Bergers Fehlpässe ohne Not waren dann aber wirklich ärgerlich aus DFB-Sicht. In der 30. Minute spielte die Torhüterin den Ball in die Füße von Schwedens Johanna Rytting Kaneryd, die dann aber derart lange zögerte, ehe sie zu Asllani passte, dass Sjoeke Nüsken retten konnte. Und in der 39. Minute schoss Berger Blackstenius an und hatte Glück, dass in der Folge Asllani knapp vorbeischoss. Berger war im vergangenen Jahr Deutschlands Olympiaheldin, auch dank ihr holte das Team Bronze. Bei dieser EM verleiht sie ihrem Team aber nicht gerade die Sicherheit, die dessen Defensive benötigt.

Eiskalt vom Punkt: Fridolina Rolfö
Foto: Annegret Hilse / REUTERS(Kurz-)Auftritt Rolfö: In die EM ging sie verletzt, deshalb verpasste Fridolina Rolfö das erste schwedische Spiel komplett und kam im zweiten zu einem Kurzeinsatz. Gegen Deutschland feierte sie ihre Startelfpremiere. Rolfö, 31, zählt seit Jahren zum Kreis der Anführerinnen dieses Teams. Und auch gegen Deutschland übernahm sie Verantwortung und verwandelte den von Wamser verursachten Strafstoß. Rolfö spielte einst für den FC Bayern und Wolfsburg in der Bundesliga. Bis vor Kurzem stand sie in Barcelona unter Vertrag, aber dort trennen sich nun die Wege. Noch mehr Eigenwerbung konnte sie nach dem 3:1 nicht betreiben – Rolfö musste zu Beginn der zweiten Hälfte ausgewechselt werden und saß danach mit bandagiertem Knie auf der Bank.
Unterstützung von der Bank: Für sie persönlich wurde diese EM zum Drama, Knieverletzung im deutschen Auftaktspiel, Turnieraus – unter Tränen musste Giulia Gwinn vergangene Woche vom Platz. Jetzt ist Deutschlands Kapitänin zurück. Dank einer Sondergenehmigung saß sie gegen Schweden auf der Bank, mit Knieschiene, als moralische Unterstützung für das Team.
Im Schongang: In der zweiten Hälfte wechselten beide Teams munter durch, denn dass diese Partie gelaufen war, daran zweifelte niemand. Trotz des verringerten Spielflusses fiel noch ein Tor, die für Asllani eingewechselte Lina Hurtig erhöhte nach Assist von Kaneryd auf 4:1 für Schweden (80.).
Pyrrhusniederlage: Am Samstag steht das Viertelfinale für das DFB-Team an, der Gegner könnte Frankreich oder England heißen. Deutschland bekommt es nicht nur mit dem theoretisch stärkeren Team zu tun, sollte das Halbfinale erreicht werden, würde dort wahrscheinlich Topfavorit Spanien warten. Hinzu kommt, dass nach Gwinns Verletzung und Wamsers Platzverweis keine Rechtsverteidigerin mehr im Kader steht. Bundestrainer Christian Wück muss improvisieren. Es gibt Niederlagen, die weh tun. Diese hier ist noch schlimmer.