„Eltern treiben Kinder in den Burnout“: Das meint die Tagesspiegel-Community zu Berlins Schulplatz-Chaos

vor 7 Stunden 1

In Berlin wird die Vergabe von Gymnasiumsplätzen für viele Familien zum Albtraum. Eine Mutter aus Pankow schildert im Tagesspiegel ihre verzweifelte Situation: Trotz eines Traumnotenschnitts von 1,1 erhielt ihre zwölfjährige Tochter keinen Platz an einer der drei Wunschschulen im Bezirk. Stattdessen soll das Mädchen täglich zwei Stunden pendeln – ins Märkische Viertel nach Reinickendorf.

Die Mutter beschreibt, wie der extreme Leistungsdruck in den vergangenen beiden Jahren die Familie belastete: Extraaufgaben, ständiges Notenrechnen und die Angst vor Ablehnung prägten den Alltag. Doch am Ende entschied nicht die Leistung, sondern das Losverfahren. „Das System lässt die Kinder hängen“, klagt sie. 

Während viele Leserinnen und Leser die Ungerechtigkeit kritisieren, sehen andere den Kern des Problems anderswo: Die Eltern treiben ihre Kinder in den Burnout – und wundern sich über die Folgen? Die Debatte offenbart grundsätzliche Gräben: Ist es verantwortungslos, Kinder mit Excel-Tabellen durch die Grundschule zu treiben? Oder sind Eltern zu Recht wütend über ein System, das Leistung bestraft statt belohnt?

Klar ist: Die Berliner Schulplatzvergabe bleibt ein emotional aufgeladenes Thema – zwischen Noteninflation, Bezirksungerechtigkeit und einem Bildungssystem, das alle Beteiligten überfordert. Lesen Sie hier eine redaktionelle Auswahl von Stimmen aus der Tagesspiegel-Community.


Diogenes
Ich lebe in Prenzlauer Berg und kenne viele Eltern, bei denen sich das Familienleben komplett um Noten und den Übergang aufs Gymnasium dreht. Der Druck, der dabei auf die Kinder ausgeübt wird ( bewusst oder unbewusst) ist enorm. Für viele geht es nur noch um einen perfekten Schnitt, zusätzliche Aufgaben, Excel-Tabellen mit Notenentwicklung.

Insofern finde ich es fast schon ein kleines Glück, dass das Mädchen nun im Märkischen Viertel möglicherweise mit Kindern in Kontakt kommt, deren Familienhintergrund weniger von diesem Leistungswettbewerb geprägt ist. Vielleicht entsteht dort mehr Raum für echte Persönlichkeitsentwicklung - jenseits des ständigen Leistungsoptimierens. Die eigentliche Tragödie ist nicht nur die Schulvergabe, sondern das System, das Kinder mit 11 oder 12 in diese zermürbenden Auswahlprozesse schickt.


Alle, die in dem System mitspielen, müssen fair behandelt werden.

Tagesspiegel-Leser Wunschdenken

Wunschdenken
Dass Eltern für ihr Kind das Beste wollen, darf man ihnen wohl nicht vorwerfen. Ja, eine Verteilung muss organisiert werden, aber die von der Senatsverwaltung ausgegebenen Kriterien fördern die Leistungsorientierung und dann sind es natürlich die Noten, leider, die als das einzige messbare Kriterium bleibt. Dass das den Kindern nicht gut tut ist offensichtlich. Wenn aber die Verwaltung dieses System so organisiert, müssen auch alle, die in dem System mitspielen fair behandelt werden. Das ist hier wohl eindeutig nicht der Fall.


Menschenskind
Aus Sicht einer GS-Lehrkraft in Pankow: Ich verstehe diese Eltern! Schön ist das alles nicht, aber viele lernstarke Kinder (und ein 1,1er Schnitt kommt nicht nur durch die Eltern) wären an einer der oft mittelmäßigen ISSen nicht gut aufgehoben. Die sind tatsächlich nicht selten eine, böse gesagt, „Resterampe“ mit allen negativen Folgen. Ich wäre für mehr gut aufgezogene Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe...


Bekind 
Als betroffenes Elternteil kann ich nur sagen, das System setzt die Kinder unter Druck. Es geht hier nicht nur um die Kinder mit sehr guten Leistungen. In der Nebenklasse muss ein Kind bis nach Wilmersdorf. Ebenfalls aus Pankow (nicht Prenzlauer Berg). Das ist absolut enttäuschend und nicht nachvollziehbar.



Spandauer2605
Das arme Mädchen. Aber nicht wegen des Gymnasiums im Märkischen Viertel, sondern wegen dieser Eltern. Auf das Kind solch einen Druck aufzubauen, ist unmenschlich. Eigentlich sollte ein Kind Spaß am Lernen haben und keinen Druck. Mir kommt es so vor, dass die Eltern sich im Kind als Stellvertreter selbst verwirklichen wollen. Auch sind längere Fahrzeiten kein Beinbruch. Ich hatte im Bus immer genug Zeit noch mal die Hausaufgaben durchzuschauen oder vor Arbeiten noch einmal in den Unterlagen zu schauen.

