Ein starkes Signal für die Psychoanalyse in Deutschland

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Kommt jetzt der Psycho-Pfusch? So hatten wir vor vier Jahren an dieser Stelle gefragt, als sich abzeichnete, dass der Psychoanalyse, die am Frankfurter Fachbereich Psychologie seinerzeit noch von Tilmann Habermas vertreten wurde, künftig kein eigener Arbeitsbereich mehr gewidmet sein würde. Im Zuge einer Neuordnung der Professuren im Fach Psychologie, so wurde in Onlinepetitionen gewarnt, würde die Psychoanalyse in Forschung und Lehre an den Rand gedrängt. Dagegen wurden die Pläne mit dem Verweis auf die Reform des Psychologiestudiums verteidigt, klinischen Inhalten müsste demzufolge zulasten der Psychoanalyse ein größeres Gewicht zukommen, um die Grundlagen aller anerkannten Behandlungsverfahren kennenzulernen. Tatsächlich verhallten die Warnungen fürs Erste ungehört, die Psychoanalyse verwaiste an der Goethe-Universität.

Diese Entwicklung hatte etwas Symptomatisches für die Marginalisierung des Luxusartikels (einkommenspolitisch gesprochen) Psychoanalyse. Der Trend lässt sich so beschreiben, dass in der klinischen Psychologie, grob gesprochen, die analytischen Verfahren zugunsten der Verhaltenstherapie entsorgt wurden. Damit bewahrheitete sich, worauf die Frage nach dem Psycho-Pfusch zielte: Forschungspolitisch und für Finanzierungsfragen entlang funktional ausgerichteter Erfolgsmessungskriterien sind verhaltenstherapeutische Settings leichter handhabbar als psychoanalytisch und tiefenpsychologisch orientierte Verfahren. Es geht bei Letzteren, salopp gesagt, um die Bearbeitung von Lebensgeschichten unter der Fragestellung von Sinn und Bedeutung, von Selbstmissverständnissen und Selbsttäuschungen, um die Ermöglichung eines reflexiven, auf Bewusstheit zielenden Lebensstils, der die eigene Borniertheiten und Abwehrmechanismen durchschauen lernt und dem es darum zu tun ist, den Mythos des Gegebenen auf Freiheitsgewinne hin zu öffnen. Das geht über funktionale Nutzanwendungen erkennbar hinaus, obwohl gleichsam als Nebeneffekt vertiefter Einsichten es natürlich auch psychoanalytisch um Vermeidung von Dysfunktionalitäten im Alltag der Klienten geht, um Entstörung ihrer Abläufe im sozialen oder beruflichen Leben.

Es geht um Einsicht in bewusste und unbewusste Prozesse

Wie Psychoanalyse therapeutisch wirkt, dieser Frage ist auch einer neueres Heft der Zeitschrift Psyche gewidmet (79. Jg., März 2025). Victor Blümel hebt darin den zentralen Begriff der Einsicht hervor, wobei es um den spezifischen Charakter der psychoanalytischen Einsicht geht, denn nicht jede Sorte Erkenntnisgewinnung ist hier einschlägig. Vom Alltagsverständnis des bewussten Verstehens in einem mehr konventionellen Sinn unterscheide sich die psychoanalytische Einsicht dadurch, „dass sie wesentlich Einsicht in unbewusste Prozesse bedeutet, die gleichzeitig auch mit einem bewussten Erleben bzw. mit einer Erfahrung verknüpft sind, also nicht auf einer rein intellektuellen Ebene verbleibt“. Eine solchermaßen wahrheitsfähige psychoana­ly­tische Einsicht kann nur in der Über­tragungsbeziehung gewonnen werden, da sich hier die unbewussten Dynamiken aktualisierten und somit erlebt werden könnten. Die Unterschiede zu einem verhaltenstherapeutisch informierten oder besser reduzierten Einsichtsbegriff scheinen kategorialer Art zu sein. Für Letztere gilt das strategische Kriterium: Hauptsache, es hilft momentan. Es wundert von daher nicht, dass immer wieder auch das Argument der verminderten Rückfallquoten im Vergleich zu anderen psychologischen Verfahren in Anschlag gebracht wird, wenn es um den Mehrwert der Psychoanalyse geht.

