Ein Abend über den 7. Oktober: Michael Wolffsohn wünscht weniger Parteilichkeit.

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Sieben Stellwände in leuchtenden Farben, drei davon in hoffnungsvollem Grün, ein Sessel und ein Zweisitzer, drei kleine Holztische mit je einem Stuhl, eine Videoleinwand. Der Autor und seine beiden Mitleser in priesterliches Schwarz gekleidet – mehr Inszenierung ist nicht, und die Personenregie ist auch überschaubar. Erst sitzt man links bequem, dann geht es auf die unbequeme Seite: „Über den 7. Oktober hinaus – Israel und Palästina“ hat der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn seine Lehrstunde genannt, die am Abend des 7. Oktobers im Münchner Marstalltheater mit den Residenztheater-Schauspielern Barbara Horvath und Michael Goldberg zur Aufführung kommt.

Zum west-östlichen Diwan taugt die schwarze Ledercouch nicht, und doch beginnt es mit einem Ausschnitt aus dem Osterspaziergang im „Faust“: „Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus . . .“ Doch so ist es heute nicht mehr: „Wir gehen seit dem 7. Oktober 2023 auf die Straße. Die einen demonstrieren und verurteilen den Hamas-Massenterror. Die anderen werfen Israel ,Völkermord‘ an den Palästinensern vor“, sagt Michael Goldberg. Damit beginnt ein Schlagabtausch über Fragen des aktuellen Krieges, Positionen beider Seiten werden im Wechsel eingenommen, Wolffsohn meldet sich kaum zu Wort, außer dass er sagt, hier liefen zwei Tragödien ab, „eine jüdisch-israelische und eine palästinensisch-arabische“.

Residenztheater-Schasupielerin Barbara Horvath las zusammen mit Michael Wolffsohn und Michael Goldberg im Marstall.Residenztheater-Schasupielerin Barbara Horvath las zusammen mit Michael Wolffsohn und Michael Goldberg im Marstall.Magnus Lechner

Umzug zu den Tischen, Versuch einer Antwort auf die Frage „Wem gehört das Heilige Land?“. Wolffsohn rekapituliert die Geschichte der ehemaligen britischen Kolonie Palästina. Beschreibt das palästinensische Volk als fortgesetztes Opfer seiner skrupellosen Regierungen, die es verführen und zur Abschlachtung freigeben. Der Text collagiert Belegstellen aus der Bibel, dem Koran, dem Äthiopischen Henochbuch, Josephus Flavius, der Chartas von PLO und Hamas, Zitate von Politikern wie Scharon, Abbas, Olmert, Cohn-Bendit und von Schriftstellern wie Heinrich Heine, Isaak Babel, Nelly Sachs.

Es geht um die Geschichte der Pogrome, die Geschichte des „selbst verschuldeten Abstiegs“ von Spanien und Portugal, um die „funktionale Toleranz“, Juden erst zu umwerben, um sie am Ende doch zu liquidieren. Das ist das „Leit- und Leidmotiv“ des Textes, von Georges-Arthur Goldschmidt auf die Formel gebracht, Jude zu sein bedeute, „eine Existenz auf Widerruf“ zu führen.

 Schauspieler Michael GoldbergKomplettierte das Trio: Schauspieler Michael GoldbergJoel Heyd

Heiliges Land oder doch vielmehr nur heilige Stätten? Nach dem Durchgang durch die politische Geschichte Israels wendet sich der Suchstrahl des Historikers auf die Heilsgeschichte. Er arbeitet Ähnlichkeiten der drei Offenbarungsreligionen heraus, aber auch deren Unterschiede. Der Islam sei bis zum Ende des achten Jahrhunderts ein arianisches Christentum gewesen. Und heute? „Das religiöse Zentrum des Islam ist Mekka. Das geistig-geistlich-politische Ideal der islamischen Gemeinschaft war nie Palästina oder Jerusalem, sondern stets Medina. (…) Araber, Arabien, Arabisch, das sind die Grundpfeiler des Islam. Und auch die wichtigsten heiligen Stätten der Muslime sind in Arabien. Der Islam ist eine arabozentrische Religion. Palästinozentrismus ist politisch aufgepfropft.“

Wolffsohn hat eine neunzigminütige szenische Vorlesung über viele „eindeutige Mehrdeutigkeiten“ geschrieben. Mit zunehmender Dauer wird seine Rolle als Einordner und Kommentator, die er jenseits der Bühne im politischen Leben einnimmt, immer größer. Der Text ist komplex, wechselt umstandslos die Zeitebenen, verlangt Konzentration und wäre es wert, ein zweites Mal gelesen oder gehört zu werden.

Schluss mit der Berufung auf Gott

Nur einmal blickt Michael Wolffsohn kurz auf sein eigenes Leben: Als er im Mai 1947 zur Welt kommt, sei er Palästinenser gewesen, ein Jahr später Israeli. Gerade weil er biographisch so sehr mit dem ungelösten Konflikt verbunden ist, will er wieder Schneisen für eine nüchterne Aufklärung schlagen, Menschen erreichen, die nicht „vor Parteilichkeit trunken“ sind und wieder in einen Dialog eintreten wollen. Wie eine politische Lösung aussehen könnte, deutet er nur an, „eine Mischung aus Bundesstaat und Staatenbund“. Und am Ende fordert er, bevor noch einmal Goethe das Wort bekommt: „Schluss mit der Berufung auf Gott beim wechselseitigen Töten“.

„Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen“ waren angekündigt, Security und Polizei sind vor Ort. Aber München zeigt sich am Abend dieses 7. Oktober 2024 von seiner friedlichen Seite. Ein mit Gewölk getupfter Nachthimmel spannt sich über den öden Platz vor dem Marstall. Ein Mannschaftswagen der Polizei. Kein Demons­trant, nirgends.

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