Frau_Teamer @Spandauer2605
In den Berliner Bussen und Bahnen haben die mit Sicherheit heute keine Möglichkeit, Hausaufgaben durchzusehen, fahren Sie bitte mal zu den morgendlichen Stoßzeiten vom Schulbeginn. Ich verstehe die Schulpolitik in dieser Stadt schon lange nicht mehr, selbst auf dem holsteinischen Dorf fährt kein Kind eine Stunde zur Schule


Die Eltern sind ebenso Opfer wie Täter in diesem Ellenbogensystem

Tagesspiegel-Leser 2010ff

2010ff
Die Eltern ihrerseits stehen unter einem unerhörten Druck, der an die Kinder weitergeleitet werden muss. Sie fühlen sich gezwungen, „mitzuhalten“. Die Eltern sind ebenso Opfer wie Täter in diesem Ellenbogensystem des Hauens und Stechens um die besten Startplätze für ein erfolgreiches Leben.

Angesichts dessen, was hier geschildert wird, habe ich die Vermutung, dass es in diesem Bereich der Schulzuweisung eine große Bedeutung der Faktoren „Vitamin B“ und Vorteilsnahme gibt. Wer da wen beeinflusst und wer da welche Vorteile für seinen Nachwuchs - oder den der Freunde - schafft... dürfte ein größeres Problem sein.


AnA
Viele Kommentare zeigen wenig Verständnis für die betroffene Mutter. Statt sich in die Lage heutiger Familien zu versetzen, heißt es nur: „Früher war das auch nicht besser.“ Doch die Situation heute ist anders – und das Problem in Pankow seit Jahren bekannt. Die Geburtenzahlen liegen vor, trotzdem wurde keine neue Oberschule gebaut. Warum nicht?

Eltern dürfen drei Schulen angeben, aber faktisch entscheidet nur der Erstwunsch, da die Plätze gleich damit belegt werden. Wer dort abgelehnt wird, hat kaum Chancen bei Wunsch 2 oder 3 – diese sind ebenfalls voll. Gleichzeitig gibt es keine Infos zu Bewerberzahlen oder nötigem Schnitt. Das Verfahren ist komplett intransparent – ein Glücksspiel. Welcher Erwachsene würde so etwas für sich hinnehmen?


Aufs Gymnasium muss nicht jeder

Tagesspiegel-User Context

Context
1,1 Durchschnitt. Das waren noch vor 50 Jahren Genies. Heute: pure Noteninflation. Und das hört beim Abi nicht auf: 1,0, wo man hinsieht. Die 1 vor der Null ist die neue 2 - an dieser Inflation sind die Schulreformbastler Schuld. Grundschule, hauptschule, Realschule, Gymnasium. Das war alles Mist. Und heute?

Ein Wirrwarr im System und dennoch keine Hinwendung zu den Jugendlichen. Hole man doch endlich jeden dort ab, wo er ist. Aufs Gymnasium muss nicht jeder oder sagen wir es so: nicht jeder braucht ein Abi, um erfüllt, erfolgreich und auch reich(!) zu werden. Diesen Wildwuchs wird kein Senator ausdünnen können, weil zu viele Wurschtler ständig an ihm rumschrauben und ihn am Leben erhalten.


Zeltmensch
Man kann sich auch mal fragen, wieso es so viele Schüler*innen in Berlin mit außergewöhnlichen Notendurchschnitten in der Grundschule gibt. Und das in einem Bundesland, das bei Vergleichsstudien im Ranking sehr weit unten landet. Wird hier womöglich auf Lehrer*innen ein so hoher Druck aufgebaut, dass diese sich nur mit inflationärer Notengebung „retten“ können?

Im Interview wird ja von der Anfrage zu Extraaufgaben und Plakaten berichtet. Zusätzlich kommen dann noch E-Mails, dass Klausuren vermeintlich zu schwer waren und die mündliche Note angeblich nicht der Schülerleistung entspricht. Wenn es dann um die Abiturnoten geht, haben die Eltern ihre Praxis zur Beeinflussung der Notengebung perfektioniert. Die Universität wundert sich dann über die vielen Student*innen, die irgendwie gar nicht so gut wie ihre Notenschnitte sind.


