Die Linke: Parteitag in Chemnitz zeigt neue Stärke und alte Konflikte

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 Bodo Ramelow, Sören Pellmann, Heidi Reichinnek, Jan van Aken, Ines Schwerdtner

Linkenpolitiker auf Parteitag: Bodo Ramelow, Sören Pellmann, Heidi Reichinnek, Jan van Aken, Ines Schwerdtner

Foto: Hendrik Schmidt / dpa

Es ist schon viel Eigenlob hier auf dieser Bühne in der Chemnitzer Messehalle ausgesprochen worden, viel Selbstbeschwörung. »Ein verdammt gutes Gefühl, endlich mal wieder etwas gewonnen zu haben!«, hatte Heidi Reichinnek, TikTok-Star der Partei und Spitzenkandidatin im erfolgreichen Bundestagswahlkampf, gerufen.

Mit ihrem Parteitag ausgerechnet in Chemnitz, wo 2018 tagelang Rechtsextreme die Stadt terrorisiert hatten, wollte die Partei auch ein Zeichen setzen, Präsenz zeigen. Sie, die sich als einziges antifaschistisches Bollwerk versteht.

Es sollte, so hatte es die Parteispitze vorher formuliert, darum gehen, organisatorische Fragen zu klären. Aber natürlich auch darum, sich wiederzusehen, sich zu feiern, nach dem erfolgreichen Wahlkampf und all den Superlativen: Die Linke, stärkste Partei unter den jungen Wählern, Reichinnek in Umfragen zeitweise die beliebteste Politikerin des ganzen Landes, eine Verdopplung der Mitglieder auf mehr als 110.000 seit Jahresbeginn.

Was man unbedingt vermeiden wollte: Streit und endlose selbstzerstörerische Diskussionen. Ein Rückfall in alte Zeiten.

Palästinaflaggen in der Halle – Aken, der nicht noch einmal diskutieren will

Gerade hat Parteichef Jan van Aken versprochen, dass die Linke für einen Mietendeckel sorgen werde. Er hat Ines Schwerdtner gelobt, weil sie mit ihrem gewonnenen Direktmandat in Berlin-Lichtenberg gezeigt habe, wie man die AfD »fertig mache«, gegen »Superreiche« gewettert. Standing ovations.

Aber dann muss der Parteichef am Samstag in der Messehalle in Chemnitz doch noch eine heikle Mission erfüllen.

Es geht um ein Thema, das die Linke in den vergangenen Jahren immer wieder zerrissen hat, zu Austritten prominenter Politiker führte: das Thema Nahost, der Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, der darauffolgende Krieg in Gaza, die Debatte über linken Antisemitismus.

Vor der Messehalle haben Delegierte Palästinafahnen gehisst, auch in der Halle trägt eine Frau kleine Palästinaflaggen herein, eine beträchtliche Zahl der Delegierten hat sich ein Palästinensertuch umgebunden. Die Bundestagsabgeordnete Cansin Köktürk hat vor der Messehalle ein Video gedreht. Menschen würden sterben, nur weil sie Palästinenser sind, weil ihnen der Status als Mensch öffentlich und systematisch aberkannt würde, sagt sie. Die Delegierten hatten ursprünglich zwei Anträge eingereicht, in denen sie fordern, das Thema Nahost und Antisemitismus erneut zu diskutieren.

Van Aken, der selbst länger in Israel gelebt und gearbeitet hat, steht dann in Sakko und Tax-the-Rich-T-Shirt links außen vor dem Mikro, er redet erst nach einer einfachen Delegierten. »Ich finde diesen Antrag von vorne bis hinten gut«, sagt er. Damals, bei den schwierigen Diskussionen in Halle, hatte van Aken die Debatte erfolgreich moderiert.

Heute aber ist es ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang.

Linken-Parteivorsitzender Jan van Aken

Linken-Parteivorsitzender Jan van Aken

Foto: Chris Emil Janssen / Chris Emil Janßen / IMAGO

Kurz vor dem Parteitag hatte auch noch Ulrike Eifler, die selbst im Bundesvorstand sitzt, ihre Partei mit einem israelfeindlichen Post auf dem sozialen Netzwerk X (früher: Twitter) in Schwierigkeiten gestürzt. Sie hatte eine Karte der palästinensischen Gebiete und des Staatsgebiets Israels gepostet, darauf viele Hände in den Nationalfarben Palästinas, und schrieb dazu: »Free Palestine« – als gäbe es Israel nicht.

Wie geht die Linke mit ihrer neuen Machtfülle um?

Der Bundesvorstand wiederum hatte sich – ohne Eifler freilich – prompt sehr deutlich von Eiflers Post distanziert, »von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert.« Und sich ausdrücklich zum Existenzrecht Israel bekannt. »Notwendig« sei der Beschluss des Parteivorstands, sagte der ehemalige Fraktionschef der Partei Dietmar Bartsch dem SPIEGEL. Das sehen nicht alle so in der Partei. Schon am Samstag hatte eine Delegierte am Rednerpult den Beschluss als »Schande« bezeichnet. Er bedeute Solidarität mit einem »genozidalen Apartheidstaat.«

Für van Aken, der erst seit einem halben Jahr Parteichef ist, war die Abstimmung auch ein Test, wie gut er die Partei kennt, wie er sie auch in schwierigen Fragen leiten und auch überzeugen kann.

