In seinem Roman "Dorf im Himmel" erzählt C. F. Ramuz von der Auferstehung. Nun erst ist das Buch aus dem Jahr 1941 ins Deutsche übersetzt worden. Es ist eine Entdeckung.
5. Juni 2025, 18:36 Uhr
Wie eine Geburt abläuft, ist nun wirklich kein Geheimnis mehr. Das Leben selbst birgt vielleicht noch einige Geheimnisse, aber im Grunde genommen sind wir im Bilde. Dann kommt der Tod. Und dann die Auferstehung. Auferstehung ist gar nicht so schwer. Anders als bei der Geburt muss man nicht einmal richtig mitmachen, und das Beste: Man kriegt keinen Klaps auf den Hintern.
In seinem Roman Dorf im Himmel, erstmals erschienen im französischsprachigen Original im Jahr 1921 unter dem Titel Terre du ciel, beschreibt der Schweizer Autor Charles Ferdinand Ramuz gleich zu Beginn, wie so eine Auferstehung für die Bewohner eines Schweizer Bergdorfes abläuft: "Sie haben die Erde mit dem Nacken nach hinten gestoßen; sie haben mit der Stirn die Erde durchbohrt, wie wenn das Korn keimt; seine grüne Spitze ins Freie drückt; sie hatten wieder einen Körper. (…) Und so stiegen sie aus ihren Löchern, und die Sonne fiel auf sie herab. Sie sahen die Sonne mit ihren wiedergefundenen Augen, sie tranken die Luft mit wiedergefundenem Mund. Und erst schwankten sie noch ein wenig, waren unsicher auf den Beinen, dann fanden sie festeren Stand."
Die Auferstandenen machen sich sogleich auf in ihr Dorf, wo sie von anderen Auferstandenen freudig begrüßt werden. Jeder geht in sein Haus und findet alles noch viel schöner vor, als es einst war; als hätte eine unsichtbare Hand alles neu gemacht. Verblüfft sind die Dorfbewohner schon, denn viel mehr noch als eine Geburt ist so eine Auferstehung ein Wunder. "Wie ist das möglich?", fragen sie sich, erkennen sich wieder und sehen sich staunend an. "Du! Du! Kann das sein?" Ramuz beschreibt diese Auferstehung kurz und knapp. Er versteigt sich nicht in einer feierlichen Epik. Alles ist ganz selbstverständlich, und den letzten Zweiflern wirft er nur ein trockenes "Aber so war es" vor die Füße.
C.F. Ramuz wurde 1878 in Lausanne geboren. Er war ein unermüdlich Schreibender, stets bestrebt, die Welt mit all ihren Facetten in Literatur zu verwandeln, wobei ihm das Leben der einfachen Leute besonders am Herzen lag. Immer wieder überarbeitete Ramuz seine Stoffe, sodass von manchen Romanen gleich mehrere Fassungen vorliegen. Von Terre du ciel gibt es vier Versionen. Grundlage für den nun erstmals ins Deutsche übersetzten Text ist die letzte Fassung von 1941. Zu seinen Lebzeiten, Ramuz starb 1947, wurden 22 seiner Romane veröffentlicht. Mit anderen großen Autoren teilte er sich bis zu seinem Tod den Titel des immerwährenden Nobelpreiskandidaten. 2005 erschien eine Gesamtausgabe in der Bibliothéque de la Pléiade in Paris, deutschsprachige Übersetzungen liegen längst nicht für alle Bücher von Ramuz vor. Der schweizerische Verlag Limmat hat im Jahr 2023 Sturz in die Sonne (im Original Présence de la mort, 1922) in einer Übersetzung von Steven Wyss herausgebracht, nun folgt ebenfalls der von Wyss brillant ins Deutsche übertragene Roman Dorf im Himmel.
Bei der Lektüre wird einem klar: Muss man nach der Geburt viel lernen, so muss man nach der Auferstehung viel vergessen. Der viel zitierte Satz Jean Pauls, dass die Erinnerung das einzige Paradies sei, aus dem man nicht vertrieben werden könne, straft Ramuz Lügen. Im irdischen Leben mag der Satz gelten, nicht aber im paradiesischen. Denn alles, woran sich die Dorfbewohner bei Ramuz erinnern, durchzieht Schmerz, Unheil und Vergeblichkeit. Das alte Leben – wie hatte man es überhaupt überstanden? War es womöglich nur eine Täuschung? "Man war wie jemand, der mit einer Tasse in der Hand zu jedem Brunnen ging, aber die Tasse hatte keinen Boden. Alles erzählte einem vom Glück: Man fand es nirgends. Im anderen Leben; im falschen Leben …"
Im Dorf im Himmel hat Augustin sein Glück gefunden. Auf der Erde hatten die Eltern die Hochzeit mit Augustine zu verhindern gewusst, aber hier, wo immer die Sonne scheint, wo man nicht mit Geld, sondern mit Liedern bezahlt, wo der Schreiner keine Särge mehr macht, sondern Türen und Schränke mit Blumen bemalt, ist ihnen ihre Liebe sicher, weil sie Bestimmung war. Ramuz, der in einer nüchternen wie bildgewaltigen Sprache vom paradiesischen Leben nach dem Weltgericht erzählt, verwehrte sich dagegen, seinen Roman als einen theologischen zu betrachten. Bei der Buchvorstellung der letzten Fassung von Terre du ciel 1941 in Zürich bezeichnete er ihn als Legende. Darf man dahinter eine kleine Koketterie vermuten? Dieses Büchlein allein als fromme Sage zu bezeichnen, wäre in etwa so, als diene Liebe nur der Arterhaltung. Der Reiz der Lektüre liegt gerade in der Entdeckung der sich permanent aufdrängenden biblischen Motive, während die Handlung lässig weiter erzählt wird.