Mit aller Gewalt wird da versucht, aus ganz normalen Kindern Genies zu machen

Tagesspiegel-Leser Timotheus_Wumme

Timotheus_Wumme
Ein anderer Aspekt ist das Verhalten vieler Eltern gegenüber uns Lehrern. Mit aller Gewalt wird da versucht, aus ganz normalen Kindern Genies zu machen. Mittlerweile führen wir Gespräche nur noch zu zweit um uns rechtlich abzusichern und die Drohung mit dem Rechtsanwalt gehört zum Alltag. Ja, Schule hat mal Spaß gemacht....


friedrich66
Tja, willkommen in der Realität der Großstadt, wozu auch eine Klassengesellschaft gehört, die im Bullerbü Pankows gerne negiert wird. Warum gibt man es nicht zu? Es ist nicht der Fahrweg ins MV. Dafür braucht man nicht die U8, oftmals reicht der Bus odet das Fahrrad in 20 Minuten. Von Rosenthal aus könnte man sogar laufen. Nein, man möchte nicht Kontakt mit der hässlichen und vermeintlich gefährlichen Hochhaussiedlung an westlichen Bezirksrand kommen, man möchte seinem Kind keine Welt außerhalb der eigenen elitären Blase zumuten.

Da ist es dann auch egal, dass das in Frage kommende Thomas-Mann-Gymnasium ein engagiertes und vor allem junges Kollegium hat, erfahrene Fachseminarleiter dort unterrichten und einmalig in Berlin dort das Fach Wirtschaft in der Mittelstufe angeboten wird. Nein, in der vermeintlich progressiven Pankower Welt hat man Angst vor Kontakt mit realen Großstadtverhältnissen. Aber das gibt man natürlich nicht zu.

Karl_Brensberger @friedrich66
Da unterstellen Sie den bedauernswerten Eltern einfach mal was - sehr freundlich! Bei mir würden Sie dagegen richtig liegen. Hätte ich Kinder, würde ich sie keinesfalls in einen Problembezirk zur Schule schicken. Eher würde ich aus Berlin wegziehen.

Wenn Sie Ihre Kinder ins Märkische Viertel ins Falkenhagener Feld oder in die High-Deck-Siedlung schicken, weil Sie die als „reale Großstadtverhältnisse“ und andere Viertel als „elitär“ sehen, Bitteschön. Es gibt auch andere Realitäten. Dann bin ich gerne „elitär“.


StefanX
Ball flach halten. Wir wohnen auch in Pankow und haben uns bewusst eine Schule in Reinickendorf im Märkischen Viertel ausgesucht. Alles wird gut. Was wirklich und grundsätzlich eine Katastrophe ist: der ÖPNV für unsere Kinder. Warum zum Beispiel fährt die M1 35 Jahre nach Mauerfall nicht über die Grenze?!


U.s.zelenka
Klare Empfehlung: eine kirchliche Schule auswählen. Da wird nicht primär auf die Note, sondern auf das Sozialverhalten geschaut -bei hoher Qualität der Schulbildung. Und die Schulgeld-Kosten halten sich in Grenzen.


MKP
Als Mutter eines der bis zu 2800 Kindern mit Behinderung, die nur reduziert bis gar nicht beschult werden, und das seine diskriminierende Lebenssituation glasklar mitbekommt („Die Gesellschaft will mich nicht. Das habe ich in der Schule gelernt“), kann ich diese privilegierten Kinder nur trösten: es gibt viel schlimmeres, als nicht auf der anvisierten Schule angenommen zu werden: nämlich von der gesamten Gesellschaft nicht angenommen zu werden.

XYZ1234 @MKP
Das Eine sollte das Andere nicht ausschließen! Sie haben vollkommen Recht! Das Berliner Schulsystem funktioniert nicht. Es fehlen (Stand 2024) 27.000 Schulplätze in Berlin und für die Gruppe mit Beeinträchtigungen ist es eben noch schlimmer. Das Schulsystem muss zwingend auf so vielen Ebenen reformiert werden! Die Sache zusammen denken, ist zwingend erforderlich!


Es ist auch legitim, als Eltern nicht zu wollen, dass das Kind in Brennpunktschulen kommt.

Tagesspiegel-Leser RedenIstSchweigen

RedenIstSchweigen
Pankow ist ein schöner Stadtteil, und wer nicht gern ein bisschen Bullerbü hätte, ist wohl nicht ganz ehrlich. Sich, wenn man kann, einen guten Wohnort auszusuchen, ist keine Realitätsverweigerung - eher wohl das Gegenteil.

Es ist aber, unabhängig von den Gründen und der konkreten schulischen Leistung, krank, Kinder, noch dazu lernwillige, quer durch die Stadt zu schicken. Unsozial, das Gegenteil von nachhaltig, und was für eine Belastung (unzuverlässiger ÖPNV) und Zeitverschwendung. Und es ist auch legitim, auch wenn das entweder nicht ausgesprochen, oder sogar noch kritisiert wird, als Eltern nicht zu wollen, dass das Kind in Brennpunktschulen kommt. Das unter anderem ist ein sehr nachvollziehbarer Grund bei der Wahl des Wohnortes.

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