Am Ende geht es gut und die Delegierten folgen van Aken, fast einstimmig.

Ganz glatt geht es trotzdem nicht aus für den Parteivorstand. Die Delegierten wollen doch noch einmal sprechen, über die Definition von Antisemitismus. Van Aken versucht noch, die Stimmung zu drehen. Das sei eine wissenschaftliche Debatte, sagt van Aken, die man nicht auf dem Parteitag führen solle.

Eine knappe Mehrheit der Linken sieht es anders, ein deutlicher Dämpfer also für den Vorsitzenden.

Und jetzt? Wie wirkt dieser Ausgang des Parteitags nach bis nach Berlin? Dort kommen andere Herausforderungen auf die Partei zu als Opposition gegenüber Union und SPD in Berlin.

Denn auch darum ging es auf diesem Parteitag: Wie kann die Linke einen Kurs finden mit ihrer neuen Machtfülle? Zwischen Pragmatismus, weil man ja bei Entscheidungen im Bundestag, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, auch inhaltlich mitreden will. Und brachialer Kritik am neuen Kanzler Friedrich Merz, um jeden Verdacht auszuräumen, selbst irgendwie Teil des verdammten Establishments zu sein. Denn dass die Linke es Merz am Ende so einfach gemacht hat mit einem zweiten Wahlgang, finden nicht alle richtig, so ist es auch auf dem Parteitag zu hören.

Linkenpolitikerin Reichinnek gratuliert Friedrich Merz zur Kanzlerschaft

Linkenpolitikerin Reichinnek gratuliert Friedrich Merz zur Kanzlerschaft

Foto: Hannibal Hanschke / EPA

Die Union hatte am Dienstag nach dem gescheiterten ersten Kanzlerwahlgang  die Partei im Grunde in den Kreis der demokratischen Mitte aufgenommen. Plötzlich waren Merz, Spahn, Dobrindt und Co. für einen schnellen zweiten Wahlgang auf die Linke angewiesen. Plötzlich kamen sie auf Reichinnek zu, die noch eben erklärt hatte, den Kapitalismus stürzen zu wollen.

Dementsprechend kennt in den Reden der vier Spitzenleute das neue Selbstbewusstsein keine Grenzen, und manchmal auch der Populismus kaum. Schwierig vorstellbar, dass noch am Dienstag die Linken Merz ganz pragmatisch den Weg zur Kanzlerschaft gebahnt haben.

Parteichefin Ines Schwerdtner erklärt, Merz und CDU-Generalsekretär Linnemann »verachten unsere Leute und deshalb verachten wir ihre Politik.« Heidi Reichinnek sieht ihre Partei mittlerweile so mächtig, dass »die Superreichen«, »diese Wirtschaftsbosse« und die »Springer-Presse« Angst vor der Linken hätten. »Die zittern.«

Jan van Aken spricht von Friedrich Merz, der »in seinem Privatflugzeug nach Sylt fliegt, wie er da so über den Wolken schwebt.« Ein »abgehobener Kanzler«, der auch »abgehobene Politik mache«, Reiche noch reicher machen werde.

Die Frage ist nur: Bleiben die Linken am Boden? Das jedenfalls ist das Ziel – und die Selbstsicht.

»Die Hoffnung« will man sein und mit sehr großer Mehrheit haben die Delegierten einen entsprechend überschriebenen Leitantrag verabschiedet, der beschreibt, wie die Partei weitermachen will.

Die Linke möchte sich stärker in der Bevölkerung verankern, »organisierende Klassenpartei« sein, heißt es. Sie beabsichtigt, sich mit Kampagnen weiter auf soziale Themen, besonders ihren Kampf gegen steigende Mieten, zu fokussieren – und gibt sich das Ziel, in alle Landtage einzuziehen. Und will auch den eigenen Abgeordneten etwas abverlangen. Sie will verhindern, dass in Zukunft linke Landesminister im Bundesrat gegen die Linie der Partei stimmen, wie zuletzt bei dem Schuldenpaket von Friedrich Merz.

Zu kontroversen außenpolitischen Themen wie Russlands Krieg in der Ukraine oder eben Nahost findet sich in dem Leitantrag nur eine allgemeine Formel. »Die Linke ist und bleibt eine Friedenspartei«, heißt es dort. Auch darüber wurde auf dem Parteitag diskutiert.

Eine Delegierte beklagte »notorisches Festhalten an Glaubenssätzen« und dass der »brutale« Krieg Russlands gegen die Ukraine ausgeblendet werde. Andere Wortmeldungen klangen eher wie aus Sahra Wagenknechts Partei BSW und warnten zum Beispiel vor neuen imperialen Kriegen Deutschlands.

Nur eine Partei, die miteinander solidarisch sei, könne glaubhaft für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, hatte Parteichefin Ines Schwerdnter erklärt.

Kann ihre Hoffnung aufgehen oder ist sie schon zerstört?

Vorstandsmitglied Eifler hat ihren Post nicht gelöscht. Bundesgeschäftsführer Ehling hatte der Genossin zwischenzeitlich indirekt nahegelegt, über einen Austritt nachzudenken.

Die neue Linke ist doch noch ein bisschen die alte Linke.

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