Jedenfalls ist, langer fachpolitischen Rede kurzer Frankfurter Sinn, inzwischen die ermutigende Nachricht zur Kenntnis zu nehmen, dass nach der fachpolitischen Dramatik, wie sie sich vor Jahren in Frankfurt abzeichnete, heute die Zukunft der Psychoanalyse an der Goethe-Universität gesichert scheint. Das Uni-Präsidium hatte bestätigt, dass eine Stiftungsprofessur für Klinische Psychoanalyse eingerichtet werden soll, und zwar mithilfe mehrerer Geldgeber und in fachlicher Zusammenarbeit mit dem in Frankfurt beheimateten Sigmund-Freud-Institut. Die Stelle soll nach zeitnaher Ausschreibung bis 1. April nächsten Jahres besetzt werden. Geht doch? Als sei die Wichtigkeit der Psychoanalyse in Frankfurt nicht eben noch bestritten worden, als sei man nicht knapp an einem fachpolitischen Desaster vorbeigeschrammt, heißt es in einer universitären Presseerklärung: „Die Goethe-Universität will das wichtige Feld der Forschung zur Psychotherapie und die Ausbildung von Psychotherapeutinnen auch unter der Schwerpunktsetzung psychoanalytischer Ansätze entwickeln.“

Die Mitscherlichs: gesellschaftsanalytisch herausragend

Der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, vermittelt mit einer staunen machenden Selbstverständlichkeit den Eindruck, die eben noch ins Nischendasein abgedrängte Psychoanalyse sei ein an interdisziplinärer Bedeutung kaum zu überbietender Forschungsschwerpunkt und irgendwie doch ein gesellschaftlicher Schrittmacher: „Wir haben Stiftungsmittel eingeworben, um die Professur einzurichten. Damit nutzen wir unsere besonderen Gestaltungsmöglichkeiten als Stiftungsuniversität, um einen wichtigen Forschungsschwerpunkt an einer Schnittstelle von Gesellschafts-, Sozial- und Naturwissenschaften zu stärken“, so die präsidialen Worte Schleiffs. Man wolle dergestalt die Verschränkung der klinisch ausgerichteten Psychoanalyse am Fachbereich Psychologie und die soziologisch-sozialpsychologisch ausgerichtete Psychoanalyse am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, wie das Sigmund-Freud-Institut sie verkörpert, weiter vorantreiben.

Damit könne man einen Beitrag zur psychoanalytisch inspirierten Gesellschaftsforschung in der Tradition der Frankfurter Kritischen Theorie leisten – eine Agenda, die freilich auf die komplizierte, von diversen Ungleichzeitigkeiten geprägte Verhältnisbestimmung zwischen Kritischer Theorie und psychoanalytischer Ansätze weiter nicht eingeht. Eine psychoanalytische Prägung der Frankfurter Gesellschaftsforschung lässt sich jedenfalls nicht als Einheitswissenschaft ausmachen. Das semantische Feld, in dem die Bonner Republik Vokabeln ihrer Selbstverständigung aufnahm, ist hier entzweit zwischen einer nur schablonenhaften, dem Jargon frönenden Bezugnahme und gesellschaftsanalytisch herausragenden, fachlich und zuweilen essayistisch befähigten Einzelnen wie dem Ehepaar Mitscherlich, Letztere mit Einfluss auch auf eine zeitweilige psychoanalytische Orientierung im Schaffen von Jürgen Habermas.

In der Sache genauer als Präsident Schleiff, was den Vermittlungsbedarf der einschlägigen Disziplinen angeht, lässt sich Vera King, Geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts, vernehmen: „Wir wollen unsere Stärken in der psychologisch-psychoanalytischen und psychotherapeutischen Forschung und Lehre sowie in der klinischen Versorgung weiter ausbauen, die Kooperation zwischen Goethe-Universität und Sigmund-Freud-Institut vertiefen und zugleich einen in der Frankfurter Tradition verwurzelten, aber hoch modernen Schwerpunkt im Bereich der psychoanalytisch und psychodynamisch ausgerichteten Psychotherapieforschung etablieren.“ King, die eine federführende Rolle bei der inhaltlichen Ausgestaltung der neuen Konstellation einnimmt, denkt nicht nur in langen Zeiträumen, sondern sieht die Frankfurter Initiative auch in ihrer nationalen wie internationalen Dynamik. Es gehe darum, das benannte Feld „von Frankfurt aus führend wissenschaftlich mitzugestalten“. Ein Glücksfall bahnt sich an.

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